Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

25. Parkmusik Neue Ho(e)rizonte – Nordlichter
Sigune von Ostens Vermächtnis

Neue und ungewöhnliche Musik, verbunden mit Tanz und Bildender Kunst: Das war seit 1996 Sinn und Zweck der „Parkmusik – Neue Ho(e)rizonte“ auf dem Trombacher Hof bei Bad Münster am Stein. Im Juli starb die Festivalmacherin Sigune von Osten. Zu ihrem Gedenken fand die Parkmusik nun zum letzten Mal statt.

Von Ursula Böhmer | 30.08.2021
Drei Menschen in schwarzer Kleidung stehenn auf einer Wiese und pusten in drei große Muscheln, die sie jeweils vor ihr Gesicht an den Mund halten.
Muschelmusik mit dem Trio „Echo vom Zürihorn“ (Deutschlandradio/Ursula Böhmer)
Glocken läuten in der alten Grotte des "Trombacher Hofs" – oder vielmehr: verschiedene japanische Gongs und Klangschalen, aus denen der Niederländer Hans van Koolwijk eine seiner Klangskulpturen zusammengebaut hat. Ein schönes letztes Dankeschön an Sigune von Osten. Van Koolwijk war einer der vielen Weggefährten der im Juli verstorbenen Sängerin, hat verschiedene Projekte mit ihr gemacht und war mehrmals bei ihrer "Parkmusik" zu Gast: "She was always, always strong! Never weak! She was always fighting for the best!"

Sigune von Osten: Eine starke Persönlichkeit

Als starke Persönlichkeit, die stets für das Beste kämpfte, herzlich und gastfreundlich war – so bleibt Sigune von Osten nicht nur bei Hans van Koolwijk in Erinnerung. Seit 1996 hatte die Sängerin ihr zweitägiges Festival "Parkmusik – Neue Ho(e)rizonte" organisiert – zunächst in Bad Münster am Stein, dann bei sich daheim, auf dem "Trombacher Hof". Ein Fachwerkhaus mit Innenhof-Idyll und einer Grotte, die im 5. Jahrhundert mal eine Einsiedelei war – das Ganze umgeben von einer atemberaubenden Auenlandschaft. Spielort für Konzerte – und die traditionelle "KlangWanderung". Auch diesmal wandern sie wieder durch Wiesen und Felder hinunter zum Trombach: Rund fünfzig Freunde und Weggefährten laufen mit, um an neun Stationen Neue und ungewöhnliche Klangwelten zu entdecken - Musik auf Muscheln zum Beispiel.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der Stein-Musiker Hannes Feßmann (Deutschlandradio/Ursula Böhmer)
Das Trio "Echo vom Zürihorn" hat neben Alphörnern und Posaunen auch große Karibik-Muscheln mitgebracht. Spektakulär: die Steinmusik. Unter einem Baum hockt der Musiker Hannes Feßmann hinter einem großen, glatt polierten Stein, in dem Lamellen hineingeschnitten sind. Feßmann träufelt Wasser auf den Koloss, "und ich kann mit meinen Händen durch die polierte Oberfläche direkt modellieren, hab tiefe Töne, hohe Töne und jede Lamelle kann bis zu acht Töne haben!"
Zwischendurch trommelt das japanische Schlagzeugensemble "Masa Daiko" in der Auenlandschaft – und treibt mit kämpferischen Gesten innere böse Geister aus: "Das ist ja genauso wie bei Karate oder so was – nicht so andere Leute fertig zu machen, sondern einfach diese Ausdruck, starke, innere Kraft darzustellen!", sagt Masakazu Nishimine, Gründer von "Masa Daiko", das seit 25 Jahren in Bremen angesiedelt ist.

Prägende Zusammenarbeit mit John Cage

Was fürs Auge und Ohr ist auch das "Hsaing Waing" aus Myanmar: In einem goldverzierten Rondell sind innen einundzwanzig Trommeln verschiedener Größen aufgehängt – und werden von Schlagzeuger Hein Tint nun virtuos bedient. Zugleich eine Hommage an Sigune von Osten, die erst vor wenigen Jahren an einer Hochschule in Myanmar eine Gesangs-Klasse aufgebaut hatte. Ungewöhnliche Klangwelten waren ihre Leidenschaft – und die Neue Musik.
"Ich hatte das Gefühl, dass ich einfach ein Mensch, eine Künstlerin dieser Zeit bin und mich hat immer interessiert: Was passiert JETZT? Was wird jetzt komponiert, gemalt, wie sieht die Kunst unserer heutigen Zeit aus?", hat Sigune von Osten einmal in einem Interview gesagt. Giacinto Scelsi, Luigi Nono, Olivier Messiaen, Karlheinz Stockhausen zählten zu ihren Freunden. Prägend war auch die Zusammenarbeit mit John Cage, mit dessen Solo-Stück "Aria" sie 1973 international bekannt wurde. Mehrfach hat Sigune von Osten Cages "Music Circus" aufgeführt: Jeder darf alles machen, es muss nur Musik sein – dafür trommelte sie in Heidelberg, Ludwigshafen und auf ihrem Trombacher Hof die unterschiedlichsten Menschentypen zusammen, erinnert sich die Musiklehrerin und Freundin Silke Egeler-Wittmann: "Da war die Feuerwehr, die Polizei mit Sirenen, Bildende Künstler im Baum! Wir haben von John Cage "Branches" aufgeführt – dh, man spielt auf Kakteen und in den Blumen, die im Theater-Foyer standen, die haben wir mikrofoniert und haben dort Musik gemacht – solche Dinge
Bei der Parkmusik ist die Neue Musik diesmal vor allem durch die Saxophonisten vom exzellenten Xenon Quartett vertreten. Sie haben unter anderem eine "Sequenza" von Luciano Berio mitgebracht. Mit dabei waren auch die Buto-Tänzerin Miho Iwata und die Künstlerin Ursula Reindell, die mit ihren Terrakotta-Köpfen auf dem Trombacher Hofareal für Hingucker sorgte. Die Kunst- und Musikschaffenden hatte Sigune von Osten teilweise noch selbst angefragt, erzählt ihr Sohn Demian: "Und dann, irgendwann, hat sich ihr Zustand leider verschlechtert und es war absehbar, dass sie die Parkmusik nicht mehr durchführen konnte. Und dann hat sie gesagt, könnt ihr nicht die Parkmusik auch ohne mich machen? Die Künstler haben schon so lange keine Auftritte mehr gehabt wegen Corona, wäre das nicht denkbar."

Ein scharfes Auge und ein scharfes Ohr

Demian von Osten holte als Künstlerischen Leiter schließlich den Musiker und Regisseur Sebastian Rietz dazu. Rietz hat die Sängerin bei verschiedenen Projekten kennen und schätzen gelernt – besonders "ihre Offenheit! Ihre Unvoreingenommenheit Dingen gegenüber, die Töne erzeugen! Und wie man mit Klang umgeht! Klar, man hat gesehen, das war natürlich ganz viel geprägt von den Ideen von John Cage, mit dem "Music Circus", wo der sagt: Alles ist Musik! Alles kann Geräusche machen! Alles gehört dazu! Und das fand ich immer sehr spannend, diese Offenheit – da war ich manchmal neidisch! Sie ging irgendwo hin und entdeckte was, wo ich jetzt gar nicht das unbedingt gesehen hätte, dass dort jetzt was Verwertbares oder Nutzbares rauskommt! Sie hatte da ein schärferes Auge, ein schärferes Ohr!"
Dem Motto Sigune von Ostens, "Neue Ho(e)rizonte" zu erschließen, wurde auch die letzte, posthume "Parkmusik" vollends gerecht. Das Festival und ihre Macherin - sie werden fehlen. Eine Freundin fasst zusammen:
Imke Dröckmann: "Die Parkmusik, das sind Dinge, die sich einbrennen und die man nie vergisst! Und das ist ein wunderbares Erbe von Sigune: Überall ist sie! In den Bäumen, in der Luft, in den Stimmen! Auch in den Freunden – ja."