Freitag, 19. April 2024

Archiv

100 Jahre Konzert-Direktion in Berlin
Adler kriegt sie (fast) alle

Zu ihren Kunden gehören internationale Größen wie Anne-Sophie Mutter und Daniel Barenboim: Die Konzert-Direktion Adler in Berlin organisiert Auftritte von Sängern, Dirigenten und ganzen Orchestern - und das schon seit 100 Jahren. Nur David Garret war dem Unternehmen zu experimentierfreudig.

Von Matthias Nöther | 17.09.2018
    Daniel Barenboim
    Daniel Barenboim ist Kunde bei der Konzert-Direktion Adler in Berlin (Staatsoper Berlin / Holger Kettner)
    Witiko Adler lässt sich entschuldigen. Der Sohn des Unternehmensgründers Hans Adler ist vor kurzem neunzig geworden – und doch ist er sonst fast jeden Tag im Büro der Konzert-Direktion Adler in Berlin-Wilmersdorf – die Geschäftsführung hat mittlerweile seine Ehefrau Jutta Adler inne. Entscheidungen, die in diesem Büro getroffen werden, können für das Musikleben einzelner Städte von immenser Bedeutung sein.
    Wo soll ein berühmter Musiker oder eine berühmte Musikerin wann auftreten? Weshalb etwa kann man in einigen Tagen den internationalen Klassik-Superstar Daniel Barenboim bei einem Klavierabend in Frankfurt an der Oder erleben? Den ostdeutschen Grenzort durchweht unverhofft ein Hauch mondäner Hauptstadtkultur – ganz einfach, weil Jutta Adler für den Großpianisten Barenboim eine bestimmte Art von Auftrittsort brauchte.
    "Wir haben gesagt, Frankfurt Oder ist von Berlin eine Stunde hin, eine Stunde zurück, da kann er spielen. Alle Künstler suchen sich für verschiedene Sachen Städte, um ein Programm, was sie lange nicht gespielt haben oder neu spielen, vor Publikum zu spielen. Und dann kommt auch der Künstler und sagt: Ich brauch mal eine kleinere Stadt. Anne-Sophie Mutter hat jahrelang – macht sie nicht mehr – aber mit kleineren Orchestern mal ein Programm durchgespielt, bevor sie zu den Berliner Philharmonikern gegangen ist."
    Täglicher Umgang mit internationalen Größen
    Anne-Sophie Mutter, Daniel Barenboim: Der Umgang mit solchen internationalen Größen, auch mit ganzen Orchestern, ist für Jutta Adler Alltag, seit vielen Jahrzehnten. In Berlin hat die Konzert-Direktion Adler bei Klassikkünstlern als jahrzehntelanger Veranstalter einen großen Heimvorteil, die meisten Nachwuchskünstler dürften erst mal bei Adler anfragen, wenn sie in der Philharmonie oder im Kammermusiksaal auftreten wollen. Jutta Adler findet es trotz dieses Vorteils schwierig, junge Künstler aufzubauen. Denn wenn die dann mal bekannt sind, schläft die Konkurrenz der Konzertagenturen nicht.
    "Man macht den Aufbau. Und dann kommt ein anderer und sagt, ich kann das alles viel besser. Man selber staubt auch manchmal einen anderen Künstler vom Kollegen ab. Aber wir haben eigentlich alles langjährige Vertretungen. Und stolz ist man natürlich, dass man Menuhin sein Leben lang oder auch Barenboim das Leben lang fast begleitet hat. Denn schauen Sie: Barenboim, der wird 76. Und der ist als 18-Jähriger gekommen. Das ist ein Leben."
    Übrigens auch Jutta Adlers Leben. Sie ist die Enkeltochter des berühmten Berliner Musikalienhändlers Hans Riedel – ihren Mann Witiko, den Sohn von Hans Adler, lernte sie kennen, weil auch die Familie Adler ursprünglich aus Musikalienhändlern bestand. Jedoch schon im Jahr 1918 verlegte Hans Adler seine Haupttätigkeit auf die Konzert-Direktion. Das Unternehmen hatte günstige Startbedingungen.
    "Wir wissen alle nicht und keiner weiß woher, vermutlich durch Erbe: Er hatte 70.000 Goldmark zur Verfügung. Und das war damals sehr viel Geld."
    Erstes Konzert mit Artur Schnabel
    Daneben konnte Adler etliche Beziehungen zu berühmten Musikern aufbieten, um seine Konzert-Direktion Adler ins Leben zu rufen. Das erste Konzert der Konzert-Direktion Adler etwa fand mit dem Jahrhundertpianisten Artur Schnabel und seiner Frau statt, zu Hans Adlers Kunden gehörten schnell weitere Klavierstars wie Walter Gieseking, Eduard Erdmann – oder der eigenwillige Alfred Cortot.
    "Er hat die Firma 1918 gegründet, mit Unterstützung von Richard Strauss. Dann ging es auf die Kriegszeit zu, und die Firma hat sehr viele jüdische Künstler vertreten, und Hans Adler hat sich sehr auch für jüdische Künstler während des Krieges eingesetzt. Vom RIAS hat mal jemand gesagt: Dass der nicht im KZ gelandet ist, wundert uns heute noch."
    Wenige Jahre nach dem Krieg starb Hans Adler im Alter von nur siebenundfünfzig Jahren, seine Firma war während des Krieges ausgebombt worden. Die Konzert-Direktion Adler, wie man sie heute kennt, ist vor allem das Werk seines Sohnes Witiko Adler und später von dessen Frau Jutta.
    "Es wurden jüdische Künstler zurückgeholt, es kam Menuhin, es kam Ormandy. Es gab einen sehr guten Kontakt damals zum RIAS, RIAS-Sinfonieorchester wurde gegründet, das heutige DSO. Es kam 1954 das Beaux Arts Trio, und die Firma baute sich langsam wieder auf, auch mit den Abonnements-Zyklen."
    Erfolg erwuchs aus Schneeball-Prinzip
    Der Konzert-Direktion Adler erwuchs ihr Erfolg in der Nachkriegszeit aus dem Schneeballprinzip: Die Kontakte zu prominenten Künstlern potenzierten sich. Witiko Adler etwa hatte Gelegenheit, die Anne-Sophie Mutter an Herbert von Karajan zu vermitteln und sich gleich die Vertretung der jungen Geigerin zu sichern.
    "Der Kontakt zu Anne-Sophie kam zustande, dass Stresemann, der alte Intendant der Berliner Philharmoniker abends bei meinem Mann anrief und sagte: Ich habe Maestro Karajan gerade vom Flughafen abgeholt, und der sagt, da gibts so ne junge Geigerin im süddeutschen Raum. Keine Ahnung. Wissen Sie, wer das ist? Und mein Mann sagt, ja das weiß ich, ich habe gelesen. Ja, Karajan möchte sie hören. Und dann hat der mit Vater Mutter telefoniert, Anne-Sophie war 13. Und so kam dann das Vorspiel bei Karajan zustande. Und so war das natürlich ein leichtes, die Karriere aufzubauen. Sie hatte den Start in Salzburg, und dann ging das um die Welt."
    Bei anderen Künstlern hat sich das Ehepaar Adler über Jahre sehr genau überlegt, wie und ob sie die Karriere aufbauen. Auch der Geiger David Garrett war seit seinem dreizehnten Lebensjahr als klassischer Geiger ein Adler-Kunde. Als er aus den USA zurückkehrte, wollte er seine künstlerische Identität als Musiker komplett erneuern. Das war für die Adlers ein Problem.
    Konservatives Kerngeschäft
    "Und dann ging er in die Crossover-Schiene rein. Und dann hat er hier in dem Raum gesessen – ich weiß nicht mehr genau, wann das war – und hat gesagt: 'Wie isses, Crossover, wollt ihr, wollt ihr nicht?' Und wir haben wirklich überlegt und haben dann gesagt: 'Nee, das nicht unser Geschäft.' Das ist ein anderes Publikum, das sind andere Säle. Wir veranstalten hier in der Philharmonie, wir veranstalten im Kammermusiksaal, im Konzerthaus, manchmal auch im Dom oder irgendwo. Und wir haben eben die Kontakte über lange nicht aufgebaut zu den großen Hallen. Und deshalb haben wir gesagt: 'Nee, können wir nicht.'"
    Ein Bewusstsein für das konservative Kerngeschäft einer Künstleragentur im Bereich der Klassik hat sich die Konzert-Direktion Adler immer bewahrt. Das ist vielleicht der Hauptgrund, weshalb aufstrebende Musiker in Berlin und für Tourneen an dieser Firma genauso wenig vorbeikommen wie etablierte. Adler kriegt sie fast alle.