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200 Jahre "Stille Nacht, heilige Nacht"
"Die Wirkung dieses Liedes ist unmittelbar"

Vor 200 Jahren wurde erstmals das im Salzburger Land entstandene Weihnachtslied "Stille Nacht, heilige Nacht" gesungen. Geschrieben worden sei es als eine Art Antwort auf die damalige bedrückende Lage mit Hunger und Not, sagte der Kulturjournalist Werner Thuswaldner im Dlf. "Das Lied ist ein Trostlied".

Werner Thuswaldner im Gespräch mit Michael Köhler | 25.12.2018
    Ein Chor singt "Stille Nacht, Heilige Nacht" im Wiener Stephansdom
    "Stille Nacht, heilige Nacht" geht seit 200 Jahren um die Welt und ist immer noch überaus beliebt. Thuswaldner erklärt dies mit dem Trostbedürfnis, das viele Menschen weltweit bewegt (picture alliance/APA/picturedesk.com/Thomas Jantzen)
    Vor 200 Jahren wurde in der Christmette in dem Weiler Oberndorf im Salzburger Land erstmals das Weihnachtslied "Stille Nacht, heilige Nacht" gesungen. Dorfpfarrer Joseph Mohr hatte es geschrieben, vertont hatte die sechs Strophen der Lehrer und Organist der Dorfkirche, Franz Xaver Gruber.
    Werner Thuswaldner, früherer Kulturredakteur der "Salzburger Nachrichten" hat ein Buch über die Geschichte des Liedes verfasst, das aus Anlass des Jubiläumsjahres neu und erweitert aufgelegt wurde. Geschrieben hat er es, weil er wissen wollte, "was war das für eine Zeit, in der das entstanden ist, wie war das Umfeld."
    In der Entstehungszeit herrschte Verzweiflung und Armut
    Es sei eine außergewöhnliche Zeit mit viel Verzweiflung und Armut gewesen. "Ich glaube herausgefunden zu haben, dass dieses Lied auch eine Art Antwort sein sollte auf diese wirklich bedrückende Situation damals."
    Nach den Napoleonischen Kriegen lagen große Teile Europas am Boden. Das Salzburger Land war bereits seit 1800 französisch besetzt. Es herrschte Hunger, Not, Armut. "Stille Nacht, heilige Nacht" wird auch deshalb als ein romantisch-antinapoleonisches Lied eingeschätzt.

    "Das Lied hat den Rhythmus eines Wiegenliedes und ist ein Trostlied", so Thuswaldner. "Die Leute waren verzweifelt, ausgeplündert von den Truppen, die Nahrungsvorräte waren weg. Junge Männer sind in die Wälder geflüchtet, weil sie Angst hatten, requiriert zu werden. Das Land war zudem politisch am Ende, abwechselnd besetzt von den Franzosen, den Bayern, jeder hat geplündert und fortgetragen, was hier durch die Jahrhunderte hinweg gesammelt wurde an Kunstschätzen. Das Land wurde seiner Güter beraubt und war wirklich am Boden."
    Blick auf die verschneite Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf in Österreich. In dieser Kapelle wurde 1818 zum ersten Male das Weihnachtslied "Stille Nacht, heilige Nacht" gesungen.
    In dieser Kapelle in Oberndorf in Österreich wurde Weihnachten 1818 zum ersten Mal "Stille Nacht, heilige Nacht" gesungen (picture-alliance / dpa)
    1816 war das Jahr ohne Sommer
    Es sei schon sehr bemerkenswert, was bei der besänftigenden, beruhigenden Art des Liedes alles zugedeckt werde an dramatischen und beklemmenden Situationen.
    Es habe noch weitere Ereignisse gegeben: Durch einen Vulkanausbruch in Indonesien 1815 sei so viel Material in die Atmosphäre geschleudert worden, dass die Temperaturen um etliche Grad gesunken seien. "Das Jahr 1816 wurde in Salzburg das Jahr ohne Sommer genannt, es gab keine Ernten, die Folge war Hungersnot und eine Auswanderungswelle, nicht nur aus Salzburg, auch aus Süddeutschland. Es entstand eine Art Endzeitstimmung." Das alles müsse man sehen, um die Bemühungen einzuschätzen, dass man diesen Ängsten und Beklemmungen etwas entgegensetzen wollte, fasst Thuswaldner zusammen.
    "Stille Nacht, heilige Nacht" geht seit 200 Jahren um die Welt und ist immer noch überaus beliebt. Thuswaldner erklärt dies mit dem Trostbedürfnis, das viele Menschen weltweit bewegt. "Die Wirkung dieses Liedes ist unmittelbar." Wenn man das als Erwachsener zu Weihnachten höre, sei es zugleich verbunden mit einem Blick zurück in die eigene Lebensgeschichte. Es sei so ein Innehalten und man sehe sein Leben in dieser Rückschau mit ziemlicher Deutlichkeit – das sei auch ein wichtiges Element, was die Bedeutung dieses Liedes und seine Verbreitung in der Welt bewirke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Werner Thuswaldner: Stille Nacht. Die Geschichte eines Liedes
    Residenz-Verlag