125. Todestag von Vincent van Gogh

Spät berufen, früh vollendet

Ausschnitt aus dem Gemälde "Sämann bei untergehender Sonne" von Vincent van Gogh, Arles, November 1888.
Ausschnitt aus dem Gemälde "Sämann bei untergehender Sonne" von Vincent van Gogh, Arles, November 1888. © picture alliance / dpa / Van Gogh Stichting Amsterdam
Von Carmela Thiele · 29.07.2015
Vincent van Goghs Bilder erzielen heute Höchstpreise, dabei war der Niederländer ein Spätberufener. Sein unverwechselbarer Malstil beruhte weniger auf Talent als auf diszipliniertem Studium der Motive. Vor 125 Jahren starb der Künstler.
"Es sind endlos weite Kornfelder unter trüben Himmeln, und ich habe den Versuch nicht gescheut, Traurigkeit und äußerste Einsamkeit auszudrücken. Ihr werdet sie hoffentlich bald sehen - denn ich möchte sie sobald es geht nach Paris bringen; ich glaube fast, diese Bilder werden Euch etwas sagen, was ich mit Worten nicht ausdrücken kann; nämlich, dass ich Gesundes und Kraftgebendes im Landleben erblicke."
Spricht Vincent van Gogh von einem seiner letzten Bilder "Kornfeld mit Krähen"? Zu dem angekündigten Besuch bei seinem Bruder Theo in Paris sollte es nicht mehr kommen. Der Maler schrieb diese Zeilen 20 Tage vor seinem Tod. Er starb am 29. Juli 1890 an den Folgen eines Suizid-Versuchs in Auvers-sur-Oise.
Zuvor schien sich sein Gesundheitszustand gebessert zu haben; die Heilanstalt in Saint Rémy hatte er verlassen, er lebte nun auf dem Lande, nordöstlich von Paris, und arbeitete wie im Rausch.
In den letzten 70 Tagen seines Lebens schuf er 70 Gemälde in jenem Stil, für den ihn die Nachwelt feiern sollte: mit bewegtem Pinselstrich in grell leuchtenden Farben wie er sie im "Sämann mit untergehender Sonne" verwendet hatte. Van Gogh in einem Brief an seinen Maler-Freund Émile Bernard:
"Der Himmel Chromgelb I, fast ebenso grell wie die Sonne selbst, die Chromgelb I ist mit ein wenig Weiß, während der übrige Himmel eine Mischung aus Chromgelb I und Chromgelb II ist. Sehr gelb also."
Unermüdliche Materialexperimente
Vincent van Gogh war ein Spätberufener und ein Frühvollendeter. Der 1853 in den Niederlanden geborene Sohn eines Pastors hatte zunächst versucht, im Kunsthandel und dann als Prediger Fuß zu fassen. Er war bereits 27 Jahre alt, als er ernsthaft mit der Kunst begann, 37, als er starb.
Systematisch arbeitete er zunächst Lehrbücher durch, kopierte Vorlagen, schrieb sich sogar für Zeichenkurse an der Akademie in Brüssel und später in Den Haag ein. Denn ein Naturtalent war er nicht; das akademische Zeichnen fiel ihm schwer.
Van Gogh suchte nach unmittelbarem Ausdruck. Der ehemalige Direktor der Hamburger Kunsthalle Uwe M. Schneede:
"Zunächst mal finde ich schon, dass er derjenige ist, der am radikalsten unter den Wegbereitern der Moderne dem 20. Jahrhundert den Boden bereitet hat. Und zwar sowohl was die Eigenmacht, den Eigensinn der bildnerischen Mittel angeht, als auch was die Inhaltlichkeit von Bildern angeht. Es ist ja nicht so, dass im Werk von Gogh es einseitig alles auf die Abstraktion zu läuft, sondern er ist zugleich jemand gewesen, der, im Gegensatz zu den Impressionisten, sehr großen Wert daraufgelegt hat, wieder Inhalte, und zwar existenzielle, grundlegende Menschheitsfragen in die Bilder hineinzubringen."
Ein aus Blumen gemachtes Porträt von Vincent van Gogh im niederländischen Lisse.
Ein aus Blumen gemachtes Porträt von Vincent van Gogh im niederländischen Lisse.© AFP / Remko de Waal
Vom harten Landleben geformte Menschen im kantigen Zeichenstil
In seiner niederländischen Heimat, in Drenthe und Etten, hatte er Arbeiter und Bauern gebeten, ihm Modell zu sitzen. Die vom harten Landleben geformten Menschen stellte er in kantigem Zeichenstil dar. In seinen ersten Gemälden wie den "Kartoffelessern" verwendete er matte Brauntöne. Erst später in Paris, als er die Werke der Impressionisten und Pointillisten kennen lernte, hellte sich seine Palette auf.
Van Gogh suchte Kontakt zu Gleichgesinnten, freundete sich mit Henri Toulouse-Lautrec, Emile Bernard und Paul Gauguin an. Doch die quirlige Großstadt setzte dem empfindlichen Künstler zu.
Er sehnte sich nach Licht und einer Umgebung, in der er ungestört im Freien zeichnen und malen konnte. Es zog ihn nach Südfrankreich, nach Arles, wo er von einem Künstlerkollektiv träumte. Paul Gauguin war der Einzige, der seiner Einladung folgte. Nach dem ersten Krankheitsschub van Goghs reiste auch er ab.
"Was immer drängt, ist das Zeichnen, und ob man das nun direkt mit dem Pinsel tut oder mit etwas anderem, der Feder zum Beispiel, zeichnen tut man nie genug. Ich suche jetzt, das Wesentliche zu übersteigern und das Alltägliche absichtlich vage zu belassen."
In seinen Briefen an seinen Bruder reflektierte Vincent sein Werk. Neuere Forschungen belegen seine unermüdlichen Materialexperimente, seine Verwendung von Hilfsmitteln, seine ambitionierten Lektüren. Das Werk Vincent van Goghs, des vermeintlich spontan die "Sonnenblumen" malenden Jahrhundertgenies, war auch das Ergebnis systematischer Arbeit. Diese allerdings stand im Dienste einer Malerei, die etwas aussagen sollte über den Menschen, über seine Einsamkeit, seine Ängste, aber auch seine Hoffnungen.
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