Dienstag, 19. März 2024

Archiv

100 Jahre nach Kriegsbeginn
In jedem Tschechen steckt ein kleiner Schwejk

Mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien begann auch für die böhmischen Länder der Erste Weltkrieg. So auch für den "Braven Soldaten Schwejk". Die Romanfigur des tschechischen Schriftstellers Jaroslav Hasek prägt bis heute ganz maßgeblich die tschechische Mentalität.

Von Andreas Kolbe | 28.07.2014
    Der Enkel des Schriftstellers Jaroslav Hasek, Richard Hasek, eingerahmt von zwei Männern in Uniform des österreichisch-ungarischen Heeres; aufgenommen beim Hasek-Festival in Lipnice nad Sazavou (Tschechische Republik) am 19.07.2014.
    Der Enkel des Schriftstellers Jaroslav Hasek, Richard Hasek, eingerahmt von zwei Männern in Uniform des österreichisch-ungarischen Heeres (Deutschlandradio / Andreas Kolbe)
    Salutschüsse zu Ehren des Schriftstellers Jaroslav Hasek. Angetreten sind vier Soldaten in der Uniform des österreichisch-ungarischen Heeres. Graue Feldbluse, braunes Koppel und schwarz-gelbe Abzeichen auf der Brust - mit Originalgewehren aus dem Ersten Weltkrieg schießen sie in den tiefblauen Himmel von Lipnice nad Sazavou.
    "Das Buch Schwejk ist für uns wie eine Bibel", sagt Zdenek Spacek, einer der vier Freizeit-Soldaten. "Ich habe es schon so oft gelesen und immer wieder finde ich darin neue Erkenntnisse. Es ist ein Kult-Buch. Und ich bin stolz, dass ein kleiner Teil des Schwejks in fast jedem Tschechen steckt."
    Und deshalb feiern sie ihn wie einen Nationalhelden: ihren Schriftsteller Jaroslav Hasek und seine berühmteste Figur, den braven Soldaten Schwejk.
    Einmal im Jahr wird der kleine Ort Lipnice nad Sazavou auf der böhmisch-mährischen Höhe zwischen Prag und Brünn zum Wallfahrtsort der Schwejk-Fans, beim Hasek-Festival mit Theater und Musik, Tanz - und natürlich jeder Menge Bier.
    "Der Stammtisch ist hier gleich an der Theke - und auch Jaroslav Hasek war eigentlich immer in der Nähe des Zapfhahns zu finden", erklärt Richard Hasek, der Enkelsohn des Autors.
    Ihm und seinem Sohn gehört das Wirtshaus "Zur böhmischen Krone" in Lipnice. Hier im Gastraum, zwischen Kachelofen und holzvertäfelten Wänden, hat Jaroslav Hasek einen Großteil seines Romans geschrieben.
    Bier getrunken, Karten gespielt, Roman diktiert
    "Mein Großvater hat das Buch eigentlich nicht geschrieben, sondern diktiert. Er war ein echtes Phänomen: Er saß hier in der Kneipe und trank Bier. Er hat sich unterhalten und Karten gespielt und nebenher hat er seinem Schreiber den Roman diktiert."
    "Und was fehlt Ihnen?"
    - "Melde gehorsamst, ich bin Rheumatiker. Aber dienen werde ich seiner Majestät dem Kaiser bis man mich in Stücke reißt."
    Es ist die Geschichte des Josef Schwejk, eines etwas zwielichtigen Hundehändlers aus Prag, der zu Kriegsbeginn in die kaiserlich-königliche Armee eingezogen wird. Vielfach verfilmt, unter anderem 1960 mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle:
    "Und dann habe ich noch etwas Herzklopfen, wenn ich die Treppen raufsteige. Aber das ist nicht so arg, weil der Krieg ja in Parterre stattfindet."
    - "In die Simulantenbaracke! Abführen!"
    "Es gibt ja im Tschechischen einen Ausdruck: 'švejkování'. Man könnte das als 'schwejkeln' übersetzen. Das ist, sich so zu verhalten, so zu denken, so zu handeln wie Schwejk", sagt Antonín Brousek, selbst erklärter Schwejk-Fan aus Berlin. Als Kind tschechischer Exilanten hat er den Klassiker kürzlich neu ins Deutsche übersetzt:
    "Ich glaube, die Tschechen lieben den Schwejk, weil sie sich in ihm wiedererkennen. Schwejk ist ja einerseits irgendwie schlau - andererseits doof. Er wehrt sich gegen alles mit einer Art passiven Resistenz. Und er ist auch - darf man nicht vergessen - hochgradig unseriös. Er arbeitet nicht richtig, er wohnt nicht richtig. Gleichzeitig hat er so eine ausgesprochen menschliche Note."
    Der brave Soldat Schwejk als Lebemann
    Schwejk, der Mensch, der Antiheld. Der sich durchwurschtelt im Krieg, der Befehle im wortwörtlichsten Sinne so streng befolgt, dass am Ende meist das Gegenteil herauskommt. Humor und Menschlichkeit, das eben sei das typisch Tschechische an der Figur, meint Schriftsteller-Enkel Richard Hasek:
    "Mein Großvater hat den Krieg selbst erlebt. Er war auf dem Balkan und in Sibirien. Er hat dort - weit mehr als andere - begriffen, was wirklich passiert ist. Deshalb hat er so desillusioniert über den Krieg geschrieben. Schwejk ist ein der Typ, der den Krieg nicht will. Er lacht darüber und macht sich einen Spaß aus Autoritäten."
    Der brave Soldat Schwejk als Lebemann - so versteht auch der Prager Musiker Frantisek Vales die Figur, die für ihn zum Alter Ego geworden ist.
    "Ich melde gehorsamst", schallt es immer wieder über das Festivalgelände in Lipnice. Vales in Schwejk-Uniform, mit der Tabak-Pfeife in der Brusttasche und vor allem mit dem Schwejk-typischen vollen Bauchumfang:
    "Ein Mann ohne Bauch ist ein großer Krüppel. Also gutes Essen, gute Knödel, schöne Frauen. All das gehört zum Leben."
    Und natürlich Humor, sagt Vales:
    "Wer den Humor von Schwejk nicht kennt, denkt, dass uns Tschechen alles egal ist. Aber das stimmt nicht. Der Witz von Schwejk hat Tiefe. Und dennoch verbreitet er in jeder Situation gute Laune. Das ist für mich die Botschaft des 'Braven Soldaten Schwejk'. Er wird niemals sterben, er wird immer mit uns sein."
    Auf der Bühne des Hasek-Festivals hat inzwischen das Kinderprogramm begonnen. Aus der Feldküche duften Hasek-Gulasch und Kartoffelsuppe. Und im Festzelt versorgen sich die K.-und-k.-Soldaten mit Pilsener Bier aus Halb-Liter-Plastikbechern. Es ist ein Familienfest ganz nach tschechischem Geschmack:
    "Schwejk hat uns gelehrt, mit Humor durch's Leben zu gehen, positiv zu denken und das Leben in jeder Situation zu genießen", bringt es eine Besucherin auf den Punkt. "Er ist für uns aber auch Mahnung vor dem Krieg. Auch heute, wo schon wieder so viele Menschen mit einander kämpfen. Schwejk sollte ihnen ein Vorbild sein."