Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


165 Milliarden Kubikmeter Wasser

Es war eine gigantische Baustelle, auf der etwa 34.000 Menschen unter sengender Hitze arbeiteten: die Errichtung des Assuan-Staudamms in Ägypten. Vor 50 Jahren wurde das gigantische Wasserprojekt gestartet - mit kolossalen Folgen.

Von Irene Meichsner | 09.01.2010
    "Es ist geplant, etwa sechs Kilometer oberhalb des jetzigen Assuan-Staudamms einen neuen Damm zu errichten, den man zum Teil unter dem Namen 'Assuan II' bezeichnet, zum Teil auch unter dem Namen 'Sadd el-Ali', das ist ein ägyptisches Wort und heißt zu deutsch nur 'Hoher Damm'."

    Otto Kirschmer vom Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Technischen Universität Darmstadt war an der Planung des gigantischen Bauwerks maßgeblich beteiligt. In der Nähe der Stadt Assuan im Süden von Ägypten sollte der Nil durch eine über 100 Meter hohe Barriere zu einem See aufgestaut werden – vom Volumen her der drittgrößte Stausee der Welt mit einer Kapazität von bis zu 165 Milliarden Kubikmetern Wasser.

    "Der Stau würde sich stromaufwärts im Nil ungefähr 470 Kilometer auswirken, das wäre also noch über den zweiten Katarakt hinaus, etwa 120 bis 130 Kilometer noch in den Sudan hinein."

    Ägyptens neuer Präsident Gamal Abdel Nasser, der 1952 durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war, erhoffte sich von dem neuen Hochdamm: 25 Prozent mehr landwirtschaftliche Nutzfläche durch kontrollierte Bewässerung, zwei bis drei Ernten pro Jahr, Schutz vor Überschwemmungen, freie Schifffahrt auf dem Nil, mehr Strom und Trinkwasser für die sprunghaft steigende Bevölkerung.

    Die USA hatten versprochen, das ehrgeizige Projekt mitzufinanzieren. Doch es kam anders. Weil Nasser auch mit Russland und China in Verbindung stand, zog Außenminister John Foster Dulles diese Zusage im Juli 1956 abrupt wieder zurück. Nasser reagierte - zu recht verärgert - mit der Verstaatlichung des Suezkanals, woraufhin Israel, Großbritannien und Frankreich militärisch auf der Sinai-Halbinsel und am Suezkanal intervenierten – letztlich ohne Erfolg. Am Ende erteilte Nasser den Auftrag zum Bau des Assuan-Damms nicht den deutschen, sondern russischen Ingenieuren – womit die Sowjetunion erstmals im Nahen Osten Fuß fassen konnte.

    Am 9. Januar 1960 löste Nasser die Explosion aus, mit der die Bauarbeiten am "Hohen Damm" begannen. Vier Jahre später staunte der Radioreporter Georg Basner über die seinerzeit wohl größte Baustelle der Welt.

    "Ich stehe 100 Meter hoch, auf einem senkrechten Felsenabhang. Unten wimmeln Kreaturen – unkenntlich vor Staub und Entfernung. Felsen donnern herunter von irgendwoher, wo ein Schütter sie hinunterschüttet in das Wasser. Zuckende Lichter unter mir, Staubfontänen darunter, die Felsschlucht für die Kraftzentrale der Zukunft. Wo ich hier stehe, ist in drei, vier, fünf, in zehn Jahren turmhoch das Nilwasser über den Menschen."

    34.000 Menschen schufteten in der Wüstenglut.

    "Lohn der ägyptischen Arbeiter: 25 Piaster, 2,50 DM am Tag. Mindestalter 13 Jahre, der älteste vielleicht 70 oder 75. Sie halten das aus, was kein Europäer durchhalten würde. Bei 40,50, 60 Grad, in dieser Wüste aus Fels und Stein, da hat man diese Baustelle hineingesetzt, da liegen sie auf der Erde, in Blechhütten, unter Zelten."

    Am 14. Mai 1964 zündete Nasser, flankiert vom sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow, erneut eine Ladung Dynamit. Unter großem Jubel wurde das erste Teilstück der Nil-Kanalisierung freigesprengt.

    Die Erfüllung seines Lebenstraums hat Nasser nicht mehr miterlebt: Am 15. Januar 1971- vier Monate nach seinem Tod - wurde der rund dreieinhalb Kilometer lange, an der Sohle 980 und an der Krone etwa 40 Meter breite Assuan-Hochdamm vom neuen Staatspräsidenten Anwar as-Sadat seiner Bestimmung übergeben.

    Auch in Dürrezeiten hatte Ägypten jetzt genug Wasser. Aber das Land zahlte dafür einen hohen Preis. Weil durch den Assuan-Damm die fruchtbaren Schlämme ausblieben, die der Nil früher mit sich geführt hatte, mussten die ägyptischen Bauern nun chemische Düngemittel verwenden. Im Nildelta und an den Küsten des östlichen Mittelmeeres kam es wegen der geringeren Mengen von Sedimenten zu bedeutenden Erosionen. Vom menschlichen Standpunkt her trugen die Hauptlast die rund 100.000 Nubier, die früher im Einzugsbereich des fast 500 Kilometer langen und fünf bis 35 Kilometer breiten "Nasser-Sees" zu Hause gewesen waren. Sie wurden größtenteils ins südliche Oberägypten umgesiedelt. Ihre Heimat versank in den Fluten.