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20 Jahre Auto-Tune
"Das wichtigste Musikinstrument des 21. Jahrhunderts"

Eigentlich wurde der Auto-Tune-Effekt entwickelt, um im Tonstudio schiefe Gesangspartien zu retten. Heute wird er in Hip Hop und Pop genutzt, um die Stimme wie aus einer Maschine klingen zu lassen. Für den Autor und DJ Jace Clayton ist Auto-Tune die wichtigste musikalische Erfindung der vergangenen Jahre.

Von Ina Plodroch | 20.10.2018
    Ein Tontechniker bedient das Mischpult im Tonstudio der Bavaria Film.
    Der Auto-Tune-Effekt wird mittlerweile in vielen Musik-Genres verwendet. (dpa / picture-alliance / Tobias Hase )
    Man hört ihn eigentlich nicht. Aber er ist überall. Der Auto-Tune-Effekt, der seit 20 Jahren die Stimmen des Pops auf Hochglanz poliert.
    "Der Effekt wurde eigentlich entwickelt, um falsche Noten zu korrigieren. Man sollte ihn nicht hören. Fast jeder Song, den man heute im Radio hört, wurde damit bearbeitet. Auto-Tune ist wie ein Photoshop-Filter", erzählt der amerikanische Autor und DJ Jace Clayton.
    Für sein Buch "Uproot. Travels in 21st-Century Music and Digital Culture" hat er mit vielen Produzenten gesprochen, die ihm alle sagten: Wenn eine Sängerin oder ein Sänger im Studio vielleicht mal einen Halbton daneben liegt, muss sie oder er nicht noch mal alles einsingen. Auto-Tune wird es schon richten.
    "Auto-Tune ist so wichtig, weil es das erste eigene Musikinstrument des 21. Jahrhunderts ist. Kein Physisches, sondern eine Software, die sich rasant verbreitet hat."
    Effekt wird zweckentfremdet
    Für Clayton ist der Effekt aber erst dann interessant, wenn er zweckentfremdet wird. Also ein Musiker ihn völlig übertrieben über den Gesang legt und wie eine Maschine klingt.
    "Wenn Musiker und Produzenten Auto-Tune korrekt verwenden, produziert es nur immer mehr Musik, die perfekt und normal klingt. Aber wenn ein Rapper oder Sänger es anders benutzt, als der Software-Entwickler sich das gedacht hat, dann wird es spannend."
    Wie so oft im Pop ist die Geschichte des Auto-Tunes eine der Zweckentfremdung. Aber anders als der Vocoder oder der Hall, ist der Auto-Tune als Effekt komplexer. Er legt sich als Filter nicht einfach nur über den Song. Stimme und Maschine verschmelzen zum Cyborg des Pop.
    Vor allem im amerikanischen Hip Hop der Nullerjahre wurde "ge-auto-tuned" was nur geht. Von T-Pain über Kanye West zu Future.
    Der Musiker Kanye West während des Sudoest Festivals in Zambujeira, Portugal, am 6. August 2011.
    Der Musiker Kanye West während des Sudoest Festivals in Zambujeira, Portugal, am 6. August 2011. (LUSA / EPA / Tiago Canhoto)
    Bis Jay-Z 2009 rappte: Death of Auto-Tune. Was aber nichts änderte. Seit Jahren sind auch die deutschsprachigen Cloud Rapper dabei, ihre Stimmen zu verändern. Der österreichische Rapper Crack Ignaz zum Beispiel.
    "Wenn man es falsch verwendet, dass es diesen mechanischen, Cyborg-Klang kriegt, das klingt sehr futuristisch. Auf jeden Fall falsch benutzen ist die richtige Art und Weise."
    Effekt ist in vielen Genres angekommen
    Futuristisch, obwohl der Effekt 20 Jahre alt ist. Und mittlerweile vom Hip Hop in den Folk gewandert ist zu Bands wie Bon Iver, Poliça oder Lambchop. Der Sänger Kurt Wagner hat es auf dem letzten Album "Flotus" auf die Spitze getrieben. Er findet: Auto-Tune gehört heute zu moderner Musik:
    Der Sänger der US-amerikanischen Band Lambchop, Kurt Wagner, bei einem Auftritt beim Museumsinselfestival in Berlin.
    Der Sänger der US-amerikanischen Band Lambchop, Kurt Wagner, bei einem Auftritt beim Museumsinselfestival in Berlin. (imago / Seeliger)
    "Der Song "Howe" vom neuen Album steht für den Moment, in dem mir plötzlich klar wurde, was man mit diesen neuen Geräten alles machen kann. Ich habe darin die Möglichkeit erkannt, alle meine musikalischen Limitierungen zu überwinden."
    Oder menschliche Eindeutigkeiten. Mit Auto-Tune klingt die Stimme wie eine Mischung aus Mensch und Maschine, Mann und Frau oder irgendwas zwischen all dem. Aber das ist die westliche Sicht. In seinem Buch zeigt Jace Clayton, dass lange vor T-Pain und Kanye West schon die Berber in Marokko ihre Songs heftig in die Auto-Tune-Tüte getaucht haben. Und damit das Rollenklischee der Frau verstärkt haben.
    "Die Berber haben eine lange Tradition mit wunderschönen Frauenstimmen. Auto-Tune verstärkt diesen Effekt und lässt sie noch höher, weiblicher klingen und verstärkt konservative Vorstellungen davon, wie eine Frauenstimme klingen sollte."
    Auto-Tune als neoliberale Optimierungsmaschine
    Hip Hop, Indierock, Pop. Auto-Tune ist überall. Eine neoliberale Optimierungsmaschine, die gerne kritisiert wird, wenn sich Hörer in eine Zeit der Eindeutigkeit zurückwünschen, als der Sänger mit dem Öffnen des Mundes in seine Seele blicken ließ. Auto-Tune ist so uneindeutig wie die Welt, in der wir leben.
    Jace Clayton alias DJ Rupture
    Jace Clayton alias DJ Rupture - Autor des Buches: „Uproot: Travels in 21st-Century Music and Digital Culture“ (Deutschlandradio - Andreas Buron)
    Jace Clayton: "Pop-Musik ist an das Authentische gebunden, an den Sänger, der über sein hartes Leben singt. Mit Auto-Tune geht es aber darum, wie es diesem Sänger geht in dieser komplizierten, technologischen Welt. Deshalb ist es viel repräsentativer für die Welt, in der wir leben."
    Was ist echt, unecht, authentisch, künstlich – wer weiß das schon im 21. Jahrhundert - Die Wahrheit wird zur Lüge.