Dienstag, 23. April 2024

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30 Jahre Mauerfall
Wendezeit in Brüssel

Tonia Koch arbeitete als junge Korrespondentin in Brüssel, als die Mauer fiel. Zusammen mit dem ehemaligen Korrespondenten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Peter Hort, erinnert sie sich an diese turbulente Zeit. Sie brachte viel Arbeit, war aber zugleich intensiv und unglaublich spannend.

Von Tonia Koch | 01.10.2019
Gruppenbild der Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfeltreffen im Dezember 1989 in Brüssel
Ein Gipfeltreffen jagte im Winter 1989 in Brüssel das nächste (picture-alliance)
"Schalt‘ das Fernsehen ein!" Ein Anruf von Freunden schickte mich spätabends in meiner Brüssel Wohnung aufs Sofa. Die ganze Nacht klebte ich vorm Fernsehen, vor nie dagewesenen Bildern und Emotionen. Mitte der 1980er-Jahre war ich als junge Korrespondentin für den Saarländischen Rundfunk nach Brüssel gegangen. Einer meiner Kollegen damals war Peter Hort, der Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Für den heute 80-Jährigen war es die letzte Station seiner Laufbahn.
"Wir haben ziemlich gemeinsam da angefangen in Brüssel, wann war denn das, ich meine '86?"
Vieles war anders. Die innereuropäischen Grenzen waren noch nicht offen, der Binnenmarkt erst im Werden, der Euro Zukunftsmusik. Viel Bewegung gab es bei den waffenstarrenden Blöcken: NATO und Warschauer Pakt. Binnen vier Jahren verschrotteten sie große Teile ihrer atomaren Waffensysteme. Ein Fest für eine junge Journalistin wie mich. Ost und West näherten sich einander an. Nur die DDR–Oberen waren davon nicht erfasst. Die Menschen schon. Die Fernsehbilder sprachen Bände. Sie liefen in Dauerschleife, ein Glück für Peter Hort, der am Abend des 9. November einer Einladung zum Essen gefolgt war.
"Den Mauerfall, ich hab noch mal in meiner Erinnerung gekramt, den habe ich eigentlich fast verpasst."
Viel Arbeit für die Korrespondenten
Erst am Morgen danach, als der Radiowecker anging, hat ihn die Nachricht erreicht.
"Dann hieß es da im RTBF-Radio, le mur est tombé, die Mauer ist gefallen."
Auf die Korrespondenten kam mächtig viel Arbeit zu, eilig einberufene Sondierungsgespräche bei EG und NATO, bilaterale Treffen am Rande. Und immer ging es um die Frage der Deutschen Einheit, auch ohne dass sie offiziell auf der Agenda stand. Zwar wurde auch in Brüssel noch immer in Blöcken gedacht, aber es lag etwas Neues in der Luft, urteilt der damalige Europa-Korrespondent der FAZ im Rückblick.
"Man darf natürlich nicht vergessen, dass dieses Fenster der Gelegenheit der Wiedervereinigung nicht zuletzt durch Gorbatschow auch kam. Ich frage mich bis heute, unter den heutigen Umständen wäre die Wiedervereinigung wohl kaum mehr möglich. "
Schnell wurde uns Berichterstattern klar, wie die Rollen verteilt waren. Vorbehaltlos standen nur die Amerikaner einer deutschen Einigung gegenüber. Die Briten bremsten und die Franzosen fürchteten sich vor einem wieder erstarkten Deutschland. Ich, die ich an der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen war, konnte das verstehen. Die Angst war historisch begründete, fasst es Peter Hort zusammen.
"Ich glaube die Angst rührte in erster Linie daher, dass sowohl die Franzosen als auch die Briten glaubten, jetzt mit dem Fall der Mauer und der jetzt drohenden Wiedervereinigung – in ihren Augen drohend - würde das alte Groß-Deutsche Reich wieder erstehen, das spukte in den Köpfen herum, so dass ihnen ein wiedervereinigtes Deutschland als neue europäische Großmacht unheimlich war."
Zwei Gipfeltreffen innerhalb von drei Wochen
Mitterrand versuchte zunächst den zweiten deutschen Staat zu stärken, ihm wirtschaftlich auf die Beine helfen. Aber die Verhandlungen, die von den vier Siegermächten mit den beiden deutschen Staaten geführt wurden, liefen in eine andere Richtung. Die sicherheitspolitischen Interessen von Amerikanern und Sowjets bestimmten die sogenannten Zwei-Plus–Vier-Gespräche und nicht die Befindlichkeiten der Franzosen. Francois Mitterrand, da war sich die Brüsseler Journaille einig, blieb nichts anderes übrig, als die Strategie zu ändern und die Deutschen fest in Europa einzubinden, beschreibt der FAZ-Kollege die Situation.
"Wir können es wohl nicht verhindern, dann müssen wir eben dafür sorgen, dass dieses größer werdende Deutschland eingemeindet wird in die bestehenden Verträge der Europäischen Gemeinschaft."
Innerhalb von drei Wochen folgten im Winter 1989 zwei EG-Gipfeltreffen in Paris und Straßburg. Die Stimmung war miserabel. Bundeskanzler Kohl hatte Mitterrand verärgert, weil er ohne Absprache mit einem Zehn-Punkte-Plan vorgeprescht war. Darin hatte er sowohl seine deutschlandpolitischen als auch seine europäischen Vorstellungen formuliert. Noch heute verwahre ich diesen Plan, versehen mit einem dicken Aufdruck "vertraulich" in meinem persönlichen Archiv. Die Deutschen wollten zu schnell zu viel, das verunsicherte die Europäer. Aber letztendlich erkannten sie das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen an und stellten die Weichen sowohl für eine politische als auch für eine Wirtschafts-und Währungsunion. Der Euro war auf dem Weg. Es waren unglaublich intensive, spannende zwei Jahre, nicht nur für mich.
"Also ich habe nie so viele Aufmacher geschrieben und Kommentare vorne auf der ersten Seite wie in jenen Tagen, also man konnte sich als Journalist nichts Schöneres vorstellen."
Bis heute wirkt die Zeit nach. Peter Hort - den ich 20 Jahre lange nicht gesehen habe – und ich, wir sind überzeugte Europäer geblieben.