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20 Jahre Flimmo
Zum Schutz vor Teletubbies

Welche Fernsehsendungen sind für 3- bis 13-Jährige geeignet? Seit 20 Jahren informiert darüber dreimal jährlich der Programmratgeber "Flimmo" – immer noch auf Papier. Doch ist so ein Heftchen im Zeitalter des Internets noch zeitgemäß?

Von Vera Linß | 01.11.2017
    Die vier Charaktere der Teletubbies in lila, grünem, gelben und roten Ganzkörperkostüm
    2007 feierten die Teletubbies ihren 10. Geburtstag in Paris. (picture alliance / dpa / Abaca Mousse)
    Ende der Neunziger Jahre: Es ist die Zeit der Teletubbies. Daily Talks und Reality TV boomen. Zeichentrickserien wie "Power Rangers" sorgen für Gewaltdebatten, Soaps wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" haben längst den Bildschirm erobert. Viele Eltern sehen die Entwicklung ihrer Kinder dadurch bedroht. Und geben den entscheidenden Anstoß für die Entstehung von "Flimmo", erinnert sich Verena Weigand, Jugendschützerin bei der Bayerischen Landesmedienanstalt BLM:
    "Einer war tatsächlich eine Aktion einer Tageszeitung, bei der unser Präsident von den Eltern mit Fragen konfrontiert wurde, wie sie den Fernsehumgang ihrer Kinder irgendwie steuern können. Und das hat ihn so beeindruckt, dass er dann gesagt hat, die Frau Weigand darf jetzt den Flimmo machen. Ich hatte das Projekt schon seit zwei Jahren in der Pipeline. Und hab immer versucht, dafür zu werben und das durchzusetzen. Und es war sehr schwer am Anfang, das zu vermitteln, dass das ein Erfolg werden könnte. Und das war sozusagen der Auslöser und dann durfte ich starten."
    Von Anfang an will "Flimmo" Vermittler sein zwischen den Wünschen der Kinder und den Sorgen der Eltern. Die hätten am liebsten, dass ihr Nachwuchs nur pädagogisch Wertvolles sieht und dazu noch viel beim Fernsehen lernt.
    "Idee ist wichtiger denn je"
    Über 12.000 Sendungen hat "Flimmo" seit seinem Bestehen bewertet: Zeichentrickserien, Shows, Magazine und Spielfilme, die bei den Öffentlich-Rechtlichen und Privatsendern wie Super RTL oder Disney Channel zwischen 6 und 22 Uhr laufen. Dreimal im Jahr werden die Heftchen an Schulen, Kindergärten oder Zahnarztpraxen geschickt und dort ausgelegt. Im digitalen Zeitalter wirkt das anachronistisch. Birgit Guth, Leiterin der Medienforschung bei Super RTL sagt trotzdem über die Broschüre:
    "Die ist immer noch zeitgemäß, weil, das sind genau die Fragen, die die Eltern sich stellen und sich auch Kinder stellen. Kann ich mir das angucken? Oder kommt mir da irgendwas komisch vor? Gerate ich in Situationen, die ich nicht haben will?"
    Auch Joachim von Gottberg, Chef der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen, die für die Privatsender Jugendfreigaben für ausgewählte Programmteile erstellt, findet das Aufklärungspotential, das in "Flimmo" steckt, gut:
    "Die Idee ist wichtiger denn je. Weil wir früher versucht haben, jugendgefährdende oder jugendbeeinträchtigende Inhalte durch Jugendschutz zu reduzieren. Und angesichts der medialen Entwicklung, sprich Netflix, Streamingdienste insgesamt, ist das ja immer weniger möglich."
    Geringer Wirkungsgrad
    Aber sollten Programmbewertungen im digitalen Zeitalter noch immer über eine Papierbroschüre unter die Leute gebracht werden? Joachim von Gottberg findet das nicht mehr zeitgemäß. Rund eine Million Exemplare werden insgesamt pro Jahr verteilt. Doch hört man sich um, ist "Flimmo" Vielen gar nicht bekannt. Joachim von Gottberg sieht Aufwand und Ertrag bei dem Elternratgeber denn auch nicht im richtigen Verhältnis:
    "Es werden die ganzen Programme gesehen, sie werden beurteilt, usw., das ist ein ziemlich hoher Aufwand. Aber wenn man da mal in die pädagogische Praxis geht und fragt, wer kennt das denn, wer nutzt das denn, dann stellt man fest, dass es sehr gering ist in Bezug auf den Wirkungsgrad."
    Seit einigen Jahren wendet sich "Flimmo" allerdings auch über digitale Medien an seine Zielgruppe. 2013 wurde die "Flimmo"-App eingeführt, die das aktuelle Fernsehprogramm der nächsten sieben Tage anzeigt und auf Programmhighlights hinweist. Hier erhält man auch Zugriff auf das umfangreiche Sendungsarchiv. Auf der Website flimmo.de gibt es zudem Tipps etwa zu ausgewählten Filmen auf Netflix. Bei der Papierbroschüre soll es aber auch in Zukunft bleiben, sagt Verena Weigand, die dem gemeinnützigen "Flimmo"-Verein vorsteht:
    "Wir würden natürlich aus Kostengründen gerne das alles nur online machen. Wir haben aber festgestellt und kriegen's immer rückgemeldet, dass die Eltern einfach dieses gedruckte Heft, dass sie schnell zur Hand nehmen können, dass sie darauf nicht verzichten möchten."
    "Größer denken"
    Dennoch müsse man den Verbreitungsgrad von "Flimmo" erhöhen, meint Joachim von Gottberg, der auch Medienwissenschaften an der Universität Halle lehrt. Etwa indem man die Informationen an Tageszeitungen, Programmzeitschriften oder Online-Portale weitergibt und sie dort mit dem Label "Flimmo" versieht. So könne man eine viel größere Gruppe von Menschen erreichen – und nicht nur die, die ohnehin sensibilisiert sind.
    In jedem Fall sollte man größer denken, rät der Medienwissenschaftler. Von Gottberg geht davon aus, dass sich das gesamte Jugendschutzsystem in Zukunft in Richtung Beratung und Information entwickeln wird – einfach weil es immer schwerer wird, problematische Inhalte und Verstöße gegen den Jugendschutz zu ahnden:
    "Also ich denke, dass wir insgesamt in den nächsten zehn Jahren komplett den Jugendschutz umstellen werden auf solche Infos. Und was wir im Augenblick machen sollten, mal wirklich systematisch die Elternwünsche und die Elterngewohnheiten und die Kinderwünsche und die Kindergewohnheiten eruieren und dann im Grunde etwas bauen, ein Symbol bauen oder was auch immer, da müssen wir schauen, was kommt am besten an, dass sich sofort intuitiv in die Köpfe einbrennt, dass ich weiß, wenn ich das sehe, ist das was für mein Kind oder nicht."
    Die Kompetenz von "Flimmo" könnte hier auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen.