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220.000 Kitaplätze fehlen

Der Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland kommt weitaus schleppender voran als gedacht. Das Statistische Bundesamt meldet mehr als 200.000 fehlende Plätze. Städten und Gemeinden droht ab August eine Klagewelle.

Von Philipp Banse | 06.11.2012
    Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts fehlen weit mehr Krippenplätze, als die Bundesregierung bisher geglaubt hat. Ziel sind 780.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Bis März gab es gut 550.000. Um den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Einjährige erfüllen zu können, müssten also bis zum August kommenden Jahres 220.000 Betreuungsplätze geschaffen werden, sagt Karl Müller vom Statistischen Bundesamt:

    "Der Zuwachs müsste binnen 18 Monaten damit stärker ausfallen als in den letzten vier Jahren insgesamt."

    Der Deutschen Städte- und Gemeindebund entgegnet: Die Statistiker hätten nur bis März gemessen, inzwischen seien weitere Kitaplätze entstanden. Stand heute fehlten nicht 220.000, sondern nur 160.000 Kitaplätze. Doch auch diese Lücke sei bis August nicht zu füllen; der Rechtsanspruch für Kinder unter drei könne "nicht in allen Kommunen erfüllt werden", sagt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.

    "Es sind auch nicht nur die Großstädte, es sind auch kleinere Städte, wo nach unseren Erkenntnissen 50, 60, sogar über 60 Prozent der Eltern diesen Rechtsanspruch gelten machen wollen und das ist dann auf keinen Fall zu stemmen."

    Der Deutsche Städtetag befürchtet daher eine breite Klagewelle von Eltern. Die Kommunen wollen den Rechtsanspruch für unter Dreijährige daher aufweichen, ihn erstmal nur für Zweijährige gelten lassen. Das lehnt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ab:

    "Der Kitaausbau ist zu schaffen, wenn sich alle Ebenen anstrengen und zu ihren Zusagen von 2007 stehen. Es gibt Regionen, Kommunen, Länder in Deutschland, in denen der Kitaausbau offensichtlich nicht ernst genommen wurde. Vielleicht wurde auch zu lange spekuliert, dass der Bund des Kitaplatz-Rechtsanspruch schon noch verschiebt und ich kann nur sagen, das werden wir nicht tun."

    Die Familienministerin dürfte da vor allem Kommunen in Nordrhein-Westfahlen im Auge haben. Von 100 Kindern unter drei Jahren haben hier aktuell nur 18 einen Kitaplatz. Kein westdeutsches Flächenland kann mehr als 25 Prozent der unter dreijährigen einen Krippenplatz bieten. In Ostdeutschland sind die Ausbauziele für dreijährige dagegen meist schon erreicht. Es geht also vor allem darum, in westdeutschen Städten mehr Kitaplätze zu schaffen. Die Familienministerin sieht die Kommunen in der Pflicht, Ihre Zusagen einzuhalten, der Bund habe ausreichend Geld zur Verfügung gestellt und wiederholt nachgebessert. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund sieht auch die Wirtschaft in der Pflicht:

    "Die Wirtschaft sagt ja immer, die junge Frau muss in den Beruf zurück möglichst schnell. Die Frauen wollen das auch, weil sie Karriere machen wollen. Und deswegen gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass Unternehmen sich zusammentun, eine Tagesmutter fest anstellen. Das ist eine Möglichkeit, wo wir vielleicht noch etwas erreichen können."

    Denkbar seien auch größere Kitagruppen. Der Mangel an Erzieherinnen könne etwa durch Bundesfreiwillige abgefedert werden.