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30 Jahre ohne Strom vom Netz
Eine Familie lebt autark

Altes Wissen plus aktuelle Technik - eine Familie aus Lörrach in Baden-Württemberg startete ihre private Energiewende schon vor 30 Jahren. Damals bezogen Eltern und zwei Kinder ein hochmodernes Haus. Der Clou: Es kommt ohne Stromanschluss aus. Das radikale Experiment ist erfolgreich.

Von Uschi Götz | 30.10.2018
    Hausansicht
    Familie Delzer lebt energieautark in Lörrach (Deutschlandfunk / privat)
    Ein großzügiger, heller Raum, viele Bücher - Siegfried Delzer steht in seinem Wohnzimmer. Delzers Haus unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht wesentlich von anderen. Doch beim Blick ins Freie fallen Doppelfenster auf. Historische Schwarzwaldhäuser in der Umgebung dienten dem Bauherrn damals als Vorbild:
    "Diese Idee des Kastenfensters - übertragen auf modernere Konstruktion - eine Doppelfassade. Wenn man aber eine Doppelfassade hat, dann sagen viele: Doppelte Kosten. Wie kann man die verbessern? Indem man den Nutzen erhöht."
    Siegfried Delzer ist Diplomingenieur der technischen Kybernetik und entwickelt in seinem Planungsbüro Energiekonzepte. Die Energiewende fand bei Delzers bereits vor 30 Jahren statt. Ohne Stromanschluss bezog das Ehepaar mit seinen beiden Kindern damals sein neugebautes Haus im Lörracher Ortsteil Haagen. Seitdem wird getestet, was in Sachen Energie machbar ist:
    "Erstmals kommt die Effizienz. Jede eingesparte Kilowattstunde ist mehr wert, als eine produzierte."
    Von den alten Römern lernen
    Delzer ist sicher: Mit Blick auf die Energiewende werden vorhandene Techniken übersehen, weil nur neue Technologien das Ziel erreichbar scheinen lassen. Dabei waren die alten Römer schon sehr weit in Sachen Energieeffizienz. Der Energieexperte steht nun auf seinem Balkon und schaut auf eine große Fensterfassade. "Zwischen den Scheiben entsteht warme Luft", erklärt er, "die in ein Hypokauste-System reingeht".
    Das hört sich hochmodern an, doch die Idee ist alt. Warme Luft strömt dabei durch Hohlräume, um Wärme zu transportieren. Das Hypokauste-System stammt von den Römern. Sie nutzten diese Form der Energiegewinnung und Verteilung zunächst in ihren Thermen, später fand sich das System auch in römischen Wohnhäusern. Bei den Delzers strömt die warme Luft durch den Fußboden, der aus zwei Schichten besteht. Wieder zurück im Wohnzimmer bleibt Siegfried Delzer vor einem großen Kachelofen stehen.
    "Zentral im Haus haben wir einen Energieschacht, wo die warme Luft von der Fassade reingeführt wird, und vom Energieschacht strömt sie in diese Hypokausten rein. Warum dieser kleine Umweg? Der Energieschacht hat als senkrechter Schacht die Funktion, die ganze Wärme zu verteilen und sammeln. Denn am Energieschacht ist auch noch ein Kachelofen angeschlossen, und dieser Kachelofen kann, wenn von draußen keine Sonne kommt, die warme Luft produzieren, sodass auch darüber Wärme über die Hypokausten reinströmt."
    Ausbaufähige Solaranlage
    Ein wichtiger Vorteil: So eine Flächenheizung braucht keine warmen Heizkörper, und sie hält das Haus trotzdem warm. Auch für die Solaranlage hat sich Delzer etwas Besonderes einfallen lassen.
    "Senkrecht in der Fassade drin bedeutet, dass keinerlei Schnee darauf liegen bleibt, auch die Verschmutzung ist geringer. Das heißt, die Anlage funktioniert im Winter sicher. Und wenn Sie durch das Land fahren im Winter, dann sehen Sie, wie die PV-Module im Winter mit Schnee zugedeckt sind. Also gerade dort, wo man die Energie braucht, sind die Anlagen nicht in Betrieb."
    Das Haus wurde so geplant, dass nach Bedarf Technik und Material gegen effizientere Systemen ausgetauscht werden können. So wird die solarthermische Anlage in der Fassade, die auch für warmes Wasser sorgt, zurzeit gegen eine neue, moderne Photovoltaikanlage ausgetauscht. Außerdem steht im Garten ein etwa fünf Meter breites und ebenso langes Photovoltaikfeld.
    "Wir haben 3,6 KW-Peak PV-Anlage, reicht für Bürobetrieb mit fünf Rechnern und für das Wohnen und im Sommer auch noch für das Kochen. Wenn wir das jetzt noch erweitern, nochmal drei KW dazu nehmen, dann sind es 6,6 KW. Dann ist Kochen 100 Prozent und dann noch eine kleine Wärmepumpe zum Heizen, und wir eliminieren dann immer mehr die Holzheizung, der Kachelofen wird dann weniger benutzt."
    Anfallender Stromüberschuss wird im Keller des Hauses in einer 24-Volt Gabelstaplerbatterie gespeichert und in Form von Wärme abgegeben.
    "Wir sorgen selber dafür, dass schlechte Tage mit der Batteriekapazität überwunden werden. Und wenn es nicht ganz reicht dann eben die Kraft-Wärme-Koppelung uns Wärme liefert und Strom. Und damit ist das eigentlich gut gedeckt."
    Seit 30 Jahren funktioniert das Prinzip. Mit der zweiten Technikgeneration, die derzeit eingebaut wird, ist es bald ein Nullenergiehaus. Andere mit seinem Konzept ermutigen, den Weg in die Energieunabhängigkeit zu gehen, das ist Siegfried Delzers Ziel.