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375 Jahre "Die Nachtwache"
Als Rembrandt Bewegung ins Bild brachte

Die "Nachtwache" ist eines der bedeutendsten Bilder der Kunstgeschichte. Rembrandt porträtierte hier die Mitglieder der zur Mitte des 17. Jahrhunderts einflussreichsten Amsterdamer Gilde. Doch anders als üblich, stellte er sie nicht einfach nebeneinander, sondern schuf auf der Leinwand durch Bewegung, Licht und Schatten "großes Theater".

Von Carmela Thiele | 09.02.2017
    Besucher des Reichsmuseums in Amsterdam fotografieren Rembrandts "Nachtwache"
    Besucher des Reichsmuseums in Amsterdam fotografieren Rembrandts "Nachtwache" (Andreas Diel)
    Amsterdam, Mitte des 17. Jahrhunderts: Dank der Flotte der Ostindien-Kompanie beherrschten die Niederländer den Handel mit Asien. Eine reiche Patrizierschicht lenkte die Geschicke des Stadtstaates, aber auch wohlhabende Händler und Handwerker strebten nach Macht und Einfluss. Die Bürgerschaft war in Gilden organisiert, die aus den mittelalterlichen Bürgerwehren hervorgegangen waren. Doch wichen die militärischen zunehmend repräsentativen Aufgaben. Der Titel des heute als "Nachtwache" bekannten Gruppenporträts lautete "Kapitän Frans Banningh Cocq gibt seinem Leutnant den Befehl zum Abmarsch der Bürgerkompanie". Die Cloveniers-Gilde hatte das Bild bei Rembrandt für ihren neuen Festsaal in Auftrag gegeben. Doch statt ein gewöhnliches Gruppenporträt abzuliefern, schuf Rembrandt etwas Neues, so der Kunsthistoriker Holger Jacob-Friesen:
    "Rembrandt war ein Maler von großem Selbstbewusstsein, der sich eben erlauben konnte, einen Auftrag ganz nach eigenem Geschmack und eigenem Willen auszuführen. Und das hat er hier gemacht. Er hat die Tradition aufgegriffen und sie völlig verwandelt mit den Mitteln eines Historienmalers, der er gewesen ist, mit den Fähigkeiten, eine Situation zu inszenieren, durch Licht und Schatten, durch Bewegung, aber auch durch Kostüme, die er aus seinem Requisitenfundus herausgenommen hat: all das ist hier auf diesem Bild zu sehen."
    Rembrandts Innovation gefiel nicht jedem
    Das Gruppenporträt war eine holländische Sonderform des Porträts. Es versammelte die Bildnisse mehrerer Personen auf einer Leinwand, meist Kopf neben Kopf, Mühlsteinkragen an Mühlsteinkragen. Rembrandts Version dieses Bildtyps gefiel nicht jedem. Sein Zeitgenosse Samuel van Hoogstraten hingegen erkannte früh die Qualität des Bildes:
    "Und doch wird dieses Bild, sei es noch so angreifbar, …, überdauern, weil es …, so kompliziert in der Komposition und so kräftig ist, dass sich alle anderen Schützenstücke wie Kartenblätter ausnehmen."
    Wirklich zufrieden mit ihren Porträts konnten allerdings nur die zwei Hauptpersonen im Vordergrund sein, der Hauptmann Frans Banningh Cocq und sein Leutnant Wilhelm van Ruytenburgh. Rembrandt malte den Bürgermeister in schwarzem Anzug und roter Schärpe, vorwärts schreitend, dem Stadtrat an seiner Seite den Befehl zum Aufbruch erteilend. Dieser folgt ihm bereits, modisch in gelbes Tuch und gelbes Leder samt passendem Hut gekleidet. Weitere 18 Gilden-Mitglieder müssen sich den abgedunkelten Hintergrund teilen, ausgestattet mit altertümlichen Helmen und Hellebarden, aber auch langen Musketen. Nicht alle Porträts können heute eindeutig identifiziert werden, zumal Rembrandt die Männer in Aktion zeigt, um den Eindruck einer kompletten Kompagnie zu erwecken. Dazu Holger Jacob-Friesen: "Die ganze Gruppe ist in Bewegung, kommt nach vorne, sammelt sich, formiert sich. Es ist großes Theater, was er hier aufführt, auf diesem Gruppenbildnis."
    Den falschen Namen "Nachtwache" erhielt das Bild erst im 19. Jahrhundert
    Musketenschützen laden und säubern im Getümmel des Aufbruchs ihre Waffe. Ein "Pulver-Junge", der während der Einsätze für Pulver-Nachschub sorgte, huscht durch die Szene. Diese Figur am linken unteren Rand ist heute kaum zu erkennen, da das Bild am linken, und auch am oberen Rand beschnitten wurde. Grund dafür war der Umzug des über 300 Kilogramm schweren Bildes 1715 ins Rathaus. Wie von einem Lichtstrahl beleuchtet tritt hingegen die Figur eines kleinen Mädchens hervor. Sie trägt einen Hahn am golden schimmernden Gewand, die Klauen des Tieres sichtbar am Gürtel befestigt.
    Holger Jacob-Friesen: "Klaue und Clovenier, das ist etymologisch verwandt, und die Cloveniere, die Büchsenschützen, haben die Klauen im Wappen getragen. Also es ist eine Art Maskottchen, ..., das hier von Rembrandt hervorgehoben wird, Maskottchen, wie sie tatsächlich mitliefen bei Festumzügen."
    Als Rembrandt im Frühjahr 1642 die "Nachtwache" vollendete, befand er sich auf der Höhe seines Ruhms. Er war als Porträtist gefragt, widmete sich dann aber mit zunehmendem Alter vor allem religiösen Historienbildern und Radierungen. Den falschen Namen "Nachtwache" erhielt das Kooperationsbild erst im 19. Jahrhundert, nachdem es stark nachgedunkelt war. Im 1885 eröffneten Rijksmuseum in Amsterdam erhielt das herausragende Werk einen Ehrenplatz. Dort erstrahlt Rembrandts Gruppenporträt der Cloveniersgilde heute nach zahlreichen Restaurierungen wieder in neuem Glanz.
    Königin Beatrix und Museumsdirektor Wim Pijbes bei der Wiedereröffnung des Rijksmuseums Amsterdam
    Königin Beatrix und Museumsdirektor Wim Pijbes bei der Wiedereröffnung des Rijksmuseums Amsterdam (picture alliance / dpa / Robin Utrecht)