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21.7.1979 - Vor 25 Jahren

Das größte Werk des Schriftstellers Ludwig Renn war sein erfundenes Leben. In dem Roman "Krieg", 1928 erschienen, und im 1930 herausgekommenen Folgeband "Nachkrieg" ist nachzulesen, wie sich dieser Schriftsteller gefunden hat, indem er von ganz oben den Weg nach ganz unten ging und dabei, verstrickt in die Wirren seiner Zeit, für sich ein individuelles Glück entdeckte trotz allen Elends, das er erlebt und geschildert hat. Ludwig Renn - das war zunächst der Name der Hauptfigur aus dem Roman "Krieg", eines einfachen Frontsoldaten, dessen Erlebnisse im 1. Weltkrieg das Buch ausbreitet. Bevor der Autor diesen Namen Ludwig Renn auch für sein eigenes weiteres Leben übernahm, hieß er Arnold Friedrich Vieth von Golßenau, geboren am 22. April 1889 als Sohn eines Prinzenerziehers am Dresdner Hof und somit Mitglied des sächsischen Uradels. Gemäß den Privilegien seiner Herkunft trat er 1910 in das 1. Leibgrenadierregiment Nr. 100 ein, wurde ein Jahr darauf Leutnant der königlich-sächsischen Garde und war auf dem besten Weg zu einer großen militärischen Karriere. Doch ein gewisser Liberalismus in seinem Elternhaus und dann vor allem ein wachsender Ekel vor dem Standesdünkel der Offiziere ließ Arnold Friedrich Vieth von Golßenau von seinem vorbestimmten Lebensweg abkommen, indem er sich entschied, während des 1. Weltkriegs auf die Privilegien und Sicherheiten eines Offiziers zu verzichten und sich zur Front zu melden. Was er dort erlebte, hielt er in Tausenden von Tagebuchnotizen fest, aus denen er zehn Jahre nach Ende des 1. Weltkriegs den Roman "Krieg" zusammenstellte. Anders als die ein Jahr zuvor und ein Jahr später erschienenen Antikriegs-Romane "Streit um den Sergeanten Grischa" von Arnold Zweig und "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque war "Krieg" von Ludwig Renn, wie sich der Autor nun nach seiner Hauptperson nannte, ein Roman ohne ehrgeizigen literarischen Anspruch, ein eher nüchternes Dokument, dem später das Etikett "Neue Sachlichkeit" aufgeklebt wurde:

Von Christian Linder | 21.07.2004
    Ramm! ramm! ramm! ramm! hinter uns in den Grund. Gramm! rapp! rapp! brumms! krück! ramm! Funkensprühen am Boden.

    Gerade durch diesen Verzicht auf literarische Gestaltung tritt aber der anonyme Tod eines einfachen Frontsoldaten in den Materialschlachten des 1. Weltkriegs umso deutlicher hervor. Das Buch erreichte innerhalb weniger Monate eine Auflage von über 100000 Exemplaren und wurde in knapp vierzig Sprachen übersetzt. Der Weltruhm beeindruckte Ludwig Renn jedoch nicht, er bot ihm so wenig Halt wie seine adelige Herkunft. Seine Lebensdevise lautete vielmehr:

    Wenn wir auf unsere Vorrechte pochen, so können wir uns nicht halten. Das ist auch nicht wahre Vornehmheit. Die besteht eher in Pflichten - und die muss man sogar suchen.

    Renn suchte seine Pflichten auf der Seite der kommunistischen Partei - weil, wie er später rückblickend auf die Zeit Anfang der 30er Jahre sagte, der Sozialismus ihm durch die Sozialdemokratie verekelt worden sei und er andererseits nicht mehr zum Bürgertum habe zurückkehren können. In der Nazizeit verhaftet, aber wieder freigelassen, flüchtete er 1935 in die Schweiz und 1936 weiter nach Spanien, wo er als Kommandeur des "Thälmann-Regiments" und später als Stabschef einer internationalen Brigade gegen die Truppen Francos kämpfte. Sein Schriftstellerkollege Gustav Regler, auch er Spanienkämpfer, erinnerte sich später an Renn als "erstaunlich fischblütigen Organisator, der selbst im Kugelregen seinen Bleistift nicht aus der Hand gelegt" habe. Die Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg blieb, neben dem Erlebnis des 1. Weltkriegs, zeitlebens die größte innere Erfahrung Ludwig Renns.

    Nach dem Rückzug der "Interbrigaden" zunächst interniert, gelang Renn 1939 die Flucht nach Mexiko, wo er an der indianischen Universität Morelia eine Professur erhielt. Das Buch "Trini", die Geschichte eines indianischen Landarbeiterjungen während der mexikanischen Revolution, blickt auf diese Exilzeit zurück. Ein Kinderbuch, wie so manches andere, das Ludwig Renn nach seiner Rückkehr in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands im Jahr 1947 geschrieben hat. Er wurde, aufgrund seiner als "proletarisch-revolutionär" gelobten Literatur und seines für die Kommunisten natürlich vorbildlichen Lebens, ein hoch angesehener Schriftsteller der DDR, der sein Werk mit autobiographischen Büchern wie "Adel im Untergang", bereits im mexikanischen Exil entstanden, oder "Meine Kindheit und Jugend" sowie "Briefe an die Eltern" vervollständigte. Kurz vor seinem Tod - er starb am 21. Juli 1979 in Berlin-Kaulsdorf - blickte Ludwig Renn noch einmal auf sein Leben zurück und bekannte in dem Buch "Anstöße meines Lebens":

    Den Menschen soll man nicht zum Hampelmann herunterziehen.