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20 Jahre ARD-Aussprachedatenbank
Yüschel, Yüzel, Yüschäll

Woher wissen Journalisten eigentlich, wie man komplizierte Namen ausspricht? Seit 20 Jahren gibt die ARD-Aussprachedatenbank hierfür Empfehlungen. Doch wie wird entschieden, wie Deniz Yücel, Barack Obama und Co. ausgesprochen werden, ob ihre Namen eingedeutscht werden oder nicht? Und warum gibt es trotzdem so viele unterschiedliche Varianten der Aussprache?

Von Tobias Wenzel | 15.05.2017
    Deniz Yücel am 21.07.2016 in Berlin
    Deniz Yücel - Yüschel, Yüzel oder Yüschäll? (imago stock&people)
    Vor dem Reichstag in Berlin versuchen sich deutsche Touristen an der Aussprache eines sehr langen walisischen Ortsnamens. Der sieht geschrieben so aus, als hätte jemand blind auf die Computertastatur geschlagen. Wie soll man den nur aussprechen? In einem Büro im Kellergeschoss des Hessischen Rundfunks in Frankfurt kennen die Mitarbeiter nicht nur die Antwort auf diese Frage.
    Henrike Scharfenberg gehört zum Team der Aussprachedatenbank der ARD. Gerade hat sie die südkoreanische Botschaft angerufen und um Hilfe gebeten. Für eine Hörspielproduktion soll Scharfenberg die Aussprache eines koreanischen Naherholungsgebiets recherchieren.
    Kurz darauf spricht sie den Namen in ein Mikrofon ein und erstellt einen neuen Datensatz. Dann ist die Aussprache als MP3-Datei zu hören und in internationaler und vereinfachter Lautschrift zu lesen.
    So original wie möglich, so deutsch wie nötig
    Im Nebenzimmer sitzt Roland Heinemann, der Leiter der Datenbank, die mehr als 380.000 Einträge umfasst. Namen von Politikern, Sportlern und Musikern sind genauso darunter wie die von Flüssen, Bergen und Städten – aus allen Ländern der Welt. Dabei gilt: Fremdsprachliche Wörter, Namen und Begriffe sollen so original wie möglich, aber auch so deutsch wie nötig in die Datenbank eingetragen werden.
    "Wir loten im Gespräch miteinander aus: Geht das? Oder geht das nicht? Ab wann, lieber ungarischer Kollege oder liebe ungarische Kollegin, tut es dir weh?"
    Ein unverzichtbares Arbeitsmittel
    Sprecher und Journalisten von ARD und mittlerweile auch von ZDF, ORF und SRF nutzen den Service der Datenbank. Bei Personennamen können sie manchmal auch die Selbstauskunft hören.
    Jan Hofer greift in der Kantine des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg über sein Smartphone auf die App der ARD-Aussprachedatenbank zu. Der Chefsprecher der "Tagesschau" kennt noch die Zeiten vor der ARD-Aussprachedatenbank. Da recherchierten er und seine Kollegen noch mühsam selbst und lagen besonders in Stresssituationen bei der Aussprache von Fremdwörtern oft daneben. Für Hofer ist Datenbank nun ein unverzichtbares Arbeitsmittel.
    "Wir sind da vielleicht in Deutschland auch ein bisschen pingeliger als in anderen Ländern"
    "Bei uns gibt es ja den Grundsatz 'Die Nachricht steht im Vordergrund'. Und wenn sich jemand über ein Detail ärgert, dann verfolgt er die Nachricht nicht mehr, sondern er kümmert sich nur noch darum, was da falsch ausgesprochen wurde. Und das wollen wir natürlich nicht. Und deswegen legen wir da schon großen Wert drauf. Wir sind da vielleicht in Deutschland auch ein bisschen pingeliger als in anderen Ländern."
    Der studierte Amerikanist und Germanist Roland Heinemann ist regelrecht gerührt, wenn er fremde Sprachen im Original hört:
    "Ich halte es vor allem für ein Zeichen von Wertschätzung anderen Menschen, anderen Kulturen gegenüber."
    "Wir sind nicht die Polizei. Wir geben Empfehlungen ab"
    Anhand einer ins Internet gestellten Sendung aus dem indonesischen Fernsehen überprüft der Leiter der Datenbank die Aussprache des gerade zurückgetretenen Gouverneurs von Jakarta.
    "Jetzt kommt wieder etwas Aktuelles: 'Südkorea, Wahlen, Präsident: Linkspolitiker Jae Moon'. (Zu seinen Mitarbeiterinnen:) Da müssten wir mal gucken bitte! Südkorea. Moon Jae, Moon Jae, haben wir den?"
    Der Politiker hat die Wahlen in Südkorea gewonnen, sagt die Agenturmeldung.
    "Wir sind nicht die Polizei. Wir geben Empfehlungen ab und wenn man unsere Empfehlungen befolgt, das heißt in der Datenbank nachguckt, gut. Wenn nicht, auch gut."
    'Hlänn-fäe-pull 'gwing-gill-gou 'gärre 'kwöhn 'drou-bull 'hlänn-di-silliou-gou-gou'goff
    Wer den für seine Länge und Schreibung berüchtigten walisischen Ortsnamen angemessen im Rundfunk aussprechen will, wird aber kaum auf die Hilfe der ARD-Aussprachedatenbank verzichten können. "Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch" wird demnach so ausgesprochen: 'Hlänn-fäe-pull 'gwing-gill-gou 'gärre 'kwöhn 'drou-bull 'hlänn-di-silliou-gou-gou'goff