Dienstag, 23. April 2024

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30 Jahre Mauerfall
DDR-Geschichte als Theaterprojekt

Unser Hessen-Korrespondent blickt darauf, wie DDR-Geschichte im Westen vermittelt wird. Ein Theaterprojekt mit dem Titel „Rot oder tot“ läuft anlässlich des Mauerfall-Jubiläums auf mehreren Bühnen im Bundesland. Die künstlerische Leiterin des Projekts, Carolin Millner, ist in Halle geboren.

Von Ludger Fittkau | 04.10.2019
Caroline Millner in der Naxos-Theaterhalle in Frankfurt am Main
Die Frankfurter Theatermacherin Carolin Millner bringt Ostthemen in den Westen (Deutschlandradio/Ludger Fittkau)
Szene aus dem Theaterstück: "Wir haben die Wahl, ob wir in einer Welt leben wollen mit prall gefüllten Warenhäusern und ein Teil der Gesellschaft kann sich das leisten und ein Teil nicht. Oder du lebst in einer Gesellschaft, wo eben nicht alles glitzert aber alles ungefähr gleich verteilt ist." - "Was ist denn dann hier für ein Sozialismus, darf hier frei entschieden werden? Demokratische Wahlen? Das ich nicht lache…"
Die Theatermacherin Caroline Millner bringt ihr mehrteiliges Bühnen-Projekt "Rot oder tot" in Frankfurt am Main auf die Bühne. Sie setzt sich mit vielen Details der Geschichte der DDR auseinander.
Nachdenken über den Sozialismus
"Wäre denn überhaupt eine andere Form von Sozialismus in dieser Gemengelage, in der die DDR auch war, dass eigentlich die Sowjetunion über die DDR bestimmt hat in den meisten Punkten – wäre überhaupt was anderes möglich gewesen? Und aus dieser Überlegung heraus und weil ich dachte, dass wenn über die DDR berichtet wird, sind das immer die 80er Jahre, es ist immer kurz vor dem Mauerfall und sonst kommt sie eigentlich nur in so Eckdaten vor. Also: Mauerbau, Ausbürgerung Biermann, vielleicht noch Prag. Und dann natürlich noch der Arbeiteraufstand, mehr nicht."
Caroline Millner verbrachte viele Stunden ihrer Kindheit noch in einer sozialistischen Kinderkrippe in Halle an der Saale. Doch kurz nach dem Mauerfall zog sie mit ihren Eltern nach Westberlin – eine befremdliche Erfahrung, erinnert sie sich:
Auf dem Schulhof als Ossi verprügelt
"Ich habe nicht mehr zu denen in Halle gehört und ich war ja jetzt die, die auch im Westen ist. Und im Westen wurde ich gleichzeitig immer gefragt, woher ich komme und war irgendwie stigmatisiert. Ich wurde zwei Jahre lang von Jungs vor der Schule vermöbelt, weil ich aus dem Osten komme".
Als schließlich im Westen ausgebildete Theaterregisseurin interessierte sich Caroline Millner in den letzten Jahren wieder verstärkt für das Land ihrer Kindheit:
Neue Neugier auf die DDR
"Und habe dann angefangen, mich mit der DDR zu beschäftigen. Ich habe dann angefangen, meine Großeltern und Urgroßeltern auszufragen und meine Eltern. Für die war das aber irgendwie abgeschlossen und die Anekdoten, die ich nicht hören wollte, die habe ich nicht zu hören bekommen. Ich zum Beispiel wusste gar nicht, dass es schon einen großen Kampf in den 50er Jahren innerhalb der SED über die Ausrichtung gab. Also –wie demokratisch kann der Sozialismus sein und wie weit können wir gehen? Das es da ein großes Gerangel gab und dass die Remigranten, die aus Mexiko wiederkamen, eine ganz andere Position hatten als die, die aus Russland kamen und von Stalin gesegnet waren und die dann auch die Oberhand hatten."
Tragische Oppositionsgeschichten
"Und in den 60ern sind wir eben auf die Geschichte von der Familie Brasch gekommen und von Bettina Wegner, die eine der Gründerinnen der Singe-Bewegung in der DDR war. Und dann gibt es eben diese sehr traurige Geschichte, als eben der Aufstand in Prag war. Und schon klar war, der wird niedergeschlagen, hat sich eine Berliner Clique entschlossen, dagegen zu protestieren und Flugblätter zu verteilen. Und zu dieser Gruppe gehörte Florian Havemann. Christoph Hein hat in Leipzig heimlich auch Flugblätter verteilt, das ist zum Glück nicht rausgekommen. Und Thomas Brasch und Bettina Wegner eben auch. Thomas Brasch selber sagt, dass sein Vater, nachdem er ihn um Hilfe gebeten hat, selbst zur Polizei gegangen ist und gesagt hat: Mein Sohn war dabei, ihr könnt ihn verhaften. Und der Gerichtsprozess gegen Bettina Wegner, der ist dokumentiert, der wurde auch schon mal im Deutschlandfunk gesendet."
Alltag in der Diktatur
Die Menschen – und das ist auch heute in Diktaturen so – die leben, die verlieben sich. Die streiten sich, die haben Freundschaften, Freundschaften zerbrechen. Da wartet niemand, dass eine Mauer fällt oder dass endlich der heilsbringende Kapitalismus kommt. Diese Sinnlichkeit und Form des prallen Lebens gab es trotzdem."
Caroline Millner verrät am Ende des Gesprächs im Naxos-Off-Theater in Frankfurt am Main, in dem sie ihre Stücke zur DDR-Geschichte produziert hat: Auch sie persönlich wurde im Westen in der Schule nicht ewig gemobbt:
"Irgendwann gab es mal den Moment, da hat einer der Jungs beschlossen, jetzt bist Du einer von uns und ab dem Moment war es vorbei."