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140. Todestag von Julia Margaret Cameron
Die Erfinderin der Nahaufnahme

Julia Margaret Cameron führte ein sorgloses Leben als wohlhabende Frau und Mutter im British Empire - bis sie mit Ende vierzig eine Kamera geschenkt bekam. Schnell wurde ihr das Fotografieren zur Leidenschaft - und sie selbst zur berühmtesten Porträtfotografin ihrer Zeit.

Von Anette Schneider | 26.01.2019
    John Herschel, Fotografie aus dem Jahr 1867.
    Julia Margaret Cameron war es wichtig, dass die Fotos berühmter Zeitgenossen - etwa von dem Astronomen Sir John Herschel - auch deren innere Größe abbildeten (Julia Margaret Cameron)
    Weihnachten 1863 erhielt die 48-jährige Julia Margaret Cameron von ihrer Tochter eine große Plattenkamera als Geschenk. Zum Zeitvertreib.
    "Ich begann ohne jede Vorkenntnis. Ich wusste nicht, wo ich meine Kamera platzieren sollte, wie ich die Schärfe einstellen musste, und mein erstes Bild wurde zu meinem Entsetzen zerstört, als ich mit der Hand über die Beschichtung der Glasplatte fuhr."
    Für eine Dame der obersten viktorianischen Gesellschaft war die gerade aufkommende Fotografie ein ausgesprochen ungewöhnliches Hobby. Noch ungewöhnlicher war, dass Julia Margaret Cameron binnen kurzem zur berühmtesten Fotografin ihrer Zeit wurde.
    Kohlenkeller als Dunkelkammer
    Julia Margaret Cameron wurde 1815 in einer wohlhabenden, britischen Familie im indischen Kalkutta geboren, hatte mit Anfang 20 einen hohen Staatsbeamten geheiratet, der riesige Ländereien auf Ceylon besaß, und sechs Kinder bekommen. Nach der Pensionierung ihres Mannes kehrte die kunstinteressierte Familie zurück nach England. Auf der Isle of Wight, damals Wohnort zahlreicher Künstler und Intellektueller, stürzte sich Cameron in das Abenteuer Fotografie.
    "Mein Kohlenkeller wurde zur Dunkelkammer und ein gläsernes Hühnerhaus, das ich einst meinen Kindern geschenkt hatte, wurde mein Atelier."
    Cameron hantierte mit Bromsalzen, Silbernitrat, Eisensulfatlösungen und anderen Chemikalien, um die großen Glasplatten für die Fotos zu präparieren und später zu entwickeln.
    "Es ist mir zur täglichen Gewohnheit geworden, mit jeder Platte zu (meinem Mann) zu laufen und seinem enthusiastischen Beifall zuzuhören. Diese Angewohnheit, mit meinen nassen Bildplatten ins Esszimmer zu laufen, hat eine so große Anzahl von Tischdecken mit unentfernbaren Flecken von Silbernitrat verdorben, dass ich aus jedem weniger duldsamen Haushalt verbannt worden wäre."
    Innovative Fotografie mit Unschärfe
    Und während professionelle Porträtfotografen das neue Medium wegen seiner scharfen, detailgetreuen Wiedergabe feierten, entdeckte Margaret Cameron ganz andere Möglichkeiten.
    Marta Weiss, Fotohistorikerin des Londoner Victoria & Albert Museum, im australischen Fernsehen ABC:
    "Sie war eine der innovativsten Fotografinnen des 19. Jahrhunderts. Sie erfand das Closeup, also die Nahaufnahme. Und sie war eine der ersten, die absichtlich unscharf fotografierten, weil sie fand, dass auf diese Weise die Bilder schöner würden."
    In ihren Porträts berühmter Zeitgenossen etwa konzentrierte sich Cameron ganz auf die Gesichter. Ob sie den Naturwissenschaftler Charles Darwin, den Schriftsteller William Thackeray oder den Astronomen Sir John Herschel fotografierte - stets nutzte sie Licht- und Schattenwirkungen, Schärfen und Unschärfen, betonte zum Beispiel nur die Augen und ließ den Rest des Kopfes samt Hintergrund verschwimmen.
    "Wenn ich solche Männer vor meiner Kamera hatte, bemühte ich mich aus ganzer Seele, sowohl die innere Größe als auch das Äußere der Betreffenden gewissenhaft wiederzugeben."
    Selbstsichere Künstlerin
    Daneben entwickelte sie ungewöhnlich intime Frauenporträts: Cameron zeigte junge Mädchen mit aufgelösten, langen Haaren und melancholischem Blick im Stil der Malerschule der Präraffaeliten. Oder sie stellte sie als historische und mythologische Allegorien dar, als Idealbildnisse von Schönheit und Tugend.
    "Mein Bestreben ist es, die Fotografie zu veredeln und ihr den Charakter und die Wirkung einer hohen Kunst zu sichern."
    Selbstbewusst verstand sich Margaret Cameron als Künstlerin. Sie versah ihre Bilder mit einem Copyright, verlangte für sie Preise wie für Ölgemälde und schrieb mehrfach an den Direktor des "Victoria & Albert Museum", er möge ihre Arbeiten ausstellen.
    "Die Briefe vermitteln eine Vorstellung von ihrer Persönlichkeit: Sie ist extrem selbstsicher. Sogar in ihrer Handschrift sieht man ihre ungeheuer energische Art: Alles drängt vorwärts. Sie schrieb an Henry Call, weil sie dachte, dass ihre Fotografien ihn vor Freude hinreißen würden. Sie war keine bescheidene Frau."
    Trotz Kritik unbeirrt
    Tatsächlich zeigte das Museum nicht nur eine ihrer ersten Ausstellungen, sondern kaufte auch Bilder von ihr an. Dagegen reagierten viele Kritiker immer wieder mit Unverständnis auf ihr Werk. So schrieb das "Photographic Journal" 1865:
    "Mrs. Cameron wird bessere Ergebnisse erzielen, wenn sie den richtigen Gebrauch ihres Gerätes erlernt hat."
    Als Julia Margaret Cameron 1875 auf ihr Landgut nach Ceylon zog und nur noch für sich selbst fotografierte, wurden ihre Arbeiten längst international ausgestellt. Die Kritik an ihrem Stil hatte die unkonventionelle Künstlerin, die am 26. Januar 1879 starb, nie verunsichern können.