Freitag, 19. April 2024

Archiv

30 Jahre Tiananmen
"Das Thema findet in China einfach nicht statt"

Zum 30. Jahrestag des Tiananmen-Massakers herrscht in chinesischen Medien lautes Schweigen - denn "die Zensur funktioniert inzwischen so gut wie noch nie", so China-Korrespondent Steffen Wurzel im Dlf. Auch für Journalisten aus dem Ausland sei die Berichterstattung zum Thema eine Herausforderung.

Steffen Wurzel im Gespräch mit Christoph Sterz | 04.06.2019
Demonstranten setzen auf dem Platz des himmlischen Friedens (Tian'anmen) in Peking am 03.06.1989 einen Panzer in Brand. Am 3. und 4. Juni lies die chinesische Führung die Proteste der Bevölkerung für mehr Demokratie und Freiheit auf dem Plat
Ein Bild, das in chinesischen Medien nicht gezeigt wird: Demonstrierende setzen 1989 in Peking einen Panzer in Brand. (picture-alliance / dpa / AFP)
Am 04. Juni 1989 schlug das chinesische Militär demokratische Proteste in Peking und anderen Städten nieder und töte Hunderte, vielleicht sogar mehrere Tausend Menschen. Darüber lesen, hören oder sehen wird man in chinesischen Medien aber auch am 30. Jahrestag des Tiananmen-Massakers nicht.
"Es gibt dieses Thema nicht - nicht nur innerhalb dieser speziellen Gedenkzeit 30 Jahre danach, sondern auch im Rest des Jahres. Das Thema findet ganz einfach nicht statt. Und zwar zu 100 Prozent", sagte China-Korrespondent Steffen Wurzel im Gespräch mit @mediasres.
Zensur umfasst alle Medien
Die mediale Zensur in China funktioniere so gut wie noch nie - egal ob Fernsehen, Radio, Zeitungen oder Literatur - alles sei vollständig unter staatlicher Kontrolle. Das gelte auch für Social Media.
"Es sind fast ausnahmslos inländische, chinesische Social-Media-Angebote erlaubt und zugänglich, und das bedeutet wiederum, dass auch dort die staatliche Zensur - und auch die Eigenzensur der chinesischen Internetfirmen - volle Kontrolle und vollen Zugriff hat."
Darüberhinaus funktioniere Social Media in China anders als im Rest der Welt: Man könne nichts anonym posten.
"Alle Nutzeraccounts sind in der Regel mit Klarnamen und mit einer Telefonnummer verknüpft - und diese Telefonnummer ist in China mit dem Personalausweis verknüpft. Die Behörden können also relativ schnell herausfinden, wer wo etwas gepostet hat und übrigens auch, wer was liest - auch das kann nachvollzogen werden. Und wenn man dann aus Sicht der chinesischen Staatsführung etwas Unangenehmes treibt, kann man dann auch sehr schnell zur Rechenschaft gezogen werden."
Zeitzeugen nur schwer ausfindig zu machen
Für Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten wie Wurzel ist es deshalb eine große Herausforderung, in China etwas über Themen wie das Tiananmen-Massaker zu erfahren.
"Es ist sehr schwierig, an Augenzeugen von damals ranzukommen. Denn es gibt natürlich in China schon lange keine Zivilgesellschaft mehr wie bei uns in Mitteleuropa. Es gibt keine NGOs, es gibt keine Vereine oder ähnliches, die das Gedenken an den 4. Juni 1989 wach halten."
Auch im universitären Bereich gebe es keine Historiker und keine Forschung, die zu diesem Thema betrieben werde. Deshalb laufe alles über persönliche Kontakte, und die Auslandsreporterinnen und -reporter hätten schon sehr früh anfangen müssen mit der Berichterstattung über den Jahrestag - denn je näher dieser Tag gerückt sei, desto mehr seien die Quellen, Augenzeugen und Experten zu diesem Thema in Gefahr und unter Beobachtung, so Wurzel.
"Man muss also ganz früh anfangen, mit diesen Leuten in Kontakt zu treten, möglichst nicht über Telefon. Weil wir davon ausgehen können, dass unser Telefon abgehört wird, aber eben auch das Telefon dieser "üblichen Verdächtigen", die damals dabei waren. Man muss also vorsichtig sein, wir wollen ja unsere Quellen nicht in Gefahr bringen. Und alles, was wir veröffentlichen, tun wir anonym. Und natürlich findet auch vieles im Ausland statt: Sehr viele der damals Beteiligten leben inzwischen im Ausland - in den USA, in Australien, in Taiwan, aber auch in Europa."