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11.4.1854 - vor 150 Jahren

Dass eine Krankheit nach ihrem Entdecker benannt wird, ist selten geworden. Aber bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war es noch gang und gäbe. Zu Lebzeiten Karl Adolf von Basedow kam es gerade so richtig in Mode. "Morbus Basedow" nennt man die Krankheit heute noch, die er 1840 in der "Wochenschrift für die gesamte Heilkunde" am Beispiel von vier Patienten eingehend beschrieben hat. Alle zeigten, wie die Patientin "Madame F", die gleichen, typischen Symptome:

Von Irene Meichsner | 11.04.2004
    Madame F, brünett, regelmäßig gebaut, entschieden phlegmatischen Temperaments, hatte einen sehr frequenten kleinen Puls, sprach auffallend hastig. Am Halse zeigte sich eine strumöse Fülle der Schilddrüse. Was aber die Augen betrifft, so waren dieselben so weit hervor getrieben, dass die Augenlider auch mit aller Anstrengung nicht geschlossen werden konnten, und die Kranke mit ganz offenen Augen schlief.
    Heute vermutet man hinter dem "Morbus Basedow" eine Autoimmunreaktion. Der Mediziner sprach noch von der "Glotzaugen-Krankheit". Und erklärte sie mit einer fehlerhaften Zusammensetzung des Bluts. Geboren 1799 in Dessau, hatte er in Halle studiert, ein Jahr in Paris verbracht und sich 1822 in Merseburg als praktischer Arzt niedergelassen ein Naturfreund und Tierliebhaber, der einen richtigen kleinen Hauszoo unterhielt: mit Hund, Kater, Pferd, Ziegenbock, Rotkehlchen und Kakadu. Er wurde 1834 zum "Kreisphysikus" befördert, später kam in Anerkennung seiner Verdienste noch der Titel eines "Königlich preußischen Sanitätsrats" hinzu.

    60 Aufsätze aus allen möglichen medizinischen Fachgebie-ten hat er publiziert. Gegen Kollegen, die ihm die Priorität bei der Entdeckung der "Glotzaugen-Krankheit" streitig machen wollten, setzte er sich empört zur Wehr.

    Aufrichtig drücke ich mein Bedauern darüber aus, so gewaltsam mißverstanden und des kleinen Verdienstes beraubt zu werden, dass weitere Beobachtungen über diese Krankheit dem meinigen anzureihen sind, da ich nun einmal das Gesamtleiden zuerst anerkannt und beschrieben habe
    schrieb er 1849, als er sich zum letzten Mal zu seinem Thema äußerte. Im Alter von nur 55 Jahren starb er am 11. April 1854 an einer Infektion, die er sich bei der Autopsie eines vermutlich an Typhus oder Fleckfieber verstorbenen Patienten zugezogen hatte. Vier Jahre später erschien die "Glotzaugen-Krankheit" in der Fachliteratur erstmals als "Morbus Basedow". In weiten Teilen Europas jedenfalls. Anders in England und den USA: Geht dort ein Patient mit den typischen Symptomen zum Arzt den hervorquellenden Augen, dem beschleunigten Puls und der vergrößerten Schilddrüse , dann bekommt er nicht die Diagnose "Morbus Basedow", sondern: "Graves‘ Disease".

    Tatsächlich hatte nämlich Robert James Graves, ein bekannter irischer Arzt, schon 1835, also fünf Jahre früher, eine eingehende Darstellung der Krankheit veröffentlicht. Bald nach Basedows Tod wurde sie allgemein bekannt. Bei einer ÄrzteTagung in Paris wurde das Problem 1862 zur Diskussion gestellt. Aber da sprachen schon fast alle Ärzte vom "Morbus Basedow". Die Forderung eines französischen Kollegen, die Krankheit offiziell in "Graves‘ Disease" umzubenennen, wurde ignoriert. Mit der Folge, dass es heute zwei Namen für dieselbe Krankheit gibt. Inzwischen weiß man sogar, dass sie vor Karl Adolf von Basedow und auch vor Robert James Graves mindestens schon vier Mal beschrieben wurde. Diese Ärzte hatten das Pech, mit ihren Schriften entweder gar nicht oder zu spät aufzufallen. Und: Sie hatten, wie man heute sagen würde, keine "Lobby" hinter sich.

    Von Basedow erging es in dieser Hinsicht besser. Und das, obwohl er selber die Entdeckung der "Glotzaugen-Krankheit" zwar für eine große, aber gar nicht unbedingt für seine größte Leistung hielt. Noch stolzer sei er darauf gewesen, meint sein jüngster Biograph Herbert Broghammer, dass er als erster die schädliche Wirkung von arsenhaltigem Kupferoxyd erkannte einem Farbstoff, der damals für viele Zwecke benutzt wurde, zum Beispiel als Tapetenanstrich im so genannten "Schweinfurter Grün".

    Wieder profitierte von Basedow von seiner fulminanten Beobachtungsgabe. Ihm fiel auf, wie viele seiner Patienten über Schwindel, Rheuma, Blutkrankheiten und Gliederschmerzen klagten. Entfernten sie die Tapeten, ging es ihnen bald wieder besser. Andere Ärzte sahen darüber hinweg. Im Alleingang wandte sich von Basedow schließlich an das zuständige Ministerium. Und erwirkte 1848 einen Erlass, der im "Merseburger Amtsblatt" veröffentlicht wurde.
    Zitat: "Verbot der Anwendung der Arsenikfarben zu Tapeten und Anstrichen, des Handels mit denselben bei 5 bis 50 Taler Strafe!"

    Unzähligen Merseburgern blieb damit die "Tapetenkrankheit" erspart. Andere hatten darunter noch sehr viel länger zu leiden. Erst 1882 ist das "Schweinfurter Grün" in ganz Deutschland verboten worden.