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14.7.1904 - Vor 100 Jahren

Er war eigentlich ein Russe, dann Pole, später besaß er die längste Zeit seines Lebens einen amerikanischen Pass. Befragt nach seiner Nationalität, antwortete Isaac Bashevis Singer stets: "Ich bin ein jiddischer Schriftsteller". Das Jiddische war seine Welt, in der er schrieb und sprach.

Von Joachim Scholl | 14.07.2004
    Shiddah und Kuziba – wie hier, in der Erzählung über zwei Fabelwesen aus der jüdischen Mystik, kreist Isaac Bashevis Singers gesamtes weit gespanntes Werk in einem geistigen Raum, wo sich Religiosität und Erotik mischen, das Sagenhafte und das handfest Realistische, Tradition und Moderne unablässig und konfliktreich, aber auch auf skurrile Weise humoristisch miteinander in Verbindung treten. Die Geschichten spielen vornehmlich in der jüdischen Welt des Ostens, noch vor der großen Vernichtung, in der Sphäre des "Shtetl", wie man jenen so fruchtbaren sozialen und kulturellen jüdischen Getto-Kosmos bezeichnet hat, der in Singers Literatur wieder lebendig und von ihr bewahrt wird. Dabei gehen Autobiographie und Fiktion untrennbar ineinander über. Der Autor selbst entstammt dem "shtetl": Geboren 1904 in dem kleinen, damals noch russischen Örtchen Radzymin, wuchs Isaac Bashevis Singer in Warschau auf, wo sein Vater als Rabbiner ohne feste Anstellung die Familie über Wasser hielt. Den zweiten Namen "Bashevis - Sohn der Batsheba" gab sich Singer selbst; Batsheba hieß seine Mutter. Obwohl streng gläubig erzogen, entfloh der knapp Zwanzigjährige nach einigen Semestern am Warschauer Rabbinerseminar dem religiösen Milieu – zusammen mit seinem älteren Bruder Israel Joshua, der als erster den Entschluss gefasst hatte, ein Schriftsteller zu werden. Unter Joshuas Einfluss schrieb und veröffentlichte Isaac seine ersten Geschichten in jüdischen Zeitungen. 1935 emigrierten die Brüder in die USA – Joshua hatte ein Job-Angebot der jiddischen Zeitschrift "Jewish Daily Forward" in New York angenommen. Mit auf die Reise nahm Isaac das Manuskript seines ersten Romans. In der 1983 auf deutsch erschienenen Autobiographie "Verloren in Amerika" erinnert sich der Autor an diesen Aufbruch und Start seiner Schriftsteller-Karriere.

    Ich zeigte meinem Bruder das erste Kapitel meines Romanes, und seine Reaktion war positiv. Abe Kahn, der Herausgeber des "Forward", hatte es auch gelesen und eine freundliche Besprechung darüber gedruckt. Ich sollte 50 Dollar die Woche bekommen, solange die Fortsetzungen erschienen – für jemanden wie mich eine phantastische Summe.

    Es sollte allerdings noch lange dauern, bis sein Name wirklich bekannt wurde. Dem "Jewish Daily Forward" blieb Singer sein Leben lang treu, fast alle seiner zahlreichen Romane und Erzählungen erschienen zunächst in dem jüdischen Blatt, ausschießlich in Jiddisch, so auch die schließlich dreiteilige Saga "Die Familie Moschkat", ein großformatiges Panorama jüdischen Lebens zwischen 1910 und 1939, das auch Singers eigenen Konflikt mit dem Glauben und der Hoffnung auf Erlösung widerspiegelt: "Der Tod ist der Messias" lautet der letzte, sarkastische Satz. In der englischen Übersetzung wurde das Buch 1950 Singers erster großer Erfolg, sieben Jahre später sorgte der Kollege Saul Bellow mit seiner Übertragung der Erzählung "Gimpel, der Narr" für den endgültigen Durchbruch. Stilistische Klarheit, realistische Psychologie, überschaubare Geschichten, die im Besonderen das Allgemeine, im Kleinen das Große, Universale, in der Trauer den Humor aufleuchten ließen und dabei pfiffig geistreich und sexy zugleich waren – daran erkannte man fortan eine typische Singer-Geschichte. An der jiddischen Sprach-Barriere hielt er energisch fest, für ihn war das Idiom der ostjüdischen Ashkenasim nicht nur Symbol einer versunkenen, weil vernichteten Welt, sondern Heimat und authentische Quelle seiner Literatur.

    Man fragt mich oft: Warum schreibst du jiddisch? Warum sollte ich nicht, antworte ich dann. Soll ich türkisch schreiben, oder chinesisch? Meine Eltern, Vater und Mutter, haben beide jiddisch gesprochen. Und Fakt ist, dass man im Jiddischen die tiefsten Dinge ausdrücken und beschreiben kann: die Philosophie, die Wissenschaft – es gibt kein Gebiet, das das Jiddische nicht durchdringen könnte. Ich habe mir gesagt: Das ist meine Sprache, in dieser Sprache will ich entweder gewinnen oder verlieren.

    Und er gewann – stetig an Ruhm, der 1978 in der Verleihung des Nobelpreises für Literatur gipfelte. Trotz dieses Triumphs blieb Isaac Bashevis Singer ein bescheidener Mensch, er mied die Öffentlichkeit, zuletzt lebte er zurückgezogen in einem Pflegeheim in Miami, wo er am 24. Juli 1991 im Alter von 87 Jahren starb. Seine literarische Leistung fasste er einmal in dem Satz zusammen: "Ich habe ein exzellentes Gedächtnis und bin ein guter Lügner". Das seien die zwei wesentlichen Voraussetzungen dafür, ein anständiger Schriftsteller zu werden.