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31.3.1904 - Vor 100 Jahren

Ein feiner Geheimnisschleier umgibt die Jugend dieses Theatermannes, "den alle mir mit Ehrfurcht nennen". Sohn einer Münchner Kaufmannsfamilie. Gymnasium, Abitur 1923, dann Universität München. Buckwitz hört Kunstgeschichte bei Heinrich Wölfflin, Germanistik bei Fritz Strich, Theaterwissenschaft bei Arthur Kutscher – viel besser geht es nicht. Nebenbei Schauspielunterricht. Und doch - nach sechs Semestern verlässt er die Uni und wird Schauspieler. Der Mann, der später, als zielstrebiger, durchaus herrischer Chef der Städtischen Bühnen Frankfurt nur "Der General" genannt wird, schwärmte. Warum? Darüber hat er so wenig je ein Wort verloren wie über seine elterliche Familie.

Von Reinhardt Stumm | 31.03.2004
    Nach einem Jahr Recklinghausen engagierte ihn Otto Falckenberg an die Münchner Kammerspiele. Es war sein Erweckungserlebnis – er erfuhr, was er die "musisch-poetische Durchdringungskraft" des Theaters nannte. 1937, in Freiburg engagiert, wird der Halbjude Buckwitz aus der Reichstheaterkammer ausgeschlossen. Er sagte es so: "Ich bekam da grosse Schwierigkeiten mit meiner Abstammung".

    Er geht nach Ostafrika. Im Tanganjika-Territory, dem heutigen Tansania, betreibt er ein Hotel. Und richtet sich ein kleines Theater ein. Buckwitz als Direktor und meist einziger Schauspieler. Bei Kriegsausbruch interniert, schicken ihn die Engländer 1940 zwangsweise nach Deutschland zurück. Auf welche Weise er bis 1944 Direktor in einem Hotel in Lodz sein konnte, hat nie jemand erfahren. Das letzte Kriegsjahr war er Kraftfahrer im Heimatdienst.

    1945 entnazifiziert, wird er Direktor des Münchner Volkstheaters. Die Welt ein Trümmerhaufen, das Theater mittendrin:

    Das Aufregendste war zunächst mal, das es eine so armselige äussere Existenz war, dass zum Beispiel das erste Jahr als wir Theater spielten, nicht geheizt werden konnte und das Geld nahezu wertlos war. So dass das Publikum Naturalien mitbrachte, um ins Theater kommen zu können. Man bekam also vom Holzhändler Holz auf dem schwarzen Markt geschenkt, man bekam vom Land Eier, so dass man also sah, Menschen haben sich wichtiger Dinge entäussert, um ins Theater gehen zu können.

    Ein halbes Jahr später macht Erich Engel ihn zum Verwaltungsdirektor der Kammerspiele. Jetzt lernt Buckwitz das Regiehandwerk. Sein erster Erfolg: "Des Teufels General" von Zuckmayer. Brecht taucht auf, die Giehse, der Bühnenbildner Teo Otto. Die "Dreigroschenoper" ist Buckwitzs erste Brecht-Inszenierung.

    Da bin ich auch zum ersten Mal in sehr bewusster Form mit dem Marxismus konfrontiert worden. Und in erster Linie insbesondere auch von Piscator damals mit dem politischen Theater konfrontiert worden. Ich habe da das Gefühl gehabt, dass weder das totale poetische Theater noch das totale politische Theater, doch dem, meiner Meinung nach, heutigen Theater gemäss ist.

    Was sich da ausbildet, ist die gemässigt- progressive, auf solidem konservativem Fundament ruhende Haltung, die Buckwitz fortan auszeichnete. Von München 1951 als Generalintendant der Städtischen Bühnen nach Frankfurt geholt, machte es genau diese Haltung möglich, die Sperren zu überwinden, die der Kalte Krieg errichtet hatte. In den siebzehn Jahren seiner Intendanz baute Buckwitz nicht nur den ganzen Betrieb um, holte Georg Solti als Generalmusikdirektor der Oper, er vermittelte vor allem in seinen neun Brecht-Inszenierungen, was für ihn – jenseits allen ideologischen Gezänks – grosse Bühnendichtung, grosse dramatische Literatur war. Erregung genug, für die er in jenen Jahren sorgte,

    und diese Erregung ist nicht davon ausgegangen, wie perfekt so eine Inszenierung gebaut ist, sondern sie ist ausgegangen von der Substanz des Stückes. Und die Erregungsfähigkeit des Stoffes, der Stücke, die wir damals zeigten, die war eigentlich der entscheidende Erfolg meiner Arbeit in Frankfurt.

    Es waren Jahre, die unaufhörlich Erklärungen forderten – Buckwitz lieferte sie. Am Schreibtisch formulierte er zu Glaubenssätzen, was er praktizierte. Mit Besorgnis erfüllte ihn "die zunehmende Maßlosigkeit" des Betriebs. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass er 1970 – zwei Jahre nach Beendigung seiner Frankfurter Zeit - als Interimsdirektor an das wieder einmal havarierte Schauspielhaus Zürich geholt wurde. Es wurden vor allem deshalb siebeneinhalb unerfreuliche Jahre, weil sein Vertrag immer nur ad interim verlängert wurde – was es Buckwitz unmöglich machte, das Haus durchgreifend umzugestalten. Belastend auch, dass Hans Habe in der "Welt am Sonntag" Buckwitz beschuldigte, damals in Lodz mit den Nazis zusammengearbeitet zu haben. Friedrich Dürrenmatt wehrte sich für ihn, der Verwaltungsrat stützte ihn. Buckwitz war hart. Wegen Verletzung der Treuepflicht entliess er seinen Chefdramaturgen Claus Bremer fristlos – und musste dafür büssen. Es fand sich kein auch nur annähernd gleichwertiger Ersatz.

    1977 hatte die Qual ein Ende. Eine Sonderregelung erlaubte ihm und seiner Frau, in der Schweiz zu bleiben. Im Oktober jenes Jahre dankte er dem Zürcher Stadtpräsidenten: "Jetzt erst ist Zürich unsere sorgenfreie und von Dankbarkeit erfüllte Wahlheimat geworden."

    Harry Buckwitz starb am 27. Dezember 1987 – in Zürich.