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30.3.1934 -Vor 70 Jahren

Was er denn nun eigentlich sei: Bühnen- und Kostümbildner, Regisseur oder Maler - kaum ein Gespräch mit Achim Freyer, in dem diese sehr deutsche Frage nicht gestellt wird. Dabei ist die Antwort ganz einfach. Er ist alles dies. Ein künstlerischer Grenzgänger, auch wenn er zunächst

Von Cornelie Ueding | 30.03.2004
    lange nur gemalt hat. Schon als Kind, erinnert er sich, habe er, verführt vom Spiel der Farben und Formen, bunt schillernde Schmetteringe gemalt und gleichzeitig, der geborene Theatraliker, mit selbstgemachten Puppen Theater gespielt: aus Lust, andere zu faszinieren, zu verführen, auch zu irritieren und wohl damals schon - zu schockieren. Freilich: er trennt die Bereiche:

    Malerei hat nichts mit und auch nichts auf der Bühne zu tun.

    Weltweit berühmt geworden ist Freyer, der am 30. März 1934 in Berlin geboren wurde, als Theatermagier, wie er immer wieder genannt wird. Seiner Sehnsucht zu malen, das bedeutet auch: zu experimentieren, konnte er bisher viel zu selten nachgeben. Der Autor von Theaterbildern und
    -projekten versteht sich als Diener der Musik und der Texte und wehrt sich gegen das Missverständnis, er mache bewegte Malerei auf der Bühne. Gewiss, auf dem Theater setzt er Bilder, das Bildhafte in Bewegung; aber sowohl als Bühnenbildner wie als Regisseur spielt er mit dem Theater. Er überträgt den Ansatz einer bildnerischen Zerlegung der Bildteile und
    -elemente auf das Theater und zerlegt auch die Figuren, untersucht in seinen Inszenierungen die Aussagekraft einzelner Zeiten, Bewegungen und Körperteile: des Blicks, der Öffnung des Mundes, der Drehung des Kopfes, des Schrittes, der Hände. Und macht sie zu Spielelementen.

    Freyer, der mit 21 Jahren zu Brecht und durch Brecht zum Theater gekommen ist und sich, darin liegt für ihn die Brechtnähe, als lebenslang Lernender begreift, wird nicht müde, sich vom psychologisierenden, identifikatorischen Theater zu distanzieren - wie überhaupt von Interpretation und Deutung. Mit guten Gründen: erkennbare Kunst-Figuren, z.B. aus der commedia dell‘arte herbeizitierte Puppen, erzählen so viel mehr über den Zustand der Welt. Machen sie doch die Künstlichkeit des Theaters bewußt - und die auch zeitliche Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum:

    Solcherart traditionsbewusstes und alle Einfühlung verweigerndes Theater liegt nicht gerade im Trend. Entsprechend umstritten war und ist Achim Freyer, auch wenn die kritischen Töne gegen den unbeirrbaren Außenseiter mittlerweile feuilleton-metaphorisch gedämpft oder doppelzüngig verklausuliert daherkommen. Da wirft man dem Bilderzauberer, der als Bühnenbildner zuerst mit den Großen des Regietheaters zusammengearbeitet und dann auch die Regie selbst in die Hand genommen hat Redundanz des Optischen vor, spricht gönnerhaft salopp vom Freyer-Wunderland und beklagt scheinheilig die Überfülle von Fingerzeigen in dem cirzensischen Panoptikum. Diese Mischung von Lob und Tadel begleitet Freyer seit der Zeit, in der er als Aushängeschild der DDR-Kultur sogar zu Gastspielen reisen durfte - während seine Ausstellungen verboten wurden. Der Widerspruch - ob gegen ideologische Systeme oder gegen die Gesetze des (Kultur-)Marktes - ist längst so etwas wie das Markenzeichen dieses beharrlichen Provokateurs geworden. Wirklich bedenklich wäre nur die vereinnahmende Zustimmung der Fun-Gesellschaft, die Freyers übereinander geblendete szenische Suchbilder und Bildzitate nicht mehr als Schule der Wahrnehmung erfahren kann. Kein Ruhestand also. Wir erwarten beunruhigend neue Bilderwelten von Achim Freyer.