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4.6.1879 - Vor 125 Jahren

Als Soldat im 2. Weltkrieg schrieb Heinrich Böll im Oktober 1941 nach der Lektüre von Theodor Haeckers Buch "Vergil, Vater des Abendlandes" an seine spätere Frau Annemarie Cech, er fühle sich durch die Worte Haeckers "unsagbar getröstet", sie gäben ihm wieder Sicherheit, "dass wir nicht so ganz unendlich einsam sind mit unserem Glauben an die Wirklichkeit des lebendigen Kreuzes". Damals träumte Böll davon, eine Geschichte mit dem Titel "Der Wanderer" zu schreiben, und wünschte sich darüber als Motto Haeckers Wort, der Mensch sei "taumelnd gestellt in den Abgrund zwischen Tier und Engel". Als 1951 Bölls erster Roman "Wo warst du, Adam?" erschien, stand darüber als Motto aber ein anderes Wort von Haecker:

Von Christian Linder | 04.06.2004
    Eine Weltkatastrophe kann zu manchem dienen. Auch dazu, ein Alibi zu finden vor Gott. Wo warst du, Adam? Ich war im Weltkrieg.

    Das Zitat war Theodor Haeckers 1947 posthum erschienenen "Tag- und Nachtbüchern" entnommen, geschrieben im Dritten Reich unter elenden Bedingungen: Die Nationalsozialisten hatten ihm 1935 Redeverbot, 1938 auch Publikationsverbot erteilt, und so saß Haecker in dem Dorf Ustersbach bei Augsburg und schrie schreibend seine innere Not heraus. Über Hitler:

    Dreck, Kot, Zigeuner, Incubus, Höllenwolf... Einst werden die Menschen sich fragen ..., warum ein ... so unappetitlich lächerlicher Schmutzfink ... die ganze Erde, so beschäftigen und plagen konnte.

    Ein Anwalt der Zeit gegen die Zeit - in diesem Robert Musilschen Sinne hat Theodor Haecker immer gelebt und geschrieben. Geboren am 04. Juni 1879 in dem württembergischen Dorf Eberbach als Sohn eines Ratsschreibers. Schwierige Kindheit, die Haecker später im Dunkeln liess. Wir wissen lediglich, dass er aufgrund der Familienverhältnisse frühzeitig das Gymnasium verlassen musste - das Abitur holte er später nach. Im Alter von 15 Jahren begann er eine Kaufmannslehre, brach sie ab, studierte in München und Berlin unter anderem Geschichte, Philologie und Philosophie, unregelmässig und auf kein Ziel gerichtet. Sein Leben lang blieb er Aussenseiter und Autodidakt, so dass seine späteren philosophischen Bücher nicht durch wissenschaftliche Logik glänzen, sondern mit der Kraft eines durch eigene Erfahrung erworbenen Wissens eine Ordnung der menschlichen Dinge zu fassen versuchen. Die grösste innere Erfahrung in Haeckers Leben war dabei die Begegnung mit dem Werk des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, später mit dem des Kardinals John Henry Newman; der öffnete dem evangelisch getauften Haecker den Weg zum Katholizismus, zu dem er 1921 offiziell konvertierte.

    Als "katholischer Schriftsteller" ist Theodor Haecker dann auch in die Literaturgeschichte eingegangen. Er schrieb einen an Karl Kraus geschulten polemisch-ironisch klirrenden Stil, andererseits konnte sein Ton auch schwäbisch-breit werden, ausladend und romantisierend. Zunächst Mitarbeiter der in Innsbruck erscheinenden Zeitschrift "Der Brenner", wurde er später Autor der Zeitschrift "Hochland" und veröffentlichte Essays, die sich mit Grundfragen der christlichen Philosophie beschäftigten und die er später in Büchern zusammenfasste mit Titeln wie "Christentum und Kultur", "Wahrheit und Leben" oder "Der Geist des Menschen und die Wahrheit". Eine christliche Anthropologie versuchte er darin zu entwickeln, wobei das Wort "Abendland" für ihn noch einen heiligen Klang hatte, aus dem wir heute nur noch mystisches Raunen heraushören. Einfach machte es sich Haecker jedenfalls nicht und einfach hatte er es auch nicht: Zeitweise musste er, aus finanziellen Gründen, eine Witzzeitung redigieren, die "Meggendorfer Blätter", seine Traktate schrieb er dann nachts, getreu seiner Devise:

    Ich ertrage zur Not ein unaufgeräumtes Zimmer, aber im Geist müssen die Dinge an ihrem Platz stehen, sonst werde ich krank und grob.

    Als glücklichen Menschen hat ihn niemand erlebt. Schweigsam, misstrauisch, dann während der Nazizeit in seiner Bitterkeit ganz nach innen gewandt - so haben ihn Leute, die ihm nahestanden, beschrieben. Er verlangte den "Gehorsam des Glaubens" und "die bedingungslose Annahme der Offenbarung" in einer Zeit, in der er Deutschland als, wie er schrieb, "Weltreich des Antichristen" wachsen sah. Da blieb ihm nur ein Leiden in Demut und das nächtliche Schreiben ins Notizbuch:

    Wenn ich heute stürbe, völlig uneins mit dem herrschenden Geist meines Volkes, ich würde nicht verzweifelt sterben, und wäre das nicht doch auch ein Zeugnis? ... Ich habe Schwierigkeiten und lebe unter einer Wolke. Aber ich habe eine unfehlbare Methode: Wenn die Schwierigkeiten zu gross werden, stürze ich mich in die Unbegreiflichkeit Gottes. Sie birgt mich. Nicht sie allein natürlich, sondern die Gnade Gottes. Sie trägt mich auch in diesem Abgrund.

    Gestorben ist Theodor Haecker am 9. April 1945, kurz vor dem Zusammenbruch des Dritten Reichs. Sein Nachruhm war in den 50er Jahren noch einmal groß, dank Autoren wie Heinrich Böll, die sich auf ihn beriefen.