Donnerstag, 28. März 2024

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15.1.1904 - Vor 100 Jahren:

Und darauf schrieb ich in dieses Telegramm: Empfehle genial begabten Regisseur Oscar Fritz Schuh – ich wurde sofort engagiert

Von Ruth Fühner | 15.01.2004
    ... und zwar an die Hamburgische Staatsoper. Das war 1932, Oscar Fritz Schuh war 28 Jahre alt. Dass er zum Theater wollte, wusste der Münchner Tierarztsohn früh. Erste Theaterkritiken veröffentlichte er mit 17 – und ließ wohlweislich den Redakteur im Unklaren über sein Alter. Mit 18 hatte er den ersten Regieauftrag. Ausgerechnet in Augsburg, der Geburtsstadt des sechs Jahre älteren und damals sehr von ihm bewunderten Brecht. Das Stück allerdings war eins von Gerhart Hauptmann: "Hanneles Himmelfahrt", was wohl auch besser passte. Schuh liebte das Geheimnisvolle, beschäftigte sich auch zeitlebens, wiewohl Atheist, mit religiösen Fragen. So hielt er es eher mit dem poetischen als mit dem politischen Theater und war von Brecht später nur gelangweilt. Für Schuh zählte nicht die Verbesserung der Welt, sondern die der Bühne. So hatte er als Gymnasiast die Münchner Räterepublik neugierig beobachtet - doch nur aus Interesse am Schauspiel, das sie bot. Und auf Fragen nach den großen gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts, die schließlich auch das Theater nicht unbeeinflusst ließen, antwortete er immer mit irritierter Verständnislosigkeit. Nicht dass er naiv gewesen wäre. Während des Nationalsozialismus inszenierte Oscar Fritz Schuh in Prag, Hamburg und Wien und bei den Salzburger Festspielen – aber er hielt stets auf Distanz zum Regime.

    Ich habe immer gesehen, dass ich nie mit einem Offiziellen fotografiert werde, dass ich mich fern halte von denen ... und jeden Schritt darauf überprüft, was konnte mir nach dem Krieg schaden. Wenn Sie wollen können sie mich einen Opportunisten nennen – der auf Niederlage spekulierte.

    Dass einer, wie Schuh es tat, Schauspiel und Oper gleichzeitig inszenierte, war damals noch eine Seltenheit. Und kein Zufall. Oscar Fritz Schuh war ein Verfechter dessen, was er "totales Theater" nannte – und dazu gehörten unabdingbar auch Musik und Pantomime.

    Das ursprüngliche Theater lebte aus der Geste, die Sprache ist nur sekundär. Wenn der Schauspieler die richtige Geste hat, hat er auch den richtigen Ton für seine Rolle.

    Schuhs glücklichste Jahre waren die als Leiter des Berliner Theaters am Kurfürstendamm – ein Apparat von überschaubarer Größe, ein Mauerblümchen, das er Anfang der Fünfziger Jahre zum Aufblühen brachte. Es war ein ausgesprochen wienerischer Spielplan, den der süddeutsch geprägte Schuh hier durchsetzte, Schnitzler, Hofmannsthal, Nestroy, Raimund, oft in komplett österreichischer Besetzung. Von diesem "Spezialitäten-Theater" – an dem er sich in durchaus gewünschter Konkurrenz zum geliebt-verhassten Brecht sah – wechselte Schuh 1959 nach Köln. Der Dreispartenbetrieb eines Staatstheaters, auf dem eine ganz andere Verantwortung lastete als auf dem kleinen Berliner Haus, wurde ihm sauer. Nach internen Querelen nahm er vorzeitig seinen Abschied. Danach trat er das schwere Erbe von Gustaf Gründgens am Hamburger Schauspielhaus an. Auch diese Ära endete vorzeitig – nicht nur wegen Schuhs patriarchalischer Ensemblepolitik, sondern auch wegen seines angeblich "zu düsteren" Spielplans. Es war die Zeit, als das politische Regietheater immer mehr Fuß fasste. Schuh zog die Konsequenz und kehrte zurück zu den Anfängen des deutschen Theaters – zum Thespiskarren. Mit seinem komödiantischen Salzburger Straßentheater, einer Feier des sprechenden Körpers und der Poesie, wurde er unbeabsichtigt und unbedankt zum Vorreiter der nächsten großen Welle des jungen deutschen Theaters. 1984 starb er in seinem Haus bei Salzburg – bis zuletzt ein Mann, der das wirkliche Leben als Leben aus zweiter Hand empfand.

    Theatermann ist man, das wird man nicht, damit wird man geboren. Man sieht eben, dass das wirklich Wichtige auf der Bühne geschieht, was im Leben geschieht, nimmt man nicht so ernst.