30 Jahre Deutsche Einheit"In meinen Augen ist das ein falscher Frieden"
Die Schriftstellerin und Publizistin Ines Geipel hält wenig von einer schöngeredeten Einheitsbilanz. "Wir schaffen es tatsächlich, 50 Jahre Diktatur im Osten und damit mehr als drei Millionen Opfer wegzureden, und das ist schon schwer auszuhalten", sagte Geipel im Dlf.
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Auf der einen Seite müsse berücksichtigt werden, dass die Deutschen sich mit einer sehr anspruchsvollen Geschichte auseinanderzusetzen hätten, sagte die Schriftstellerin und Publizistin Ines Geipel. "Diese Doppelhelix - Geschichte der Bundesrepublik, Geschichte der DDR, Nachkriegsgeschichte, Geschichte nach '89 - in einem Gedächtnis zusammenzubringen, da müssen wir uns schon ziemlich strecken."
Die Schriftstellerin und Publizistin Ines Geipel. (picture-alliance/Eventpress Stauffenberg)
Andererseits habe sie den Eindruck, dass viele sich mit Sätzen befrieden wie "Treuhand ist irgendwie immer Mist" und "Schön, dass wir alle reisen können". "Das finde ich zu kurz gesprungen, eben gemessen daran, was wir für eine Erfahrungswucht anzuschauen haben", sagte die Autorin.
"Bitte nicht Ostdeutschland ohne Geschichte"
Alarmierend finde sie die Einstellung vieler Jung-Ossis. Drei Generationen ohne Diktaturerfahrung würden mit dem Bewusstsein dastehen: 'Wir sind Ostdeutsche'. "Ich finde dieses Selbstbewusstsein gut, aber doch bitte nicht Ostdeutschland ohne Geschichte. Das müssen wir verhandeln, das müssen wir ausdiskutieren und aus dieser seltsamen Unwucht unseres Gedächtnisses wieder ein Stück herausarbeiten."
(imago images / Bernd Friedel) "Wir hatten viel Glück, dass alles so friedlich verlaufen ist"
Die Regierung in Bonn habe gewusst, dass es die DDR es nie gewagt hätte, gegen den Willen der Sowjetunion Soldaten gegen das eigene Volk einzusetzen, sagte der ehemalige CDU-Kanzleramtschef Rudolf Seiters im Dlf.
Es sei bezeichnend, dass "wir die schweren Risse, die Zäsuren, diese inneren Zeichnungen immer weiter hinausschieben", so Geipel. Die Menschen im Land seien bräsig und selbstgenügsam in der ganzen Debatte geworden.
"Erschrocken, wie fremd wir uns plötzlich wieder geworden sind"
Greipel fragt sich zudem: "Wozu brauchen wir immer diesen 'Schuld-Westen'? Der kann tun und lassen, was er will, er ist immer Schuld. Und die Ostdeutschen sind immer die Opfer." Sie sieht darin eine Dysbalance, die gerade nicht zu einer Idee von Einheit führen kann.
(PA/dpa/Britta Pedersen) "Man hätte die industrielle Substanz erhalten müssen"
Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht beurteilt den Erfolg der Einheit ambivalent. Es sei gut, dass das Land nicht mehr geteilt sei. Doch es gebe Regionen, in denen die Menschen sich berechtigt abgehängt fühlten.
"Warum haben wir soviel Energien in diesem Land, die vor allem auf Negativbindung, Destruktion gehen, und nicht zu sagen: 'Leute, das sind 30 Jahre. Keiner wusste, wo das ganz Projekt hinläuft und jetzt stehen wir da, schauen uns an und sind erschrocken, wie fremd wir uns plötzlich wieder geworden sind'", sagte Ines Geipel.