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15.6.1924 - Vor 80 Jahren

Das Schicksal hat es gewollt, dass ich und die Angehörigen meiner Generation in einer Zeit geboren wurden, in der die Juden in ihr Land zurückkehrten und es neu aufbauen konnten. Ich bin nun nicht mehr ein Jude, der in der Welt umherwandert, der von Exil zu Exil getriebene Flüchtling.

Von Ruth Fühner | 15.06.2004
    Ezer Weizman kam 1924 in Tel Aviv zur Welt - nicht in der jüdischen Diaspora also, sondern schon im damaligen Palästina. Als Sohn eines erfolgreichen Bauunternehmers und Neffe des späteren israelischen Staatspräsidenten Chaim Weizmann – als Spross also der israelischen Aristokratie, selbstbewusst und unabhängig im Urteil bis zur Starrköpfigkeit. Aufgewachsen in Haifa, unter Arabern, spricht er ihre Sprache und kennt Kairo, Damaskus und Beirut aus der Zeit, als er seinen Vater im amerikanischen Straßenkreuzer durch die Metropolen der Region begleitete. Was aus ihm noch lange keine Friedenstaube macht. Mit achtzehn meldet er sich zur britischen Royal Airforce, fliegt als Kampfpilot Einsätze gegen Rommels Truppen in Nordafrika, geht danach gegen die Briten in den Untergrund und baut die israelische Luftwaffe auf, mit der er zu Beginn des Sechstagekriegs binnen Stunden die ägyptische Flugstaffel lahm legt. Danach hofft er auf die Ernennung zum Oberbefehlshaber der israelischen Streitkräfte. Als sie ausbleibt, reagiert Weizman auf für ihn typische Weise: Er wirft den Bettel hin und sattelt um. In der konservativen Partei seines alten Kampfgenossen Menachem Begin steigt er zum Minister auf. Da ist er noch der Überzeugung, dass Gaza und die Westbank als biblische Kerngebiete Judäa und Samaria untrennbar zu Großisrael gehören. Doch nicht mehr lange. Zweimal überwirft er sich mit Begin wegen dessen Weigerung, in Friedensverhandlungen mit den arabischen Nachbarn und den Palästinensern einzutreten. Zweimal verlässt er das Kabinett, schließlich auch den rechten Likudblock.

    Was aus dem homophoben Macho und Falken einen Vorkämpfer des immer wieder stockenden Friedensprozesses gemacht hat, ist eines der beiden Rätsel in der Karriere des Ezer Weizman. War es die schwere Kriegsverletzung seines Sohnes Schaul? Die Überzeugung, dass Friede wichtiger ist als Land? Oder die frühe Einsicht, dass Israel sich plötzlich allein auf der Welt finden könnte, nachdem der Westen in der Ölkrise die arabischen Länder als Partner entdeckt hat? Sicher ist, dass sich Weizman Ende der 70er Jahre mit dem ägyptischen Präsidenten Anwar El-Sadat anfreundet. Mit ihm setzt er in Camp David den ägyptisch-israelischen Friedensvertrag durch.

    Der Friedensprozess ist der wichtigste Prozess seit der Gründung des Judenstaats ... Immer wieder haben wir die Hand zum Frieden ausgestreckt, immer wieder mussten wir in Kriege ziehen ... und immer wieder mussten wir entdecken, dass sich auch jenseits der größten Siege nur Krise und Verlust verstecken.

    1984 tritt Weizman der sozialdemokratischen Arbeitspartei bei, wird wieder auf verschiedene Ministerposten berufen und betreibt Friedenspolitik auf seine sehr persönliche und unorthodoxe Art. Dazu gehören auch geheime PLO-Kontakte, deren Bekanntwerden zu einer Regierungskrise führt. 1992 gibt Weizman zum dritten Mal sein Parlamentsmandat auf – aus Enttäuschung über das Scheitern der Madrider Nahost-Konferenz. Doch Recht behalten die, die nicht wirklich an den Rückzug dieses politischen Urgesteins glauben. Schon ein Jahr später lässt sich Ezer Weizman zum israelischen Staatspräsidenten wählen – und löst 1996 bei seinem Besuch in der Bundesrepublik einen Skandal aus, als sein Unverständnis für Juden äußert, die in Deutschland leben. Vor dem Bundestag sagt er:

    Als Präsident des Staates Israel kann ich über die Kinder meines Volkes, die die Nazis in den Tod geführt haben, trauern, aber ich kann nicht in ihrem Namen vergeben.

    Unumwunden nutzt der scharfzüngige Weizman das laut Verfassung rein repräsentative Präsidentenamt zur politischen Einflussnahme: zweimal trifft er sich mit Palästinenserführer Arafat und gerät in offenen Konflikt mit Premierminister Benjamin Netanjahu, als er dessen Verzögerungstaktik im Friedensprozess kritisiert. All das schmälert nicht seinen Ruf als wohl beliebtester Politiker Israels. Bis das zweite große Rätsel seiner Karriere auftaucht. Im Jahr 2000 muss sich Weizman dafür rechtfertigen, dass er über Jahre hinweg Gelder von einem befreundeten französischen Geschäftsmann angenommen hat. Zwar kommt es nicht zum Prozess – doch Weizman muss sich dem öffentlichen Druck beugen und tritt zurück. Zu seinem 75. Geburtstag 1999 hatte er sich gewünscht, selbst im Cockpit in eine friedliche Zukunft für Israel zu fliegen. Dass die Erfüllung dieses Wunsches heute, an seinem 80., in noch weitere Ferne gerückt ist – das ist nicht seine Schuld.