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125 Jahre Künstlerkolonie Worpswede
Vexierbild widersprüchlicher Kräfte der Moderne

Auf vier Worpsweder Institutionen verteilt ist die Schau zum 125-jährigen Geburtstag der berühmten Künstlerkolonie zwischen Hamburg und Bremen. Dabei verzichtet sie darauf, nur den "Mythos" zu beschwören, zeigt vielmehr neben großartiger Malerei auch gebrochene, ambivalente Lebensläufe.

Von Carsten Probst | 12.05.2014
    Die Aufnahme vom 23.05.2012 zeigt das vom Jugenstil-Künstler Heinrich Vogeler gestaltete Gesamtkunstwerk Barkenhoff in Worpswede (Kreis Osterholz). Der einstige Treffpunkt der Worpsweder Künstlergemeinschaft ist hier in seinem restaurierten Zustand zu sehen.
    Der einstige Treffpunkt der Worpsweder Künstlergemeinschaft: das vom Jugenstil-Künstler Heinrich Vogeler gestaltete Gesamtkunstwerk Barkenhoff (Ingo Wagner /dpa)
    Glücklicherweise haben die beiden Kuratoren der Versuchung widerstanden, in dieser von einem Großaufgebot regionaler Politiker flankierten Jubiläumsausstellung nur den "Mythos" Worpswede zu beschwören. Katharina Grothe und Björn Hermann haben ihre auf insgesamt vier Worpsweder Institutionen verteilte Schau klugerweise aber als Vexierbild der widersprüchlichen Kräfte der Moderne konzipiert. Wen hier die großen Namen locken – Modersohn-Becker, Vogeler, Hoetger –, der findet nun bei Weitem nicht nur großartige Malereien, sondern auch gebrochene und ambivalente Lebensläufe, findet auch höchst unterschiedliche Weisen vor, das ganze vermeintliche ländliche Idyll bei Bremen und die vorgebliche Einheit von Kunst, Natur und einfachem Leben, die ersten Künstlern hier vorgeschwebt haben mag, zu verstehen.
    Anfänge der Künstlerkolonie um 1889
    An den Anfängen der Künstlerkolonie, um 1889, stand vermutlich tatsächlich die Idee eines deutschen Barbizon, einer Fortsetzung zur berühmten Künstlerkolonie im Wald von Fontainebleau, die wesentlich auf Impressionisten und Fauvisten gewirkt hat. Die ersten Worpsweder Künstler wandten sich bewusst von der Industrialisierung ab, verstanden sich in diesem Sinn als gerade Anti-Modern, weil sie nach zeitlosen Ausdrucksformen und Gegenständen in der Kunst suchten. Fritz Mackensen, der später völkisch beseelte Gründer der Bremer Kunsthochschule, gehörte zu diesen ersten, die das Künstlerdorf Worpswede mitbegründeten. In seine Malerschule am Ort holte er zahlreiche junge Künstler nach Worpswede – darunter auch Otto Modersohn und Paula Becker oder Clara Westhoff, Rilkes spätere Frau. Heinrich Vogeler war bereits dort, hatte sein Haus, den Barkenhoff, jugendstilartig ausgebaut, er wurde zu einem wichtigen Treffpunkt der Koloniekünstler.
    Wandel der künstlerischen Ideen um die Jahrhundertwende
    Vogelers Barkenhoff beherbergt jetzt jene Sektion der Ausstellung, die sich dem allmählichen Wandel der künstlerischen Ideen der Moderne um die Jahrhundertwende widmet und dem allmählichen Eindringen auch in die Abgeschiedenheit der Künstlerkolonie. Paula Modersohn-Becker, zur damaligen Zeit bis zu ihrem frühen Tod 1907 noch völlig unbekannt, brachte aus Paris neue, radikale Ansätze der Naturwahrnehmung mit, die in sich schon einen Bruch mit dem sensualistischen Pathos vieler Worpsweder Kollegen darstellte.
    Der räumlich und inhaltlich am meisten ausgreifende Ausstellungsteil folgt dann jedoch in der großen Kunstschau, jenem von Bernhard Hoetger 1927 entworfenen, expressionistischen Kunstkaten-Ensemble, das durch weitere Anbauten seit den 70er-Jahren in eine stattliche Kunsthalle erweitert wurde. Hier bündeln sich in den Biografien Hoetgers, Fritz Mackensens und Heinrich Vogelers die künstlerischen Utopien und Abgründe der einstigen Kunst- und Natursymbiose, denen auch das Ideal der Worpsweder Künstlerkolonie entsprang. Mackensen, als Maler ursprünglich dem Naturalismus verhaftet, entpuppt sich mit dem Niedergang der Moderne als völkischer Aktivist, dem die zweifelhafte Ehre zuteilwurde, in Hitlers Gottbegnadeten-Liste aufgenommen und zuvor bereits auf der "Großen Deutschen Kunstausstellung" in München gezeigt zu werden, was freilich seiner Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz 1953 nicht im Weg stand.
    Niedergang der Moderne im Dritten Reich
    Mit einem Aufstieg im Dritten Reich liebäugelte wohl auch der gewiefte Bernhard Hoetger, der einst schon die Darmstädter Künstlerkolonie mit geprägt hatte, ehe er nach Worpswede kam; aber er scheiterte als "entarteter Künstler" und wurde aus der NSDAP ausgeschlossen, der er proaktiv beigetreten war.
    Heinrich Vogeler schließlich, der als Maler eher zunächst dem Symbolismus zuzuordnen gewesen war, war als Pazifist und Kommunist der anderen Seite verpflichtet, er ging in die Sowjetunion und produzierte als Günstling des Stalin-Regimes eine Reihe von Partei-Programm-Bildern, die aus kunsthistorischer Sicht zweifellos zu den bedeutenderen Zeugnissen deutscher Kunst dieser Zeit gehören – vereinen sie doch das Erbe des Symbolismus und einer ländlich geprägten Genre-Szene-Malerei mit dem konstruktivistischen und typografischen Erbe der Revolutionskunst, was ihn durchaus in Konflikt mit den Grundsätzen des sozialistischen Realismus brachte. Der erhoffte Beitritt zur KPDSU wurde ihm verwehrt, Vogeler starb auf der Flucht vor den Nazis in Kasachstan.
    Nach 1945 findet in Worpswede mit einer neuen Künstlergeneration eine allmähliche künstlerische Aufarbeitung jenes ambivalenten modernen Mythos des Künstlerdorfes statt, was bemerkenswert genug ist, auch wenn die bahnbrechenden Einflüsse der Frühzeit naturgemäß nicht mehr wiederholbar waren. Mit den Mitteln einer gegenständlichen Kunst etwa eines Richard Oelze oder Fritz Uphoff setzte aber durchaus eine Tradition fort, die seither das Überleben des Künstlerortes Worpswede vor dem Absinken in die reine Musealität bewahrt.