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1970 eröffnet
Nationalpark Bayerischer Wald - wo Natur noch Natur sein darf

Den Wald sich selbst überlassen, statt ihn zu gestalten: Der Nationalpark Bayerischer Wald war zu seiner Eröffnung vor 50 Jahren ein richtungsweisendes Projekt. Skeptisch zeigten sich vor allem Forstwirte der Region, beispielsweise als große Waldstücke dem Borkenkäfer zum Opfer fielen.

Von Alfried Schmitz | 07.10.2020
    Der Bayerische Wald durch seine natuerliche Vielfalt von Wald, Seen, Fluessen und Tier-und Pflanzenwelt ist ein Magnet fuer Tourismus. Der Nationalpark Bayerischer Wald hat zahlreiche Urwaldgebiete , wie diesen Watzlik-Hain, die Tieren eine Heimat bieten und den Naturschutz foedern. | Verwendung weltweit
    Den Wald sich selbst zu überlassen, das war 1970 ein Paradigmenwechel (picture alliance / dpa / Klaus Rose)
    "Wir haben im Moment so um die 1,4 Millionen Nationalparkbesucher im Jahr, und die sollen ja naturverträglich Nationalpark genießen, ohne dass Natur dabei zerstört oder geschädigt wird. Wir haben ungefähr auf 40 Prozent unserer Nationalparkfläche sogenanntes Wegegebot zum Schutz zum Beispiel von Auerhühnern, von Haselhühnern. Wenn man sich dran hält, gelingt das Miteinander."
    Franz Leibl ist seit neun Jahren Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald.
    In seiner Begleitung geht es abseits der offiziellen Wege durch dichtes Gehölz. Durch das herbstlich bunte Laub schimmert die Sonne. Auf den verrottenden Resten umgestürzter Bäume wachsen Pilzkulturen, tummeln sich Käfer und Insekten. Das hier ist kein künstlicher Forstwald, sondern wunderbar wilde Natur.
    "Nicht mehr gestalten, alles der Natur überlassen"
    "Nationalpark ist, was die Entwicklung der Natur anbelangt, der Gegenentwurf zur Kulturlandschaft. In der Kulturlandschaft gestaltet der Mensch das Ganze. Und jetzt heißt es in so einem Nationalpark, nicht mehr managen, nicht mehr gestalten, alles der Natur überlassen. Mit einem offenen Ausgang. Wir wissen nicht, was die Natur in den nächsten 10, 20, 50, 100 Jahren mit diesem Wald machen wird.
    "Natur Natur sein" lassen, lautet von Beginn an die Philosophie dieses ersten Nationalparks Deutschlands, der am 7. Oktober 1970 eröffnet wird.
    Doch die Forstwirte der Region stehen diesem Konzept lange Zeit skeptisch gegenüber. Besonders als in den 80er- und 90er-Jahren riesige Waldflächen dem Borkenkäfer zum Opfer fallen und im Bereich des Nationalparks nichts gegen die Schädlinge unternommen wird, hagelt es Proteste. Um die Waldbauern zu besänftigen, einigt man sich darauf, zumindest in unmittelbarer Nähe zu deren angrenzendem Baumbestand Schädlingsbekämpfung im Nationalpark zu betreiben.
    "Der Wald vergeht nicht, er findet sich neu"
    Das Kerngebiet des heute 242 Quadratkilometer großen Nationalparks ist jedoch nach wie vor gänzlich unberührte Natur. Auch die Bereiche, in denen Borkenkäfer und Starkwinde gewütet haben, werden der Natur überlassen. Mit überraschendem Ergebnis:
    "Der Wald vergeht nicht, sondern der Wald findet sich neu. Er wächst vital weiter, ob der Mensch jetzt pflanzt oder nicht pflanzt, ist vollkommen belanglos. Das macht die Natur von sich aus. Im forstwirtschaftlichen Bereich setzt man ja jetzt schon auf fremdländische Baumarten. Unser Ansatz ist natürlich ein anderer. Was macht heimischer Wald, in Zeiten des Klimawandels? Wie wächst er, wie organisiert er sich? Und dazu brauche ich einen Nationalpark."
    Ende des 19. Jahrhunderts drohte der Bayerische Wald durch die expandierende Forstwirtschaft seine Ursprünglichkeit komplett zu verlieren. Niederbayerische Naturfreunde erreichten damals, Schutzzonen in dem Waldgebiet zu erhalten, von dem Schriftsteller Adalbert Stifter 1866 begeistert schrieb:
    "Waldwoge steht hinter Waldwoge, bis eine die letzte ist und den Himmel schneidet. Großartig ist es, wenn Wolkenberge an dem Himmel lagern, und mit blauen Schattenflecken dieses Waldmeer unterbrechen."
    Größte alte zusammenhängende Waldfläche Mitteleuropas
    Die Idee eines großen, zusammenhängenden Nationalparks wurde Mitte der 1960er-Jahre aufgegriffen. Naturfilmer Bernhard Grzimek und der Umweltschützer Hubert Weinzierl gehörten damals zu den Hauptinitiatoren.
    Von Anfang an stand fest, dass man auch grenzübergreifend arbeiten wollte. Heute bilden der tschechische Nationalpark Šumava im riesigen Böhmerwald und der Nationalpark Bayerischer Wald die größte zusammenhängende Waldfläche Mitteleuropas mit einem alten Baumbestand, wie man ihn sonst kaum noch findet.
    "Man wird demütig, finde ich. Wenn Sie diese Fichte da hinten sehen, die mindestens 200 Jahre alt ist. Der ist zu Zeiten Napoleons groß geworden. Das ist eine Zeitdimension, die erreichen wir Menschen nicht. Wir sind eigentlich nur eine Sternschnuppe im Geschehen dieser Welt. Und das lassen einen diese Wälder erkennen."
    Durch den Nationalpark Bayerischer Wald mit seinen Berggipfeln, Waldgebieten, Hochmooren, seinen Baumwipfel-Pfaden, Museen und der Gastronomie ist aus einem ehemaligen strukturschwachen Zonenrandgebiet ein Touristenmagnet entstanden - und ein riesiges Ur-Biotop erhalten geblieben, in dem wieder Luchse und vereinzelt auch Wölfe heimisch geworden sind.