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26.5. 1954 - Vor 50 Jahren

Franz Pfemfert ist eine Figur, zu deren Vergegenwärtigung es verschärfter Erinnerungsarbeit bedarf. 1879 in Ostpreussen geboren, wuchs Pfemfert in Berlin auf, brach das Gymnasium ab und machte eine Buchdruckerlehre. Er gründete 1911 die Zeitschrift Aktion, ein Forum, auf dem sich künstlerische Avantgarde und politische Essais trafen, geprägt vom Anarchismus und dem Sozialismus in all seinen Facetten. Ein Autorenabend des Berliner Wochenblattes im März 1914 zum Beispiel ermöglichte den aufstrebenden Talenten Gottfried Benn, Carl Einstein und Max Oppenheimer, ihre Texte zu Gehör zu bringen.

Von Joachim Johannsen | 26.05.2004
    Trotz Erstem Weltkrieg, trotz Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik existiert die «Aktion» weiter, ohne sich zum Organ einer Richtung zu machen. Dennoch gilt sie als Sprachrohr aller radikalen linken Bewegungen. Pfemfert suchte politisch eine Klärung und Festlegung, künstlerisch blieb er offen für alle möglichen vorwärts strebenden Strömungen.

    So wurde er zum Sammler von Texten und Bildern, zum Helfer und Förderer starker und schwacher Künstlertalente. Die «Aktion» spiegelte tapfer die Widersprüche einer wirren Zeit.

    Meine Antworten waren, ehe die Zeit mir ihre Fragen stellte. Die Mappe, in der ich sie mir aufhebe, ist schon arg dickbäuchig geworden; ich beginne die Zeit auszuschneiden, um ihr Gesicht und auch ihre Gesichte über sie selbst hinaus der Welt zu erhalten. Die Schere quietscht; ich schneide die Zeit aus; sie soll in meiner AKTION sprechen, für sich und für mich.

    Es war die Zeit der großen Zersplitterung sowohl der Individuen wie auch der
    politischen Landschaft. Pfemfert wurde zu Lebzeiten und in der Überlieferung mit seinem Wochenblatt identifiziert. Nennt man heute die besten Namen der damaligen Zeit, dann hat in 99 von 100 Fällen die AKTION sie bekannt gemacht, eine Verantwortung, die Pfemfert oft als peinigend empfand. Trotz tausender Druckseiten, in seiner Regie herausgegeben, blieb Pfemfert selber ein unbeschriebenes Blatt. Er war eine Bezugsgröße, keine Größe an sich.

    In der hastigen Exilbewegung sollte sich die Formulierung dann umkehren: «Wie Döblin, wie Benjamin» ging Pfemfert nach Paris, wie Heinrich Mann ging er über die Pyrenäen nach Lissabon, wie Feuchtwanger nach Amerika, wie Trotzki nach Mexico-City. Nach Prag hatte ihm noch Karl Kraus, der Herausgeber der Fackel, telegrafisch Geld geschickt, in Paris lebte er von «Kaffee und Brot», in Lissabon bereits stand er vor dem Nichts. Er hatte vielen Prominenten eine Startrampe bereitet, er selber blieb im Hintergrund.

    Die meisten intellektuellen Emigranten gingen unter, weil sie sich in der fremden Sprache nicht verkaufen konnten. Pfemfert hatte noch den Vorteil, ein Handwerk zu beherrschen, das unabhängig von der Sprache war, die Fotografie. Aber es nützte nichts, es fehlten Geräte, Gewerbeschein oder Kundschaft.

    Sein Fotoatelier hatte Pfemfert in Berlin zurücklassen müssen, die Nazis beschlagnahmten und verbrannten alles, auch das unersetzliche Archiv der Aktion. Nicht zuletzt deswegen hat seine professionelle und private Biografie schon vor der Emigration so viele Lücken.

    Als Herausgeber der AKTION habe ich wenig Geheimnisse, denn meine Gedanken und Wünsche sind mit meiner öffentlichen Tätigkeit verknüpft und wie in einem Tagebuch auf den Seiten der Jahrgänge der AKTION ausgesprochen und festgelegt. Wir leben Vergangenheit und zehren Zukunft.

    Zur Vertreibung 1933 fügten die Nationalsozialisten noch die Ausbürgerung 1935 hinzu. Pfemfert war als Kommunist unerwünscht, seine Frau Angelika Ramm als Jüdin. Aber das reichte nicht. Dem kommunistischen Regime in Moskau war er als Anarchist und persönlicher Freund Leo Trotzkis verdächtig, sie als dessen Übersetzerin. Der anarchistische Abweichler war 1940 von Stalins Häschern in Mexico umgebracht worden.

    Wo Verfolgung ist, kann auch Paranoia entstehen. Dieses Krankheitsbild war bei Pfemfert, glaubt man seinen Freunden und letzten Augenzeugen in Mexico-City, sehr ausgeprägt. Er soll sein Leben auf einen Kater namens Katju konzentriert und sich allen Exilanten-Aktivitäten verschlossen haben. Er plante noch eine Autobiografie mit dem Titel Erinnerungen und Abrechnungen. Aber seine letzten Energien erschöpften sich in morbiden Fluchtbewegungen - er wollte die "Ermordung" seines Katers durch einen Tierarzt rächen. Die politische Finsternis mündete für Franz Pfemfert in geistiger Umnachtung.