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25. Todestag des Fotografen Alfred Eisenstaedt
Vater der Fotoreportage

Roosevelt, Charlie Chaplin oder Ernest Hemingway: Alfred Eisenstaedt fotografierte vor allem Prominente aus Politik, Kultur und High Society. Sein Erfolgsrezept waren Spontanaufnahmen statt perfekte Inszenierung. Und die Fähigkeit, Ereignisse in einem Bild zu konzentrieren.

Von Anette Schneider | 23.08.2020
    Die Foto-Aufnahme "V-J Day in Times Square" von Alfred Eisenstaedt, auch genannt "The Kiss", erschienen in der Zeitschrift "Life".
    Die berühmte Foto-Aufnahme "The Kiss" von Alfred Eisenstaedt, erschienen in der Zeitschrift "Life" (EPA/CRISTOBAL HERRERA)
    "Die Art, wie ein Fotograf die Dinge sieht, charakterisiert seine Arbeit. Jeder von uns hat seine ganz ureigene Art zu sehen und seine ganz ureigene Technik", schrieb Alfred Eisenstaedt 1973 in seinem Bildband "people".
    Ob Igor Strawinsky beim Dirigieren, Richard Strauß auf dem Weg zu einem Konzert, die Kennedys beim Spielen mit ihren Kindern, ob Albert Einstein, Bette Davis oder Marilyn Monroe: Kaum ein Fotograf kam Prominenten aus Politik, Kultur und Hollywood so nah wie Alfred Eisenstaedt.
    Beginn als freischaffender Fotojournalist
    1898 in einer jüdischen Kaufmannsfamilie im westpreußischen Dirschau geboren, wuchs Eisenstaedt in Berlin auf. Er besuchte das Gymnasium und entdeckte früh das Fotografieren.
    "Ich war 14 oder 15, stromerte durch Wälder und Wiesen, fotografierte Spinnweben und hatte keine Ahnung, dass ich einmal Fotograf werden würde."
    Eisenstaedt kämpfte im Ersten Weltkrieg, musste danach im Kurzwarenhandel seines Vaters arbeiten und begann nebenbei, für Zeitungen zu fotografieren. Ende der 20er-Jahre, mit der Gründung von Bildagenturen und illustrierten Zeitschriften, wurde er freischaffender Fotojournalist.
    "Kurt Korff von der Berliner Illustrierten Zeitung gab mir meinen ersten Auftrag. Und der erste Auftrag war, nach Stockholm zu fliegen oder fahren, ich weiß nicht, um Aufnahmen von der Nobelpreisverleihung an Thomas Mann zu machen."
    Spontanaufnahmen statt perfekte Inszenierung
    Es folgte eine rasante Karriere, denn Eisenstaedt inszenierte sein Gegenüber nicht mehr als perfekt und unnahbar, sondern agierte schnell und zeigte die Menschen möglichst natürlich. Er war der erste, der berühmte Dirigenten, Sänger und Schauspieler während der Proben fotografierte, hinter den Kulissen oder in der Kantine.
    "Es war für mich höchst erfreulich, dass die Spontanaufnahmen das Interesse der Zeitschriftenredaktionen fanden, und mit meiner neuen Waffe hatte ich keine Mühe, praktisch alle Aufträge, die mich faszinierten, zu erhalten."
    So dokumentierte er das erste Treffen zwischen Mussolini und Hitler in Venedig und Joseph Goebbels Auftritt beim Völkerbund in Genf.
    Flucht nach Amerika und Mitgründung der Zeitschrift "Life"
    1935 floh Eisenstaedt, wie viele seiner Kollegen, vor den Nationalsozialisten in die USA. Das Knowhow der Emigranten trug maßgeblich zur Gründung moderner Fotomagazine wie "Life" bei, für das Eisenstaedt von der ersten Nummer an arbeitete und über 90 mal das Titelfoto stellte.
    "Ich war sehr stolz, meinen Namen im Impressum zu finden, zusammen mit den illustren Namen von Margaret Bourke-White, Thomas McAvoy und Peter Stackpole. Wir vier zusammen verkörperten den ursprünglichen esprit de corps von Life."
    Porträts von Stars und Sternchen
    Kurz nach Abwurf der Atombomben berichtete er aus Japan. Er fotografierte Armut in Ecuador, Rassismus in den Südstaaten, Alltag in Paris, Bibelschüler in Jerusalem. Vor allem aber porträtierte Eisenstaedt die Stars und Sternchen seiner Zeit. Dank seiner kleinen Handkamera lieferte er genau die so spontan und ungezwungen wirkenden Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die ein informations- und bildhungriges Publikum sehen wollte.
    "Ich reiste mit ganz kleiner Ausrüstung. Manchmal nahmen mich die Leute gar nicht ernst, weil sie dachten, so eine kleine Kamera sei ja nichts. Sehr oft war ich dann mit dem Fotografieren schon fertig, bevor sie es überhaupt bemerkt hatten."
    Wichtige Ereignisse in einem Bild konzentriert
    Eisenstaedt galt als Fotograf des entscheidenden Moments, dem es immer wieder gelang, wichtige Ereignisse in einem Bild zu konzentrieren. Weltberühmt wurde seine Aufnahme von der Siegesparade auf dem Times Square 1945, auf der sich ein junger Matrose im Freudentaumel ein Mädchen schnappte und überschwänglich küsste. Oder der Schnappschuss eines uniformierten Trommlers, der auf einer Wiese weit ausholendes Marschieren übte.
    "Ein kleiner Junge sah das und marschierte hinter ihm her. Plötzlich kamen weitere Kinder angerannt und folgten ihm. Das ging alles ganz schnell, sodass ich nur drei oder vier Bilder machen konnte.
    Liebe zum Menschen
    Theoretische oder ästhetische Diskussionen interessierten Alfred Eisenstaedt wenig. Der "Vater der Fotoreportage", der am 23. August 1995 im Alter von 96 Jahren starb und dessen Werke zu seinen Lebzeiten vielfach ausgezeichnet und ausgestellt wurden, charakterisierte seine Arbeit schlicht so:
    "Es war immer ein großer Vorteil, dass ich die Menschen liebe, denn in der Fotographie ist es nicht so sehr das Klicken des Verschlusses, was zählt, als vielmehr das Einklicken mit dem Fotografierten."