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4.3.1929 - vor 75 Jahren

Vielleicht saß der zehnjährige Geigenschüler Bernard Haitink 1939 im Großen Saal des Amsterdamer Concertgebouw, als der legendäre Willem Mengelberg die vierte Mahler-Symphonie dirigierte - hier im Live-Mitschnitt. Immerhin, ein Geiger des Orchesters war damals Haitinks Lehrer. Mengelberg, führender Mahler- und Bruckner-Dirigent seiner Zeit, ein Freund Gustav Mahlers, beeinflußte Bernard Haitinks musikalisches Klang- und Weltbild. Und das Symphonieorchester in dem berühmten Amsterdamer Konzerthaus war seine musikalische Heimat.

Von Wolfgang Schreiber | 04.03.2004
    Aber Haitink, zwei Generationen jünger als der alte Mengelberg, verkörperte von Anfang an einen neuen Dirigenten-Typus. Er dirigierte Mahler nicht mehr in solch ekstatischen Tempozuckungen. Er trat nicht mehr als Herrscher vor das Orchester, als Tyrann am Pult, wie es für Toscanini, Furtwängler oder eben Mengelberg selbstverständlich gewesen war. Haitink ist der nüchterne, hochprofessionelle, strenge und doch auch freundliche Meister mit dem Taktstock, der die Musiker und das Publikum mit souveränem Handwerk und seinem künstlerischen Ernst beeindruckt. Mit einer geradezu charismatischen Energie.

    Begriffe wie Pultstar, Glamour, Stardirigent passen nicht auf den uneitlen Künstler, der gleichwohl zu den renommiertesten Meistern seines Fachs zählt. 27 Jahre lang stand er an der Spitze des Concertgebouw Orchesters - als eine Instanz in der Tradition dieses Klangkörpers in puncto Klassik und Romantik, der Symphonik von Beethoven bis Brahms, Bruckner und Mahler. Zumal durch Schallplatten wurde Haitinks Ruf weltweit verbreitet, wobei auffällt, dass der wertkonservative Dirigent ein ähnliches Repertoire wie der große Willem Mengelberg für sich in Anspruch nimmt. Das heißt: Die Barockmusik oder die Moderne überlässt er Spezialisten - mit ein paar Ausnahmen jedoch.

    Bernard Haitink dirigiert die Sechste Symphonie des Briten Ralph Vaughan Williams. Er hatte sich von Amsterdam aus, wo er bis 1988 als Chefdirigent wirkte, schon früh nach London hin orientiert. War zehn Jahre lang Musikchef des Glyndebourne Festivals, des Londoner Opernhauses Covent Garden und des London Philharmonic Orchestra gewesen. Ging dann gastweise zum Boston Symphony Orchestra. Und wagte vor zwei Jahren noch einmal die Veränderung: Als Nachfolger Giuseppe Sinopolis wurde er Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle, einem Hort der musikalischen Tradition und Qualität.
    Bernard Haitink zählt - wie wichtig heute! - zu den Unwichtigtuern seines Metiers, den eher verschwiegen Wissenden. Vergleichbar den Kollegen Sawallisch oder Abbado, die seiner Generation angehören. Und zu den originellen Köpfen. Im Gespräch beantwortete er einmal die Frage, warum Dirigenten wohl überschätzt würden, so: "Weil sie eine Art Seltsamkeitswert haben. Es ist das Unergründliche, das so fasziniert."