Donnerstag, 18. April 2024

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30 Jahre nach Sandoz-Chemiekatastrophe
Erste Lachse tummeln sich wieder im Rhein

Vor 30 Jahren wüteten die Flammen in der Lagerhalle des Chemiekonzerns Sandoz bei Basel. Auf einer Länge von rund einem halben Kilometer starben alle Fische. Vor allem durch das Löschwasser, das zahlreiche Giftstoffe enthielt. Umweltschützer und Politiker vor Ort ziehen heute Bilanz.

Von Thomas Wagner | 31.10.2016
    Ein Mann in Jacke und Mütze fischt mit einem Kescher tote Aale aus dem aus dem Oberrhein bei Basel.
    1986: Ein Helfer fischt tote Aale aus dem Oberrhein bei Basel. (picture-alliance / dpa )
    Ende Oktober an der mittleren Rheinbrücke in Basel – ein sonniger Spätherbsttag. Den nutzten viele Passanten zu einem Sparziergang am Ufer entlang, so auch der Basler Rentner Wolfgang Scheich. Immer wieder schaut er auf den an dieser Stelle langsam dahinfließenden Fluss:
    "Wenn keine badenden Leute drin sind, ist der glasklar. Die Wasserqualität hat wesentlich zugenommen. Er gilt als sauber."
    Das war damals, vor 30 Jahren, ganz anders. Wolfgang Scheich erinnert sich an den 1. November 1986: "Rotes Wasser und nur noch grässlich, ja. Und man findet heute nur noch Steine, die rot sind, die irgendwo vergraben waren."
    Roter Rhein
    Rot – das war vor 30 Jahren die Farbe des giftigen Löschwassers, mit dem die Feuerwehren den Großbrand der Chemie-Lagerhalle bei Schweizerhalle, zu löschen versuchten – stundenlang – mit drastischen Folgen:
    "In den Ecken, in den Gebüschen, trieben die roten Fische, die toten Aale."
    Erinnert sich Axel Mayer, Geschäftsführer des Regionalverbandes Oberrhein im Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland. Die Bilder vom rotgefärbten Rein, von den massenweise eingesammelten toten Fischen gingen damals um die Welt. Und heute?Die
    "Die gröbste Rheinverschmutzung haben wir definitiv hinter uns. Es ist objektiv besser geworden."
    Die Katastrophe von Sandoz, gesteht Umwelt-Aktivist Axel Mayer aus Freiburg ein, habe damals in kürzester Zeit zu einem Umdenken bei Politikern und Behörden geführt – hin zu mehr Gewässergüte, im Gegensatz zur Zeit vor dem Sandoz-Großbrand.
    "Damals waren der Rhein und viele unserer Flüsse eine Kloake. Es gab ganz viele Flüsse und ganz viele Städte, die hatten keine Kläranlage. Der Rhein hat gestunken. Es war ein richtiger Problemfluss."
    Dann kam die Chemie- und Brandkatastrophe bei Basel, die zu einem Umdenken bei Behörden und Politikern führte: Städte und Gemeinden, aber auch die Industrieunternehmen am Rheinufer bauten auf "Teufel-komm-raus" Kläranlagen.
    "Also ich erinnere mich, zehn Jahre nach Sandoz haben wir es als Bund geschafft, der letzten Papierfabrik am Rhein eine Kläranlage auf zu prügeln. Seither hat sich die Wasserqualität verbessert. Aber sie ist immer noch nicht gut."
    Export von europäischen Umweltproblemen nach Fernost
    Zwar verwies die internationale Kommission zum Schutz des Rheins, in der Vertreter aller Rhein-Anliegerstaaten mitreden dürfen, erst kürzlich auf die ersten Lachse, die sich wieder im Rhein bei Basel tummeln, aus der einstigen "Kloake Rhein" sei wieder ein sauberer Strom geworden – aber eben noch nicht sauber genug, ergänzt Axel Mayer vom Bund Oberrhein:
    "Trotzdem haben wir noch Tausende von Industriechemikalien im Rhein, Medikamente, Hormone, Pseudohormone, Mikroplastik und wir haben das radioaktive Tritium aus den Atomkraftwerken, die sich immer noch am Rhein befinden."
    Doch damit nicht genug: Rudolf Rechsteiner, Umweltaktivist aus Basel, saß als Mitglied der Schweizer Sozialdemokraten lange im Nationalrat, dem Schweizer Parlament, und ist immer noch Mitglied im Großen Rat des Kantons Basel-Stadt: "Die Gewässerschutzmaßnahmen kosteten rund eine Milliarde Franken. Es gibt heute Sicherheitsinspektorate und Kontrollen."
    Vor allem gibt es nach der Katastrophe von Schweizerhalle, auch deutlich strengere Vorschriften zur Einleitung von Abwässern in den Rhein. Zwar gesteht Rechsteiner der chemischen und pharmazeutischen Industrie zu, sich an all dies zu halten.
    "Was aber merkwürdig ist, dass sich die Chemie selber verlagert hat. Sie haben gesagt, sie können an Standorten in Asien, in China, produzieren ohne diese Umweltvorschriften. Und die sind mehr oder weniger jetzt alle ausgezogen."
    So stelle die chemische Industrie in der Schweiz nur noch Stoffe mit geringem Gefährdungspotential dar.
    "Die Gefährdung findet heute in China statt, in Indien, an anderen Standorten. Dort wird großflächig das Grundwasser verschmutzt. Und es gibt keine "End-of-Pipe-Maßnahmen."
    Also keine Kläranlagen mit den hohen Grenzwerten wie am Rhein. Die Sandoz-Katastrophe habe letztlich zu einem Export von europäischen Umweltproblemen nach Fernost geführt – nach Ansicht von Rechsteiner und anderen Umweltaktivisten ein Ärgernis erster Güte. Doch neuerdings sehen sie einen Hoffnungsschimmer am fernöstlichen Horizont aufflackern.
    "Es ist natürlich in China einiges im Gange. Es gibt auch dort eine Umweltbewegung. Und die Gewässerqualität und die Wasserknappheit auch an diesen belasteten Standorten ist inzwischen so relevant, dass die Regierungen dort die gleichen Vorkehrungen treffen wie bei uns."
    Nach Ansicht von Rudolf Rechsteiner eine der Spätfolgen der Chemiekatastrophe von Basel vor 30 Jahren, die erst jetzt zutage treten.