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25 Jahre Maastrichter Verträge
Vom Wirtschaftsverbund zur politischen Union

Der Gipfel von Maastricht am 9. und 10. Dezember 1991 war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Europäischen Union. Die zwölf Staats-und Regierungschefs der damaligen Europäischen Gemeinschaft vereinbarten eine neue Qualität ihrer Zusammenarbeit: mehr außen-und finanzpolitische Absprachen, an deren Ende der Euro stehen sollte. Der Weg dahin war jedoch kein leichter.

Von Katrin MIchaelsen | 09.12.2016
    Hans-Dietrich Genscher (links) und Theo Waigel (rechts) unterzeichnen am 7. Februar 1992 den Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion der Europäischen Gemeinschaft in Maastricht (Niederlande).
    Im Dezember 1991 ereignete sich der Durchbruch für die Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages im Februar 1992. Für Deutschland unterzeichnete Hans-Dietrich Genscher (links) und Theo Waigel (rechts). (picture alliance / dpa - epa)
    Bundeskanzler Helmut Kohl – zufrieden:
    "Mit dem heutigen Tag, mit den Entscheidungen von Maastricht, hat dieses Europa ganz sicherlich den entscheidenden Durchbruch erreicht."
    Frankreichs Präsident François Mitterrand – ergriffen:
    "Eine gemeinsame Währung, der Beginn einer gemeinsamen Diplomatie, einer gemeinsamen Verteidigung, einer gemeinsamen Armee im Europa der zwölf. Eine Sozialcharta, ein Beispiel für Stabilität, als Angebot an zerrissene Völker. Europa, so wie es jetzt umgesetzt wird, ist in der Lage zu begeistern, zu vereinen und Hoffnung zu geben."
    Was François Mitterrand Ende 1991 den Franzosen als wegweisenden Erfolg präsentierte, war das Ergebnis hart geführter, 30-stündiger Verhandlungen auf dem Gipfel von Maastricht. Zwölf europäische Staats- und Regierungschefs hatten sich darauf geeinigt, der Europäischen Gemeinschaft eine neue Dimension zu verleihen. Was dann folgte: ein neuer Vertrag, außen- und finanzpolitische Verabredungen - und schließlich der Euro.
    Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl im Gespräch mit Frankreichs damaligem Präsidenten François Mitterrand
    Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnete 1991 die Maastrichter Verträge als "entscheidenden Durchbruch für Europa". (AFP / Gerard Fouet)
    In der Tagesschau vom 9. Dezember 1991 meldete sich Reporter Wolfgang Klein lediglich mit einem Zwischenstand.
    "Heute ist für alle der Tag des Hauens und des Stechens und der Abrechnung. Da entscheidet sich, welche Ergebnisse sie bei ihrer Presse als Sieg verkaufen können. Doch während die Kollegen aus Frankreich aus Spanien, aus Griechenland und Großbritannien melden, ihre Staats und Regierungschefs hätten wie die Löwen gekämpft und mit Veto gedroht, halten sich die Bonner weiterhin auffallend zurück."
    Als europäische Geschichte in Maastricht geschrieben wurde
    Der Schauplatz Maastricht wurde über Nacht berühmt. Die Provinzhauptstadt im Süden der Niederlande, in der Nähe der belgischen und der deutschen Grenze gelegen, hatte nie zuvor eine Veranstaltung in dieser Größenordnung ausgerichtet. Abgeschirmt von der Außenwelt tagten die 12 Staats- und Regierungschefs im Gouvernements Gebäude, auf einer Halbinsel an der Maas. Heute Amtssitz der niederländischen Provinzialbehörde. Eine ihrer Mitarbeiterinnen, Eliane van Durling über den Ort, an dem europäische Geschichte geschrieben wurde.
    "Hier im Plenarsaal, an diesem großen runden Tisch, haben sie verhandelt, umgeben von einer Armee an Sicherheitsleuten, Nato-Stacheldraht und Tauchern in der Maas. Dadurch war die Halbinsel so sicher, dass Monsieur Mitterrand in jeder Pause ungestört draußen seine Runden drehen konnte. Er war der eifrigste Spaziergänger unter den zwölf."
    Neben Frankreich, Deutschland und den Niederlanden gehörten damals Belgien, Italien und Luxemburg zur Europäischen Gemeinschaft. Außerdem Großbritannien, Irland und Dänemark sowie Griechenland, Spanien und Portugal.
    Eine heterogene Gruppe mit ganz unterschiedlichen Anliegen. Angeblich sei das Eis zwischen den 12 Staatsmännern nicht am Verhandlungstisch im Gouvernementsgebäude gebrochen, sondern wenige Kilometer entfernt, im Schloss Neercane. Das behauptet zumindest Peter Harkema, der Restaurantchef von Schloß Neercane. Alle zwölf Regierungschefs hätten hier zusammen mit Gastgeberin Königin Beatrix ihre ersten Unterschriften in Maastricht hinterlassen, auf einer Wand im Weinkeller.
    "Königin Beatrix, Mitterrand, Lubbers, Martens, Schlüter, Kohl, Mitsotakis, Haughey, Andreotti, Santer, Cavaco Silva, Gonzáles Marques, Major."
    Der offizielle Durchbruch kam dann in der Nacht zum 10. Dezember. Der Beschluss von Maastricht brachte Europa eine gemeinsame Währung und den Einstieg in eine gemeinsame Außenpolitik. Er war ein Kompromiss. Bis dahin waren ausschließlich wirtschaftliche Interessen der Kern der Europäischen Gemeinschaft. Mit dem Vertrag von Maastricht sollte sie sich weiterentwickeln, hin zu einer politischen Union, deren Mitglieder sich zu einer engen wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit verpflichteten. Theo Waigel, damals als Bundesfinanzminister Teil der deutschen Delegation in Maastricht, sagte später im Deutschlandfunk:
    "Auf die Dauer kann ein Binnenmarkt nicht funktionieren, wenn er nicht über das Dach einer Währungsunion verfügt, natürlich auch über eine gewisse politische Union. Man hat nur eines gemerkt: Man kann eine gemeinsame europäische Währung nicht dekretieren, sondern es bedarf eines Kongruenzprozesses, das heißt, die Volkswirtschaften müssen sich annähern. Sie müssen ähnlich, sie müssen vergleichbar sein. Sie müssen gemeinsame Finanzkennziffern aufweisen. Und das war das Neue, das war das qualitativ Neue an Maastricht, dass dieser Prozess damit in Gang gesetzt wurde durch den Delors-Plan."
    Vorstoß für eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion
    Jacques Delors stand lange Jahre an der Spitze der EU-Kommission. Er hatte bereits Mitte der 80er-Jahre den Vorstoß für eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion gewagt, quasi die Vorarbeiten für den späteren Maastrichter Vertrag geleistet. Seine Theorie, sein sogenannter Drei-Stufen Plan, wurde jedoch von der politischen Realität eingeholt: vom Fall der Mauer und einem wiedervereinigten Deutschland. Der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein, Direktor des Jacques Delors-Instituts in Berlin:
    "Die Frage stand im Raum: Wie bindet man Deutschland in dieses ökonomische Projekt ein, vor allem auch ökonomisch? Und die 80er-Jahre waren geprägt durch die gegenseiteigen Abwertungswettläufe der europäischen Länder untereinander, und da war der Plan, sehr direkt zu sagen, dann bringt man Deutschland eben in dieses gemeinsame Währungsprojekt und schafft so eine Stabilität und auch eine Unumkehrbarkeit dieses wirtschaftlichen Integrationsprojektes, das ja immer ein ganz wichtiger Pfeiler im europäischen Integrationsprozess war."
    In der wirtschaftlichen Vernetzung sahen die europäischen Politiker damals ein Instrument, Europa vor neuen Auseinandersetzungen zu bewahren. Anfang der 90er-Jahre herrschte Unsicherheit in Europa. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes schien die Trennung von Ost und West überwunden. Was aber würde folgen? Und welche Rolle würde ein wiedervereinigtes Deutschland spielen?
    Sowohl Politiker als auch Historiker haben immer gemutmaßt, dass der Weg, den Deutschland mit dem Maastricht-Vertrag gegangen ist, Teil einer Absprache hinter den Kulissen war: Dass Deutschland sich in den europäischen Währungsprozess einbringen, die D-Mark aufgeben musste, um damit für seine Nachbarn berechenbarer zu werden. Theo Waigel widerspricht.
    "Ich war nun wirklich dabei. Wir haben zu keiner Sekunde für die deutsche Einheit eine gemeinsame europäische Währung eingekauft. Die Entscheidungen für eine gemeinsame europäische Währung lagen viel länger zurück. Sie lagen schon bei Gipfeln, die im Jahr 1988 stattfanden. Sie gingen zurück auf das europäische Währungssystem, das Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt konzipiert hatten."
    Vor dem Euro gab es noch viele Hürden
    In Maastricht sollte aus diesen ökonomischen Plänen also europäische Realität werden. Doch bis zur Einführung des Euro gab es noch eine Menge Hürden zu überwinden. Zunächst mussten alle 12 Staats- und Regierungschefs ihre Gipfel-Beschlüsse zuhause vermitteln. Bundeskanzler Helmut Kohl stand in Bonn ein innenpolitischer Kraftakt bevor, denn eigentlich hatte sich Kohl mehr versprochen: Er hatte eine Währungsunion in Kombination mit einer verstärkten politischen Zusammenarbeit angestrebt, unter anderem mit mehr Rechten für das Europäische Parlament. Nur dann, davon war der Bundeskanzler überzeugt, könne eine Währungsunion gelingen: Wenn sie von einer politischen Union begleitet werde, von einer echten europäischen Wirtschaftspolitik, von einer echten europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Doch diesem Ziel war Helmut Kohl in Maastricht nicht wirklich näher gekommen. In seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag, nur wenige Tage nach dem Maastrichter Gipfel, räumte der Bundeskanzler dann auch ein:
    "Mit dem Einstieg in Mehrheitsentscheidungen und den neuen Struktur-Elementen, insbesondere den gemeinsamen Aktionen, gehen wir einen Schritt über die bisherige europäische politische Zusammenarbeit hinaus. Wir können damit schrittweise eine gemeinsame Außenpolitik entwickeln, die diesen Namen auch verdient."
    Die SPD, damals in der Opposition, bezeichnete die Ergebnisse als kläglich. Ingrid Matthäus Meier verlangte Nachbesserungen.
    "Eingeknickt ist der Bundeskanzler auch bei der Sozialunion. Warum haben Sie, Herr Bundeskanzler, bei der Sozialunion nicht die gleiche Hartnäckigkeit an den Tag gelegt, wie bei der Währungsunion? Die Antwort ist klar. Eine Bundesregierung, die in Deutschland Arbeitnehmerrechte einschränkt und den Sozialstaat abbaut, die ist weder ausreichend willens noch in der Lage, in Europa für die Arbeitnehmer zu kämpfen, meine Damen und Herren."
    Doch nicht nur von der SPD, auch aus der mitregierenden FDP musste sich Helmut Kohl Kritik gefallen lassen. Die Sorge, formuliert von Otto Graf Lambsdorff: Die Bundesrepublik zahle einen zu hohen Preis für die Währungsunion.
    "Eine Währungsunion setzt theoretisch nicht voraus, dass von den wohlhabenden Gebieten Transfers zu den weniger wohlhabenden Gebieten fließen. Politisch praktisch sieht es aber ganz anders aus."
    Große Skepsis gegenüber der Einführung des Euro in der BRD
    Die Warnung von Otto Graf Lambsdorff sollte nicht die letzte gewesen sein. Es herrschte große Skepsis in der Bundesrepublik gegenüber der neuen europäischen Währungsgemeinschaft. Der Euro galt in der Bevölkerung als undurchsichtiges Großprojekt, dem man die stabile D-Mark nicht opfern wollte. Debattiert wurde über Jahre, ob wirklich alle Länder schon reif seien für die Währungsunion. Auch die Bundesbank - als Hüter der D-Mark - mischte sich in den Chor der Mahner ein. Bundesbank-Chef Hans Tietmeyer sagte noch 1999 im Deutschlandfunk:
    "Wenn ein Land oder große Teile der Union nicht in der Lage sind, im Wettbewerb mitzugehen, dann in der Tat kann die Währungsunion für sie ein abschnürendes Korsett werden – abschnürend in der Weise, dass man die Geldpolitik als nationale Politik nicht mehr verfügbar hat, und Wechselkursänderungen nicht mehr vornehmen kann; man ist auf Gedeih und Verderb in diese Währungsunion eingebunden. Dessen müssen sich alle Länder bewusst sein."
    Belgien und Italien standen unter besonderer Beobachtung der Währungshüter. Womöglich komme der Gang in eine Währungsgemeinschaft für beide Länder zu früh, stellte ein Gutachten der Bundesbank damals fest: Wegen zu hoher Schulden, mit denen Italien und Belgien die Bedingungen für den Euro-Beitritt, die sogenannten Maastricht-Kriterien nicht erfüllten. Doch die europäischen Politiker wollten den einmal begonnenen Prozess nicht stoppen. Der CDU- Politiker Karl Lamers erinnerte sich im Deutschlandfunk:
    "Damals war Prodi Premier in Italien, und er hat in einem zweistündigen Gespräch in dem prachtvollen Palazzo Chigi mir in seinem nuscheligen Englisch seine Klagen erzählt, wie schwer er es doch hätte und wieso Italien unbedingt da reinmüsste. Also ich habe akustisch nicht alles verstanden, aber was er meinte, habe ich sehr wohl verstanden, und natürlich habe ich das Helmut Kohl erzählt. Deswegen hatte Prodi es mir ja auch gesagt. Na ja, in einem Spaziergang am Rhein habe ich das dem Kanzler alles erzählt, und er sagte und sagte und sagte nichts, und ich wiederholte immer wieder dasselbe. Dann fuhr er mich schließlich an, halt doch den Mund, natürlich gehören die dazu, aber sage es keinem."
    Italien wollte uns sollte also rein in die Währungsunion. Für Henrik Enderlein vom Jacques-Delors-Institut war die Zeit zwischen der Unterschrift unter den Maastricht-Vertrag im November 1993 und dem Beginn der Europäischen Währungsunion im Mai 1998 eine bedeutende Phase der Integration und der Prosperität.
    "Es war nämlich eine Zeit, in der vor allem in Italien Reformen stattgefunden haben, wie wir sie seitdem nicht mehr gesehen haben. Die Italiener wussten, nur wenn sie liefern, wenn sie ihre Indexierung von Löhnen an die Inflation beenden, dass sie dann überhaupt eine Chance haben, überhaupt in dieses Euro-Projekt zu kommen. Wenn man sich auch die Konvergenzdaten anguckt in Europa oder die Wachstumsdaten, dann waren die 90er eine Phase, wo es sehr, sehr gut lief."
    "Belgium, Germany, Spain, France, Ireland, Italy, Luxemburg, the Netherlands, Austria, Portugal and Finland fulfill the necessary conditions for the adoption of the single currency!”
    Mai 1998. Der britische Schatzkanzler Gordon Brown, dessen Land damals die Ratspräsidentschaft der EU innehatte, verkündete vor dem Europa-Parlament, wer in die Eurozone aufgenommen werde. Großbritannien war nicht dabei, weil es fürchtete, die nationale Wirtschaft werde zu stark von Entscheidungen auf europäischer Ebene beeinflusst. Doch auch ohne die Briten ging es Schlag auf Schlag weiter. Schon im Juni 1998, nahm die Europäische Zentralbank ihre Arbeit auf.
    Die Zentrale der Europäischen Zentralbank
    Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Am 31.12. wurden die Umrechnungskurse zwischen den nationalen Währungen und dem Euro festgelegt. Mit Beginn der Währungsunion am 1.1.1999 wurde die EZB zuständig für die gemeinsame Geldpolitik. Am 1. Januar 2002 hielten die Bürger der Währungsunion dann die ersten Euro-Münzen und Euro–Banknoten in den Händen. Eine Eintrittskarte für die Währungsunion erhielten nur die Staaten, deren alte und neue Schulden eine bestimmte Grenze nicht überschritten. Diese sogenannten Maastricht-Kriterien schrieben den Euro-Staaten vor, diszipliniert zu haushalten. Ausgerechnet Deutschland, das in Währungsfragen als Europas Zuchtmeister galt, verstieß 2002 und 2003 als eines der ersten Länder gegen den Stabilitätspakt. Theo Waigel:
    "Das hat ja letztendlich dann dazu geführt, dass Deutschland als Hauptsünder viermal hintereinander das Drei-Prozent-Kriterium nicht eingehalten hat, gemeinsam mit Frankreich und dann auch natürlich noch mit Italien, gemeinsam sündigt man leichter, daran gegangen ist, den Stabilitätspakt auszuhebeln."
    Gefahr eines Auseinanderbrechens der Währungsunion
    Die wirkliche Bewährungsprobe für die Eurozone aber kam erst im Jahr 2008: mit dem Ausbruch der Finanzkrise. Sie traf die Euro-Staaten vollkommen unvorbereitet. Spanien und Irland strauchelten, weil ein Teil ihrer Wachstumsraten auf einer Immobilienblase beruhte. Länder wie Griechenland, die bis dahin ihre Reformen und Schulden-Hausaufgaben nicht gemacht hatten, trieb die Finanzkrise an den Rand des Abgrundes – genauso wie es die Bundesbank zu Beginn der Währungsunion warnend prophezeit hatte. Griechenland konnte seine Kredite nicht mehr bedienen und die anderen Staaten der Eurozone standen vor einem Dilemma: Entweder dem Land helfen - oder es Bankrott gehen lassen, was unüberschaubare Folgen für die Eurozone, womöglich die Union insgesamt gehabt hätte. Das Problem: Die Europäischen Verträge sahen Hilfen nicht vor. Im Gegenteil: Eine sogenannte Bail-Out-Klausel legte im Maastricht-Vertrag noch fest, dass ein Staat nicht für die Schulden eines anderen haftet.
    "Ich bin mir als deutsche Bundeskanzlerin der außerordentlich hohen Verantwortung in dieser Stunde bewusst. Denn das deutsche Volk hat seinerzeit im Vertrauen auf einen stabilen Euro seinerzeit die D-Mark aufgegeben. Dieses Vertrauen – und das eint die ganze Bundesregierung – darf unter keinen Umständen enttäuscht werden."
    In ihrer Regierungserklärung am Morgen des 25. März 2010 warb Bundeskanzlerin Angela Merkel im Deutschen Bundestag noch um Vertrauen. Gemeinschaftliche Finanzhilfen für Griechenland seien nur der letzte Ausweg. Wenige Stunden später, am Nachmittag auf dem EU-Gipfel in Brüssel, brachte sie ein Rettungskonzept für Griechenland auf den Weg - gegen den Widerstand ihres eigenen Finanzministers, gegen den vieler anderer Regierungschefs, gegen die Europäische Zentralbank. Und Merkel brach zugleich ein Tabu – Sie holte zum ersten Mal den Internationalen Währungsfonds aus Washington mit ins Boot. Bis dahin war es Konsens in der Europäischen Union, dass Europa seine Probleme selbst lösen müsse.
    "Das Wort alternativlos habe ich nur zwei Mal im Zusammenhang mit der Euro-Rettung verwendet."
    Und zwar als Rechtfertigung für die beschlossenen Hilfen für Griechenland. "Alternativlosigkeit" - eine Jury aus Sprachwissenschaftlern, Medienschaffenden und Journalisten wählte den Begriff 2010 zum Unwort des Jahres. Es war zugleich das Vorspiel für die Gründung der "Alternative für Deutschland" im Februar 2013. Denn viele Ökonomen waren und sind der Ansicht, dass die europäische Rettungspolitik keineswegs alternativlos ist.
    Auch wenn aktuell nicht mehr über einen Grexit, über einen möglichen Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone diskutiert wird - die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Währungsunion ist keineswegs gebannt.
    "Das Schiff Euro wurde im Sturm nur sehr notdürftig repariert. Man hat in der Krise dann sehr hastige Rettungsinstrumente eingezogen, den Stabilitätsmechanismus, Elemente der Bankenunion. Das ist alles so erfolgreich gewesen, dass das Schiff nicht gesunken ist, aber ein kluger Seemann fährt nach dem Sturm den nächsten Hafen an und unterzieht das Schiff einer Generalrevision, ehe er wieder aufs weite Meer fährt. Ich habe heute beim Euro das Gefühl, wir sind weiter auf hoher See und den nächsten Sturm schaffen wir auch noch. Und das macht mir große Sorgen, denn eine nächste Krise wird kommen in Europa. Sie kann in sechs Wochen kommen, in sechs Monaten oder in sechs Jahren. Aber sie wird kommen. Und wenn dann ein Druck auf Italien entsteht zum Beispiel, und die italienische Schuldenlast, die exorbitant ist, plötzlich an den Märkten mit Zweifel gesehen wird, ob Italien diese Staatsschulden bedienen kann, dann ist man in einer noch viel größeren Eurokrise, und da habe ich Sorgen, dass der Euro das nicht überstehen kann."