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30 Jahre nach Tschernobyl
Ukraine plant neues Kernkraftwerk

Am 26. April jährt sich die Atomkatastrophe von Tschernobyl zum 30. Mal. Aber in der Ukraine, der Heimat des Reaktors, werden immer noch 15 Atommeiler betrieben und mehr: Die Regierung will zwei weitere bauen mit politischer und finanzieller Hilfe der EU.

Von Jürgen Döschner | 25.04.2016
    Für einen Tag war das verschlafene Städtchen Netischyn auf halber Strecke zwischen Kiew und der Grenze zu Polen zumindest der Nabel der Ukraine. Denn an diesem 16. Oktober 2015 begrüßte Bürgermeister Suprunjuk die Teilnehmer einer internationalen Konferenz:
    "Die Stadt Netischyn begrüßt die Delegierten dieser Konferenz über den Bau einer Energiebrücke zwischen der Ukraine und Europa, genauer nach Polen. Netischyn wird damit zu einem bedeutenden Teil der ukrainischen Energiepolitik."
    Anlass der Konferenz war der Bau einer neuen, grenzüberschreitenden Hochspannungsleitung zwischen der Ukraine und Polen. Eine wichtige Lebensader mit hoher Symbolkraft für die Annäherung der Ukraine an die EU. Das Besondere an dieser Ader ist jedoch: Das Blut, also der Strom, soll nicht aus Polen in die von Energienot geplagt Ukraine fließen, sondern genau umgekehrt. Denn sie ist Teil eines bislang kaum bekannten und reichlich absurden Plans - den der damalige ukrainische Energieminister Swetelik im September letzten Jahres vor dem Parlament - vermutlich mit Absicht - recht umständlich so beschrieb:
    "Das vorliegende Gesetz ermöglicht uns durch die Wandlung des bestehenden Atomkraftwerks Chmelnitzky zum europäischen Stromlieferanten, die Kraftwerksblöcke drei und vier fertig zu bauen.
    Einfacher ausgedrückt: Die ukrainische Regierung will einen von zwei bestehenden Blöcken des Atomkraftwerks Chmelnitzky im Westen des Landes komplett vom ukrainischen Netz trennen und den Strom anschließend nur noch nach Polen verkaufen. Von den Einnahmen sollen dann die in den 1980er-Jahren nur halb fertig gestellten Blöcke drei und vier des AKW Chemlnitsky zu Ende gebaut werden. Pläne, die beiden Reaktoren mit russischer Hilfe fertigzustellen, gab es schon lange. Aber sie scheiterten bislang vor allem an der Finanzierung.
    Nun springt die EU ein, erklärt das ganze Projekt zum Teil des großen Plans einer transeuropäischen Energieversorgung, gibt Geld und politische Rückendeckung. Die atompolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, hält den Plan für unverantwortlich und völlig verrückt:
    "Das sind Atomkraftwerke, die sind vor 30 Jahren gebaut worden, das eine ist zu 75 Prozent fertiggestellt. Und das soll jetzt vollendet und in Betrieb genommen werden. Völlig unverantwortlich!"
    Im Moment liegen die Pläne allerdings auf Eis. Angesichts der Energieprobleme in der Ukraine gibt es offenbar Widerstand, ein ganzes Kraftwerk für den Stromexport nach Polen zu reservieren. Mit der Errichtung der nötigen Leitungen hat man allerdings schon begonnen. Und die Baufirmen für das Kraftwerk stehen auch schon in den Startlöchern – darunter die belgische Firma Electrabel, bei uns vor allem bekannt als Betreiber der beiden Pannenreaktoren Doel und Tihange in Belgien.