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15 Jahre ''glückliche'' Schweine bei Neuland

Das Tierschutzgesetz schreibt vor, ein Tier seinen Bedürfnissen entsprechend verhaltensgerecht unterzubringen ist. Doch Millionen deutscher Mastschweine werden in engen, viel zu dunklen Ställen gehalten.

Lutz Reidt | 02.10.2003
    In der Kritik steht aber auch der Entwurf der neuen Schweinehaltungsverordnung, den die Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast dem Bundesrat vorgelegt hat. Dass es auch anders geht, wollen Tierschützer der Ministerin am kommenden Samstag, dem Welttierschutztag, zeigen. Und zwar auf einem Hof in Langenhagen bei Hannover.

    Lebendig geht´s zu im Schweinestall in Langenhagen bei Hannover. Rosige Leiber wuseln durchs Stroh, manche balgen sich in spielerischem Übermut, während andere friedlich in der Ecke dösen. Hier macht jedes Schwein was es will.

    Der Schweinestall ist so groß wie eine Halle - 50 Meter lang und fast 10 Meter breit, aufgeteilt in 13 Boxen. In jeder Bucht leben 25 Schweine, jedes hat zwischen anderthalb und zwei Quadratmeter Platz - hinzu kommt noch der Stroh bedeckte Auslauf vor dem Stall. Für Wolfgang Apel, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, ein erfreulicher Anblick:

    Einmal möchte ich ja auch glückliche Schweine sehen, um auch den Vergleich darstellen zu können. Hier sehen wir Neuland-Schweine. Ein Projekt, das der Deutsche Tierschutzbund mit initiiert hat und auch mit trägt. Sie haben Auslauf, das ist ein Teil des Neuland-Programms, das Gleiche gilt für andere Tierarten auch, aber die Schwein natürlich auch. Sie haben Freiauslauf, sie haben Beschäftigungsmaterial; hier kommt es nicht zu Kannibalismus, hier braucht es keine Amputationen, wie das Abkneifen von Schwänzen oder Eckzähnen, wie das ja üblich ist. Sondern die Tiere sind frei von Stress, und das macht sich angeblich auch bei der Qualität bemerkbar, aber ich will auf Qualitätsfleisch nicht eingehen, sondern ich will einfach nur auf die Tiergerechtigkeit eingehen.

    Dass eine artgerechte Tierhaltung auch im konventionellen Bereich möglich ist, möchte Hofbesitzer Fritz Engelke der Bundesverbraucherministerin Renate Künast anlässlich des Welttierschutztages am Samstag demonstrieren. Engelke kauft wie alle konventionellen Schweinehalter handelsübliches Futter dazu, wenn sein eigenes nicht ausreichen sollte. Importfuttermittel und Tiermehle sind allerdings bei Neuland verboten, Antibiotika und Leistungsförderer sowieso.

    Wir haben derzeit 511 Schweine. Die Bestandsobergrenze besteht bei Neuland 650 Mastplätze; im Vergleich dazu: ein konventioneller Schweinestall, wenn er gebaut wird heute, liegt irgendwo bei 1.500 Plätzen und aufwärts. Neuland ist dafür eingetreten, den bäuerlichen Familienbetrieb zu erhalten; will heißen: mit dem auf dem Betrieb vorhandenen Familienarbeitskräften diese Arbeit gewährleisten zu können. Die ABL als einer der Träger von Neuland, die "Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft" hat zusammen mit dem Neuland-Vorstand erarbeitet, was ein landwirtschaftlicher Betrieb im Familienbetrieb verdienen muss, um auch existieren zu können; und erarbeiten kann auf der anderen Seite und dort haben wir eben die Grenze 650 Mastschweine, 100 Mutterkühe, maximal 90 Muttersauen gefunden.

    Das ist zwar keine Massentierhaltung - kleinbäuerliche Idylle verkörpern diese Bestandsobergrenzen aber auch nicht. Diesen tierverträglichen Kompromiss sähe Wolfgang Apel gern im Entwurf der neuen Schweinehaltungsverordnung verwirklicht, den Renate Künast dem Bundesrat vorgelegt hat.

    Frau Künast hat sich beim Platz etwas bemüht, aber das reicht nicht aus. Wir haben keine planbefestigten Böden, das heißt, es bleiben die Vollspaltenböden, wir haben kein ausreichendes Beschäftigungsmaterial wie Stroh oder Einstreu - insofern sind die Bemühungen aus dem Hause Künast nicht in die Tiergerechtigkeit gegangen wie wir uns das gewünscht haben. Man kann an Zentimetern noch Positives sehen, aber das hat für das Tier keine Auswirkungen; insofern ist der Schweinehaltungsentwurf, den Frau Künast vorlegt, kein Unterschied zu den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen, die aus unserer Sicht halt tierquälerisch sind und die beendet werden müssen. Ich gewinne dem nichts Positives ab.

    Anders sieht es aus auf dem Neuland-Hof von Fritz Engelke. In den Boxen draußen im Auslauf herrscht jetzt reges Treiben, kaum ein Schwein bleibt noch im Stall liegen. Denn gerade hat Fritz Engelke frisches Stroh einstreuen lassen - für die Schweine ist das fast so schön wie frisches Fressen:

    Schweine haben ja einen bestimmten Tagesablauf. Das sind Ruhephasen, das sind Fressphasen, das sind die sozialen Pflegephasen, das ist der Nestbau; in dem Moment, wo frisches Stroh drin ist, ist sehr deutlich zu beobachten, dass jedes Schwein das frische Stroh ins Maul nimmt, ein großes Bündel, marschiert damit rein und versucht in irgendeiner Form ein Nest zu bauen; eigentlich ureigenste Verhaltensweisen der Schweine, die im Wildschweinbereich ja auch deutlich zu sehen sind.