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100. Todestag von Albert Weisgerber
Der Maler, der sein Ableben vorhersah

Er lernte bei Franz von Stuck, war Zeitgenosse von Paul Klee, Wassily Kandinsky und Max Slevogt und wechselte in seiner nur kurzen Karriere häufig seinen Stil: der Maler Albert Weisgerber. Seinen frühen Tod vor 100 Jahren sah er hellsichtig voraus.

Von Rainer Berthold Schossig | 10.05.2015
    Er starb im Frühling 1915 in Flandern, im Artilleriefeuer des Ersten Weltkriegs. Da war der deutsche Künstler Albert Weisgerber gerade 37 Jahre alt, eben mit dem Eisernen Kreuz dekoriert und zum Kompaniechef befördert worden. Sein Freund und Kriegskamerad, der Kunsthistoriker Georg Dehn:
    "Weisgerber war kein spinnerter Schwabinger Künstler, der in einem Wolkenkuckucksheim lebte, er hatte eine kräftige, leicht untersetzte Statur, er war ein Mensch, der sich stark von Eros und Dionysos treiben ließ, aber immer wieder, gleichsam als Gegengewicht, zu seiner Kunst zurückkehrte."
    1878 kommt Albert Weisgerber als Sohn des Gastwirts-Paares Peter und Elisabeta Weisgerber in St. Ingbert zur Welt. 1897 bis 1901 studiert er an der Münchener Kunstakademie. Er wird Meisterschüler bei Franz von Stuck; er feiert gern, schwankt zwischen Weltzweifel und Arbeitswut, überschäumender Lebenslust und tiefer Trübsal. Er zeichnet für die Zeitschrift "Jugend", frühe Selbstbildnisse zeigen ihn als Naturburschen, andere blass-blau melancholisch. Zupackend portraitiert Weisgerber auch Freunde. Zum Beispiel den späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss. Der schrieb in einem Nachruf:
    "Wir, die wir ein Stück seines Jugendweges mit ihm gegangen und in der Erinnerung selber weg gesunkene Zeiten beschwören, sehen ihn nur in der Luft jener Jahre: heiterer Übermut des Jünglings und strenge Zucht einer erobernden Männlichkeit."
    Weisgerber lernt Paul Klee, Wassily Kandinsky und Max Slevogt kennen. Inspiriert vom französischen Impressionismus, entsteht in München eine Serie von heiter durchsonnten "Biergarten-Bildern": voll beschaulicher männlicher Muße. Studienreisen führen ihn nach Venedig und Rom, Pompeji und Paris. Dort sieht er die französischen Originale und lernt Henri Matisse kennen. An seinen Studienfreund, den Reklamezeichner Gino von Finetti, schreibt er begeistert:
    "Man kann allen jungen Malern nur raten, nach Paris zu gehen. Ich arbeite jetzt ‚Pariser Skizzen' aus. Ach, wie schön; ich male, male, male!"
    Internationale Anerkennung
    Eben noch dem Impressionismus verpflichtet, schlägt seine Malerei nun ins Wilde, Fauvistische um: Starkfarbige, vitale Menschen tummeln sich in strotzender Natur. Solche Stil-Wechsel durchziehen sein kurzes Werk. Georg Költzsch, ehemals Direktor des Saarland Museums, beschreibt Weisgerber als Zerrissenen:
    "Die Frage ist: Kann man dies in seinen Bildern sehen? Es öffnen sich immer Ungewissheiten der Beziehungen von Figur und Raum. Und ich glaube, dass Weisgerber in allen seinen Bildern eine offene Stelle gelassen hat, die uns von der scheinbaren Festigkeit der Welt in ein gewisses Ungewisses entlässt, dass Weisgerber eine Besonderheit in seine Bilder hineinbringt, die uns anhält, mit ihm weiter zu suchen."
    In der Münchner Künstler-, Literaten- und Publizisten-Szene begegnet er Gesellschaftskritikern wie Erich Mühsam, Joachim Ringelnatz - und der jüdischen Bankiers-Tochter und Malerin Margarete Pohl, die er 1907 heiratet. Ankäufe der Münchener und Frankfurter Museen bringen Weisgerber internationale Anerkennung. Eine Florenz-Reise sorgt 1909 für einen neuen Umschwung seiner Kunst zu dramatischen Motiven aus dem Alten Testament: David im Handgemenge mit Goliath und der todgeweihte Absalom, am Schopf an der Eiche baumelnd. Wilhelm Hausenstein, der posthum Weisgerbers Biografie verfasst hat, vermerkt, wie hellsichtig dieser seinen frühen Tod voraussah:
    "Eines Nachmittags - im noch heißen Hofgarten - hatte ihn die Wahrscheinlichkeit oder die Gewissheit der Sekunde, dass er zu seiner Arbeit nicht wiederkehren werde, von oben bis unten zerrissen."
    Die Kriegsgefahr wächst. Kurz vor seiner Einberufung wird Weisgerber Präsident der "Neuen Münchener Secession". Deren erste Ausstellung kann er - im Herbst 1914 ein halbes Jahr vor seinem Tod - noch miterleben.
    Albert Weisgerber ist am 10. Mai 1915 in Französisch-Flandern im Grabenkrieg gefallen.
    "Und so geschah es in den Morgenstunden des 10. Mai 1915. Einzelheiten seines Todes sind unbekannt. Ich fand ihn in einem Granattrichter. Sein einziger Begleiter war Goethes "Faust"."