Dienstag, 16. April 2024

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200. Geburtstag von Richard Francis Burton
Ein Leben wie zehn Abenteuerromane

Sir Richard Francis Burton entdeckte den Tanganjikasee, mogelte sich zur Kaaba in Mekka, übersetzte das Kamasutra und spionierte für die Kolonialherren. Fast wahnhaft bereiste der britische Abenteurer, Diplomat und Ethnograf die Kulturen der Welt. Vor 200 Jahren wurde der Exzentriker geboren.

Von Irene Meichsner | 19.03.2021
    Captain Sir Richard Francis Burton KCMG FRGS (19 March 1821 – 20 October 1890) was an English explorer, translator, writer, soldier, orientalist, ethnologist, linguist, poet, hypnotist, fencer and diplomat. He was known for his travels and explorations within Asia and Africa as well as his extraordinary knowledge of languages and cultures.
    Mann mit vielen Hüten: Richard Francis Burton war Abenteurer, Diplomat, Afrikaforscher, Übersetzer, Geheimagent. Hier in einer undatierten Aufnahme. (CPA Media/Pictures From History)
    "Er war jemand, der ein großer Rebell war und gleichzeitig besessen war, erfolgreich zu sein. Es war jemand, der provozieren wollte, der wirklich gegen einen Stachel löcken wollte, der aber gleichzeitig sehr um Anerkennung und Liebe gebuhlt hat." Sagt Schriftsteller Ilija Trojanow über Richard Francis Burton, der vieles auf einmal war: Abenteurer, Soldat, Diplomat und Geheimagent, Orientalist, Afrikaforscher und Kartograph, Dichter und Übersetzer, Fechter und Schwertkämpfer - und ein Verwandlungskünstler, der in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfte, um fremden Kulturen näherzukommen. Trojanow hat in seinem preisgekrönten Roman "Weltensammler" das Leben Burtons geschildert. Dazu sagte Trojanow vor einigen Jahren in einem Radiobeitrag:
    "Es war jemand, der radikaler als jeder andere Europäer im 19. Jahrhundert versucht hat, in die Fremde hineinzudringen – über den Weg der Sprache, über den Weg der Mimikry, sogar der Metamorphose. Jemand mit unendlich vielen Begabungen, aber nicht mit der zentralen Begabung, diese zu bündeln, zu disziplinieren, zu fokussieren."

    Studium geschmissen, Offiziersrang gekauft

    Burton, geboren am 19. März 1821 in Torquay in der Grafschaft Devonshire, führte schon als Kind ein Nomadenleben. Die Familie pendelte zwischen England, Frankreich und Italien; ein Studienaufenthalt am Trinity College in Oxford blieb ohne Abschluss. Im Alter von 21 Jahren zog Burton nach Indien, mit einem Offizierspatent der Ostindien-Kompanie in der Tasche, das ihm sein Vater für 500 britische Pfund verschafft hatte.
    Burton war vom Orient fasziniert. Er lernte innerhalb kurzer Zeit mehrere Sprachen und Dialekte, vertiefte sich in die religiösen Riten und Gebräuche. Als "Mirza Abdullah", ein angeblich halb arabischer und halb iranischer Handelsreisender, mischte sich Burton unters Volk, um die Menschen kennenzulernen, aber auch, um sie im Auftrag der britischen Kolonialherren auszuhorchen. Burton schrieb darüber später:
    "Manch einen Abend verbrachte der Mirza in einer Moschee, hörte den zerlumpten Studenten zu, die bäuchlings ausgestreckt auf dem staubigen Boden lagen, den Kopf mit den Armen abstützend, und arabisch nuschelnd aus den zerlesenen und zerfledderten Theologiebüchern deklamierten, auf die eine schwache Öllampe einen spärlichen Schein warf. Zu anderer Zeit, in fröhlicherer Laune, trat er ohne Einladung durch die erstbeste Tür, hinter der Musik und Tanz erklangen. Oder er spielte Schach mit einem einheimischen Freund oder er verkehrte mit den Hanftrinkern und Opiumessern."

    Einer der ersten Europäer, der bis zur Kaaba in Mekka gelangte

    Nach sieben Jahren in Indien wurde Burton beurlaubt. 1853 erfüllte er sich einen alten Traum: Er reiste – als muslimischer Pilger verkleidet – nach Medina und Mekka. Burton gelangte als einer der ersten Europäer unerkannt bis zur Kaaba, dem zentralen islamischen Heiligtum.
    Eine muslimische Pilgerin betet, während sie zuschaut, wie Tausende von Pilgern um die Kaaba herumgehen, das kubische Gebäude an der Großen Moschee, vor der Hadsch-Pilgerfahrt in der muslimischen heiligen Stadt Mekka.
    App Muslim 3D
    Anstelle von Millionen Pilgern durften wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr nur rund 10.000 Menschen die große Moschee in Mekka betreten. Eine in Bonn entwickelte App ermöglicht es nun, die Kaaba von zuhause virtuell zu erkunden.
    Burton berichtete: "Ich kann wirklich behaupten, dass von den vielen Andächtigen, die ihre pochenden Herzen an den Stein drückten, keiner in diesem Augenblick tiefere Gefühle empfand als der Hadschi aus dem fernen Norden. Doch, um in aller Demut die Wahrheit zu gestehen, das Gefühl der anderen Pilger war eines der höchsten Verzückung, meines jedoch die Ekstase eines befriedigten Stolzes."

    Vom Reisen besessen

    Trojanow beschreibt, wie das Reisen für Burton regelrecht zur Obsession wurde: "Er ist getrieben. Und dieses Getriebensein ist für mich, wenn es so radikal ist wie bei ihm, schon eine Form von Wahn."
    1857 zog es Burton nach Afrika, wo er sich auf die Suche nach den sagenumwobenen Quellen des Nils begeben wollte. Denn, so Ilja Trojanow: "Man wusste: wer die Nilquelle entdeckt, ist sozusagen Odysseus oder ist Herkules für alle Zeiten."
    Das selbstverwaltete Dorf Awra Amba in Äthiopien
    Nil-Quellort Awra Amba In der äthiopischen Provinz hat die Gemeinde Awra Amba alle traditionellen Regeln des Landes über Bord geworfen. Ob Religion, Geschlechterrollen, Arbeitsteilung oder Zusammenleben: Das Dorf lebt die Idee von Gleichheit und Geschwisterlichkeit.
    Für Burton blieb es bei der Entdeckung des Tanganjikasees. Seine Annahme, dass es sich um die Quelle des Nils handle, sollte sich als Irrtum erweisen.

    Burtons Tagebücher verbrannt

    1861 wechselte Burton in den diplomatischen Dienst. Er war britischer Konsul im brasilianischen São Paulo, in Damaskus und in Triest, wo er 1890 an einem Herzinfarkt starb. Einige Jahre zuvor war er in den Adelsstand erhoben worden. Zu Burtons Lebenswerk gehörten rund 60 Bücher, darunter seine berühmten Übersetzungen des Kamasutras und der Geschichten aus "Tausend und Einer Nacht". Seine umfangreichen Tage- und Notizbücher, denen er auch Persönliches anvertraut haben dürfte, blieben der Nachwelt vorenthalten. Seine Witwe Isabel hat sie nach seinem Tod verbrannt.