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25 Jahre Gletschermumie Ötzi
Der Mann aus dem Eis

Die Gletschermumie Ötzi ist bis heute eine wissenschaftliche Sensation, die Forscher und Besucher aus der ganzen Welt fasziniert. Wer war der Mann aus dem Eis, warum musste er sterben? Am heutigen 25. Jahrestag des Leichenfunds wollen Wissenschaftler neue Forschungsergebnisse präsentieren.

Von Tassilo Forchheimer | 19.09.2016
    Es war ein Zufallsfund. Hätte das Nürnberger Ehepaar Simon beim Bergsteigen keine Abkürzung genommen, dann wäre der Mann aus dem Eis möglicherweise nie geborgen worden. Die Welt wäre dann um eine wissenschaftliche Sensation ärmer. Und um einen Krimi, der Tag für Tag im Südtiroler Archäologiemuseum erzählt wird.
    "Er ist runtergefallen, bewusstlos, und ist mit dem Kopf aufgeschlagen. Es könnte sein, dass ein Teil der Frakturen am Schädel von diesem Aufprall stammt. Es könnte aber auch sein, dass ein Angreifer wollte, dass der nicht mehr aufsteht.
    Erste Spekulationen über Herkunft der Leiche
    Wobei am Anfang keineswegs klar war, um wen es sich bei dem Toten eigentlich handelt. Die ersten Mutmaßungen gingen in Richtung verunglückter Bergsteiger oder Skifahrer – bis Reinhold Messner bei einem zufälligen Besuch auf der Similaun-Hütte von dem damals noch nicht geborgenen Leichenfund erfuhr und diesen sofort in Augenschein nahm. Wenige Tage später erzählte er im Bayerischen Rundfunk.
    O-Ton: Messner: "Ich hab‘ sofort gesagt, das ist kein Bergsteiger, das ist natürlich auch kein Kriegstoter, denn da oben hat nie Krieg stattgefunden in den letzten 100 Jahren. Das muss ein historischer Fund sein. Und aufgrund des Steinpfeils und dem Zeug, das da oben herumlang, die Handschuhe aus Birkenrinde mit Gras ausgestopft, ähnlich wie es die Lappen tragen, hat mich zur spontanen Äußerung gebracht: Das ist Übergang Steinzeit, Eisenzeit, also Bronzezeit."
    Gletscher-Mumie bewegt die Gemüter
    Womit er gar nicht so falsch lag. Am Ende wurde das Alter der Leiche auf etwa 5.300 Jahre fixiert. Anfangs war noch wenig elegant von der Gletscher-Mumie die Rede. Ein österreichischer Journalist taufte diese dann erstmals in der Wiener Arbeiterzeitung auf den Namen Ötzi oder Otzi, wie er bei vielen Italienern heißt. Und je mehr über den Mann bekannt wird, desto mehr bewegt er die Gemüter. Man könne ständig etwas Neues entdecken, so dieser italienische Fremdenführer.
    Besucherin: "Er ist der erste Tiroler, Südtiroler." - Fremdenführer: "Da bin ich nicht sicher, weil manche Leute haben einen DNA-Test gemacht und der ist sehr nah am ladinischen Volk. Nicht italienischer, nicht deutscher ..." - Besucherin: "Lassen wir ihn einen Tiroler sein." - "Ja, das ist richtig. Südtiroler."
    Besucherin: "Schön, mit ihm in Kontakt zu sein. Auch wenn Glas dazwischen ist. Scheint so, als wäre er unter uns. Sehr schön." - Besucher: "Der Ötzi? Da ist so viel zu sagen. Eine ganz außergewöhnliche Entdeckung. Zu wissen, was er gemacht hat, was er gegessen hat, welche Krankheiten er hatte, das ist schon sehr interessant."
    Ötzi-Kult nimmt skurriler Züge an
    Ein archäologischer Fund, der emotional berührt, das ist für die Museums-Direktorin Angelika Fleckinger das Besondere an ihrem Schützling. Und weil das so ist, muss die Wissenschaftlerin auch mit außergewöhnlichen Phänomenen leben, die der Ötzi-Kult mit sich bringt.
    "Von Menschen, die glauben, eine Reinkarnation von Ötzi zu sein oder die denken, dass Ötzi ein Botschafter aus dem Jenseits ist, der uns Wichtiges mitteilen muss. Wir haben Briefe gefunden von Frauen, die unbedingt ein Kind von Ötzi haben möchten wenn es denn noch möglich sei. Ich denke, das gehört zum Phänomen Ötzi auch mit dazu."
    Genauso wie der gar nicht appetitliche Schokoladen-Abguss der prähistorischen Leiche oder der sinnfreie Ötzi-Eisbecher.
    "Deshalb ist unsere Strategie, mit seriöser Forschungsarbeit zu punkten, die zum Glück weltweit dann auch aufgenommen wird. Wir können jetzt sehen, wenn wir eine neue Mitteilung rausschicken zu irgendwelchen wissenschaftlichen Details, dann arbeitet sich diese Nachricht über das Internet innerhalb von 24 Stunden um die ganze Welt."
    Großer Besucherandrang
    Mit großen Erfolg: 250.000 Menschen kommen jedes Jahr zu Ötzi ins Museum. Allein gestern am Tag der offenen Tür waren es 2.000 Besucher.
    "Wir haben festgestellt, dass seit 1998, wo das Museum geöffnet worden ist, sich das Profil der Südtirol-Urlauber verändert hat. Es ist viel internationaler geworden. Und die Menschen, die nehmen natürlich neben dem Mann aus dem Eis auch sonst noch Erlebnisse in Südtirol mit, sodass das Museum hier natürlich schon auch den Tourismus im Allgemeinen mit beeinflusst."
    Und ein Ende ist nicht absehbar. Zum Jahrestag sollen in Bozen heute neue Forschungserkenntnisse präsentiert werden – unter anderem von einem professionellen Fallanalytiker der Münchner Kriminalpolizei. Wär‘ doch gelacht, wenn sich dieser Mord nicht auch noch aufklären ließe. Falls nicht, wird uns ein Spielfilm weiterhelfen, der zur Zeit in Südtirol gedreht wird. Die Hauptrolle des Ötzi hat Jürgen Vogel übernommen.