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14.6.1954 - Vor 50 Jahren

... es sind insgesamt 126 Persönlichkeiten, die das Kuratorium der Volksbewegung für die Wiedervereinigung bilden. ... Es sind Persönlichkeiten aus allen Parteien des Bundestages, aus dem Kultur- und Geistesleben, aus den großen wirtschaftlichen und sozialen Verbänden, aus allen Schichten und wesentlichen Gruppen unseres Volkes. Nicht zu vergessen die Jugend und die Frauen.

Von Peter Hölzle | 14.06.2004
    Der das sagt, heißt Jakob Kaiser, ist Minister für gesamtdeutsche Fragen im zweiten Kabinett Konrad Adenauers. Er sagt es - heute vor fünfzig Jahren - am 14.Juni 1954 in Bad Neuenahr und hat dafür einen triftigen Grund: An diesem Tag gründet er mit den genannten Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, aus Wirtschaft und Gewerkschaften im idyllischen Ahr-Städtchen jenes "Kuratorium Unteilbares Deutschland", das sich in den fünfziger und sechziger Jahren immer dann kräftig zu Wort meldete, wenn der Wiedervereinigungswillen der westdeutschen Politik nachzulassen und der der Westdeutschen zu erlahmen drohte. Diese Sorge war auch der eigentliche Anlass zur Gründung des Kuratoriums. Mit ihr ging eine andere, noch größere, aber unausgesprochene Sorge einher, dass die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs - auch die Westalliierten - nicht wirklich an einer Widervereinigung von Deutschland-Ost mit Deutschland-West interessiert seien. Nicht von ungefähr betont Kaiser in seiner Gründungsansprache deshalb:

    Dieses Kuratorium ist schon der Ausdruck der im ganzen Volk immer mehr wachsenden Überzeugung: Wir, die Deutschen selbst, sind an erster Stelle berufen und verpflichtet, der Zerreißung unseres Landes entgegenzuwirken.

    An breiter Unterstützung hat es nicht gefehlt, auch nicht an motivierten Mitstreitern. Zu nennen ist vor allem der rührige Vorsitzende des Kuratoriums, Wilhelm Wolfgang Schütz. Aber von Anfang an war auch Skepsis im Spiel; selbst beim Präsidenten des Kuratoriums, Paul Löbe. In einer Rundfunkansprache, die der Sozialdemokrat und frühere Reichstagspräsident kurz nach seiner Wahl am 20.Juli 1954 hielt, klang sie an:

    Nur wenn wir unseren Landsleuten im Westen ständig ins Gewissen hämmern, dass die Wiedervereinigung die erste und wichtigste Aufgabe für Deutschland ist, kann diese Zuversicht unerschüttert bleiben. Dafür nun will unsere Organisation wirken. Wir wollen jedem Deutschen begreiflich machen, dass er hier nicht gleichgültig werden darf.

    Aber warum sollten sich die Deutschen engagieren, wo doch der Regierungschef höchst selbst dem Kuratorium bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Gleichgültigkeit zeigte? Konrad Adenauers Desinteresse hing zum einen mit der Person Jakob Kaisers zusammen: der linke Christdemokrat Kaiser war dem rechten Christdemokraten Adenauer suspekt. Zum anderen passte dem Kanzler die ganze Richtung nicht. Der nüchterne Realpolitiker Adenauer hatte die Wiedervereinigung längst abgeschrieben. Er konzentrierte all seine Kraft auf andere Ziele: die Westintegration und die Erlangung der Souveränität des Teilstaates Bundesrepublik. In dieser Perspektive war die breite Aktivierung des Wiedervereinigungswillens in der Bevölkerung, wie sie das Kuratorium mit der Gründung von Ortskuratorien in vielen deutschen Städten, mit Brief-, Geschenk und Besuchsverkehr mit der "Sowjetzone" betrieb, eher hinderlich. Da wundert es nicht, dass die Appelle des Kuratoriums die breiten Massen nicht erreichten, so sehr dies Präsident Löbe am 20.Juli 1954 im Rundfunk auch wünschte:

    ... wenn das deutsche Volk in Ost und West unserem Rufe folgt, dann wird eine Bewegung anschwellen, die eines Tages unwiderstehlich ist.

    Die Bewegung ist nicht angeschwollen. Sie ist folglich auch nicht unwiderstehlich geworden. Vielmehr ist sie, von den politischen Ereignissen überholt, langsam abgeebbt, um nach der Wiedervereinigung 1992 endgültig zu verschwinden.