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27.5. 1679 - Vor 325 Jahren

London im Jahre 1679: Das Parlament beschließt ein Gesetz zum Schutz vor königlicher Willkürjustiz. Immer wieder hatten Beamte der Krone Untertanen ohne richterlichen Befehl verhaftet und sie für längere Zeit gefangen gehalten. Das neue Gesetz ist gegen diesen Missstand gerichtet: Es heißt "Habeas Corpus Amendment Act" und soll der "besseren Sicherung der Freiheit der Untertanen und zum Schutz vor Einkerkerung in Übersee" dienen. Zu Beginn des Gesetztextes wird erläutert, warum ein Zusatzartikel überhaupt nötig wurde:

Von Axel Bornkessel | 27.05.2004
    Große Verzögerungen sind seitens der Kerkermeister und anderer Beamter, denen irgendwelche Untertanen des Königs wegen Verbrechen oder mutmaßlicher Verbrechen zum Gewahrsam übergeben worden waren, dadurch verursacht worden, dass sie (…) es am willfährigen Gehorsam" gegenüber der Krone fehlen ließen…

    Die Beamten hatten nicht weniger als eine Freiheitsgarantie des englischen Rechts missachtet, das "Habeas-Corpus-Gebot". Habeas Corpus - diese beiden lateinischen Wörter standen von Alters her am Beginn eines jeden Haftbefehls: Der Körper des Beschuldigten, also der Beschuldigte in Person, möge verhaftet werden, und zwar im Namen des Königs. Dessen Herrschaft galt als gottgewollt. Tatsächlich aber war sie sehr zweckgerichtet: Mancher nicht genehme Untertan wurde willkürlich verhaftet und abgeurteilt. Besonders die englischen Adligen und Kleriker wehrten sich früh dagegen. 1215 trotzten sie ihrem König einige Grundrechte ab: Niedergelegt wurden sie in der "Großen Urkunde der Freiheiten", in der "Magna Charta".

    Seitdem durfte in England ein Freier, also ein besitzender Untertan nicht ohne einen richterlichen Befehl gefangen gesetzt oder bestraft werden. Verstieß die Krone gegen dieses "Habeas-Corpus-Gebot", hatte der Betroffene das Recht, sich zu widersetzen. In den folgenden Jahrhunderten versuchten englische Monarchen immer wieder, diese Freiheitsgarantie zu unterlaufen und außer Kraft zu setzen. Der Interessengegensatz zwischen der Krone und den vermögenden Untertanen führte schließlich zur ersten bürgerlichen Revolution. Die neue Republik endete jedoch im Chaos. Nur eines konnte den inneren Frieden der Nation wiederherstellen: ein Parlament, in dem Adlige und reiche Bürger das Sagen hatten. Und eine Instanz, die diesen Willen auch durchsetzte - ein König und seine Justizbehörden.

    1660 wurde Karl II. zum König gemacht. Die Restaurationszeit begann, durchaus zum Wohle der Nation: Die Wirtschaft blühte auf und in Übersee vermehrte das Empire seinen Einfluss: Kolonien entstanden. Wer Handel trieb und investierte, brauchte eine gewisse Rechtssicherheit. Jedoch der neue König Karl II. ließ willkürliche Verhaftungen zu, vorgenommen von - angeblich - ungehorsamen Beamten. In der Praxis garantierte das "Habeas-Corpus-Gebot" die alten Freiheitsrechte der Magna Charta längst nicht mehr.

    …viele Untertanen des Königs sind dadurch in Fällen, in denen sie gemäß dem Gesetz gegen eine Bürgschaft hätten freigelassen werden müssen, zu ihrer großen Beschwer und Ärgernis lange Zeit im Gefängnis gehalten worden…

    Eine längere Untersuchungshaft in den Kolonien konnte für manchen Untertan seiner Majestät existenzbedrohend sein. Also erweiterte 1679 das Parlament in London das alte "Habeas-Corpus-Gebot" und formulierte die Rechte eines freien Engländers präziser:

    Wann immer eine oder mehrere Personen einen an den Kerkermeister…gerichteten Haftbefehl vorweisen (…), so muss der besagte Beamte (…) innerhalb von drei Tagen (…) den Befehl sowie den so Verhafteten oder Eingesperrten leibhaftig vor die Richter des besagten Gerichtshofes, von dem der Befehl ausgegangen war, (…) bringen oder bringen lassen . . .

    . . . und zwar zu Lasten der Krone. Der Beschuldigte wiederum hatte als Sicherheitsleistung einen Schuldschein zu hinterlegen - in Höhe der Rückführungskosten. Ein Richter musste die Gründe für den Haftbefehl überprüfen. Die Ergänzung des Habeas-Corpus-Gebots vor 325 Jahren kam unmittelbar dem aufstrebenden Bürgertum zugute - jedenfalls denen, die die verlangte Kaution bezahlen konnten. Aber sie bedeutete weit mehr: Sie erneuerte und erweiterte die alten Freiheitsrechte der Magna Charta. Und sie war die Grundlage für die Menschenrechte, die später, im18. Jahrhundert ausgerufen wurden, in Amerika und in Frankreich.