Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


22.3.1929 - Vor 75 Jahren

Sie wünschen eine Äußerung von mir über die allgemeine Einführung eines "Tages des Buches". Wie sollte sie anders lauten als erfreut und zustimmend?

Von Frank J. Heinemann | 22.03.2004
    So antwortete Thomas Mann Anfang März 1929 auf eine Umfrage der Zeitschrift "Reclams Universum". Mit seiner Zustimmung wollte er es anscheinend allen recht machen: Einerseits sah er in einem "Tag des Buches" eine "Abwehr-Reflex-Bewegung" gegen eine von vielen Initiatoren des Buchtags beklagte geistferne "Amerikanisierung" und "Verflachung", andererseits stimmte er jenen Kulturpessimisten nicht zu, die den "deutschen Geist" vor den wachsenden Einflüssen der neuen Medien Film, Radio und Grammophon schützen wollten. "Herrliche Dinge" seien das und "demokratische Bildungsmittel hohen Ranges". Der "Tag des Buches" beweise sogar, dass Geist und modernes Leben nicht Gegensätze sein müssten. Erfreulich sei,

    daß bei den Beratungen [...] ein Vertreter des Reichsausschusses für Leibesübungen [...] die [...] Bereitwilligkeit bekundete, fortan auch das Buch als Preis für sportliche Siege zu verwenden.

    Auch die Leibesübenden waren vertreten in dem insgesamt 31 Organisationen vereinenden "Arbeitsausschuss", der seit Ende 1928 über den ersten "Tag des Buches" am 22. März, dem Todestag Goethes, beriet.

    Sehen Sie sich nur dieses unfreudige, einschläfernde Propagandaplakat an, mit der welken Goethe-Maske, das ganz im Geschmack von vor zwanzig Jahren gehalten ist,

    spottete Carl von Ossietzky in der "Weltbühne". Seine Anmerkungen zum Buchmarkt, der damals noch nicht so genannt wurde, obwohl kapitalistische Marktgesetze den Literaturbetrieb endgültig in den Griff bekommen hatten, klingen irgendwie vertraut:

    Auf ein Volk, das in breiten Schichten einem heitern Analphabetentum zustrebt und dessen heranwachsende Generation auf leichten Kreppsolen über den von den Vätern gehäuften Bildungshausrat steigt, kommt ein Büchersturz herab, als wäre jeder einzelne unsrer Mitbürger ein Dichter und ein Denker. [...] Der Appetit nach Geistesfutter wird weit, weit überschätzt, und um ihn zu reizen, greift man zu Mitteln, die nur vorübergehend begehrlich machen.

    1927 waren die ersten Bestsellerlisten erschienen. Was sie notierten, schrieb Ossietzky, sei oft nach einem Monat schon "versackt". Es fehlten eben Wertmaßstäbe. Solchem Kulturpessimismus von links widersprach der Soziologe Siegfried Kracauer in der "Frankfurter Zeitung":

    Es wird nicht gelesen in Deutschland? Aber das ist ja gar nicht wahr. [...] In keinem Land wird so viel an neuen Büchern produziert wie bei uns. Die Lesegier war niemals größer.

    1929 war das Jahr von zwei riesigen Bucherfolgen. Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues", Ende Januar gestartet, erreichte im Dezember eine Auflage von 900.000; eine Sonderausgabe der "Buddenbrooks" des frisch gekürten Nobelpreisträgers Thomas Mann wurde 700.000 mal verkauft - Verlagsmarketing - fast wie heute.

    Rührend bieder wirken demgegenüber die Vorschläge des Buchhändler-Börsenvereins für Sonderschaufenster oder andere Werbeaktionen für das so genannte "Gute Buch"; "steifleinen", wie Ossietzky es nannte, die Festreden und Vorträge.

    1930 kam man mit dem Thema "Jugend und Buch" dem Publikum näher. In Braunschweig warfen Flugzeuge über dem Schloßplatz Büchergutscheine ab, während unten in Spielbuden junge Leute Bücher gewinnen konnten. In einem Pferdewagen fuhr ein Till Eulenspiegel durch die Straßen und sammelte "Schundhefte" ein, die später auf dem Schloßplatz verbrannt wurden.

    Nur drei Jahre später, am 10. Mai 33, brannten Bücher aus anderen Gründen. Die kurze Geschichte des Buchtags brach ab, das "Dritte Reich" schuf sich eine "Woche des deutschen Buches". 1941 erreichte sie ihren Höhepunkt mit dem Thema "Buch und Schwert".

    Heute feiert man in Deutschland den 23. April, den Todestag Cervantes und Shakespeares, als "Welttag des Buches". Auch er leidet unter einem Widerspruch, den Siegfried Kracauer schon 1929 analysierte: Werbung für das Buch, das bloße Trägermedium also, ist wenig sinnvoll. Faszinieren kann nur der Inhalt des je einzelnen Buchs den individuellen Leser. Und der hält nach jedem Leserummel mit Prominenten das in Händen, was "Eventkultur" geben kann:

    Eine Seifenblase .