Dienstag, 23. April 2024

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200. Geburtstag der Schriftstellerin Emily Brontë
Ein unbeugsamer Geist

Drei Schwestern lebten zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Töchter eines Landpfarrers in einem abgelegenen Dorf im englischen Yorkshire. Inmitten der unwirtlichen Moorlandschaft begannen sie zu dichten. Die talentierteste unter ihnen, Emily, schrieb mit ihrem Roman "Sturmhöhen" Weltliteratur.

Von Christian Linder | 30.07.2018
    Charlotte, Emily und Anne Brontë
    Charlotte, Emily und Anne Brontë (picture alliance/Leemage)
    Das Läuten der Kirchenglocken im Dorf Haworth im englischen Yorkshire mag noch heute manchen der Hundertausenden von Touristen, die jedes Jahr einen der berühmtesten Orte der Weltliteratur besichtigen, mit heiligem Schauder erfüllen –, zumal wenn ihnen ein Fremdenführer erklärt, wie das Dorfleben vor 200 Jahren abgelaufen ist:
    "Die Leute sprechen immer von der Morbidität in der Literatur der Brontës, wie in 'Wuthering Heights' ('Sturmhöhen'), wo Heathcliff Catherine ausgraben möchte, um neben ihr liegen zu können. Man versteht das, wenn man sieht, wo sie lebten: Die Kirchenglocken läuteten ständig für eine Beerdigung, und neben dem Pfarrhaus war der Steinmetz, der beständig an Grabsteinen arbeitete …"
    Der Roman gab ein gesellschaftliches Panorama-Bild ab
    Im Pfarrhaus wohnte seit April 1820 Reverend Patrick Brontë. Nach dem frühen Tod seiner Frau kümmerte er sich zwar liebevoll um seine vier Kinder, aber die Lebensmöglichkeiten in dem abgelegenen und von einer Moorlandschaft umgebenen Nest Haworth waren damals natürlich sehr begrenzt. Während sich der Sohn Branwell langsam in der Dorfkneipe zu Tode trank, flüchteten die drei Töchter Charlotte, Anne und Emily in die Literatur zum Beispiel Lord Byrons und fingen auch selbst an zu schreiben, jede für sich wie auch in Gemeinschaftsarbeit. Die Talentierteste war die am 30. Juli 1818 geborene Emily Jane Brontë. Ihr einziger, 1847 erschienener und später oft verfilmter und auch als Hörspiel eingerichteter Roman "Wuthering Heights", "Sturmhöhen" beginnt mit Beobachtungen einer ihrer männlichen Erzählfiguren:
    "Soeben bin ich von einem Besuch bei meinem Hauswirt zurückgekehrt … In ganz England, glaube ich, hätte ich keine andere Gegend gefunden, die so vom Lärm der Gesellschaft entrückt ist … Sturmhöhe heißt Mister Heathcliffs Anwesen; der Name … soll das Toben des Windes bezeichnen, dem dieser Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist …"
    Mister Heathcliff entpuppt sich im Laufe des Romans als ein Mann von verquerer Leidenschaft, der mit seiner destruktiven Energie alles, was er liebt, unweigerlich zerstört. Über solche individuellen Schicksale hinaus entfaltet "Sturmhöhen" ein gesellschaftliches Panorama-Bild mit blutigen Familien-Kriegen und sozialen Klassenkämpfen als Tragödie von fast antikem Ausmaß.
    Düstere Träume mit Verlangen nach Erlösung
    Da hatte Emily Brontë sehr genau den Schilderungen ihres Vaters gelauscht, der als Landpfarrer ständig mit Erscheinungen wie Inzest, Alkoholismus und allen möglichen Formen von Gewalt in Berührung kam und zu Hause davon erzählte. Andererseits fand sie den Stoff, diese düsteren Träume mit Verlangen nach Erlösung auch in sich selbst, während ihrer täglichen stundenlangen Spaziergänge durch die Moor- und Heidelandschaft. Jeden Morgen ihre bange Frage: "Wird’s ein heller Tag oder ein trüber?" In Gedichten hatte sie eine erste Antwort versucht:
    "Hoch wogende Heide in Böen sich beugend/ Mitternacht Mondlicht und Sternenflitter; Glanz und Finsternis sich vereinend / Die Erde steigend der Himmel sich neigend / Die Seele aus dumpfem Kerker treibend / Die Bande zerreißend, zerbrechend die Gitter."

    Die Schwester Charlotte hat die Besonderheit Emilys früh erkannt:
    "In ihrer Natur schienen sich äußerste Kraft und Einfachheit zu begegnen … Doch … zwischen ihr und der Welt hätte immer ein Vermittler stehen müssen. Ihr Naturell war großmütig, doch auch jäh und hitzig; und ihr Geist völlig unbeugsam."
    Emily Brontë war erbarmungslos gegen sich selbst
    Auf diese Eigenschaften ist auch Emily Brontës deutsche Biografin Elsemarie Maletzke immer wieder gestoßen:
    "Dieses Sanfte hatte sie auch in der Familie. Sie war diejenige, die ihren Bruder Branwell, dem sie geholfen hat, den sie von der Kneipe abgeholt hat und sagte, 'Branwell, reiß dich zusammen'. Sie war erbarmungslos auch gegen sich selbst. Es gibt die Geschichte von dem tollwütigen Hund, der sie gebissen hat und wo sie zu einem eisernen Schürhaken im Feuer griff und sich die Wunde ausgebrannt hat, damit sie nicht infiziert wird."<< /div>

    Der Tod war im Leben des Pfarrers Patrick Brontë immer gegenwärtig – kurz nach dem Sohn starb auch Emily, im Alter von 30 Jahren, an Tuberkulose; bald darauf musste er auch seine Töchter Anne und Charlotte beerdigen.
    "Wird’s ein heller Tag oder ein trüber?"