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40 Jahre nach dem Vietnam-Krieg
"Der Stolz hat sich übertragen"

Vor 40 Jahren endete der Vietnam-Krieg. Sowohl 70-jährige Männer als auch 20-jährige Studentinnen zeigen sich bis heute patriotisch und stolz auf den Sieg gegen die übermächtigen Amerikaner. Die USA konnten wieder zum Freund erklärt werden. Grund zum Hass haben dagegen die Opfer von Agent Orange.

Von Udo Schmidt | 29.04.2015
    Da Nang, Süd-Vietnam
    Am 30. April 1975 endete der Vietnam-Krieg, der das Land bis heute prägt. (imago)
    Vietnam, 40 Jahre nach dem Ende des Krieges, das ist ein schnelles, oft hektisches Land, in dem ehrgeizige Menschen viel arbeiten und schnell vorankommen wollen, in dem die seit über 20 Jahren zugelassene Marktwirtschaft für Wohlstand und gleichzeitig für Ungerechtigkeit sorgt und eine schon fast anachronistische Kommunistische Partei versucht, die Kontrolle über das Geschehen zu behalten.
    Die KP beruft sich dabei immer und überall auf Ho Chi Minh, denn Uncle Ho ist unumstritten - auch im Vietnam des Jahres 2015. Ein großer Revolutionär für die, die noch unter ihm in den Krieg gezogen sind - der Vater der Nation, der über allem wacht, für die Mehrzahl der Vietnamesen, die erst nach Kriegsende geboren wurden.
    Am 30. April 1975 war dieser Krieg gegen die USA zu Ende, nordvietnamesische Truppen besetzten den Präsidentenpalast in Saigon - die Amerikaner waren geflohen, der letzte südvietnamesische Präsident verkündete im Radio die Kapitulation.
    Wenn Ngo Si Nguyen von den letzten Tagen des Kriegs erzählt, von den Tagen im April 1975, dann glaubt man, die Bombenexplosionen zu hören und das Pulver zu riechen.
    Der heute 60-Jährige war damals, am 30. April '75, der erste, der mit seinem Panzer die Mauer um den Präsidentensitz in Saigon durchbrach. Der Sergeant der vaterländischen Front Nordvietnams saß am Steuer des Ungetüms mit der Nummer 390, das das Eingangstor zum heute "Unabhängigkeitspalast" genannten Gebäude niederwalzte und damit die Niederlage des Südens endgültig besiegelte:
    "Wir drückten das Eingangstor ein, einer meiner Kameraden lief dann aufs Dach und hisste die nordvietnamesische Flagge, mir sagte einer der Bewacher des Palastes, dass er extra den Strom ausgestellt habe, da das Tor unter Hochspannung gesetzt war und wir sonst verbrannt wären."
    Seit zehn Tagen seien sie zu diesem Zeitpunkt bereits unterwegs gewesen, von Hue kommend, durch das halbe Land mit dem sowjetischen T 55-Panzer, erzählt Ngo Si Nguyen. Mehrmals seien er und seine Leute kurz davor gewesen, aufzugeben, es gab zwar immer weniger Widerstand, die südvietnamesischen Truppen begannen sich aufzulösen, aber es fehlte an Essen, an Ruhe, an Schlaf.
    "Am 29. April waren wir tagelang ohne jede Pause unterwegs gewesen, es war so anstrengend, dass wir fast aufgegeben hätten, aber unser Kommandant hat uns angetrieben, schneller, wir müssen pünktlich im Süden ankommen."
    In Saigon habe man dann nach dem Weg zum Präsidentenpalast fragen müssen, keiner der nordvietnamesischen Soldaten kannte sich schließlich dort aus:
    "Auf dem Weg zum Palast fragten wir einen ganz jungen Mann nach dem Weg zum Zentrum. Er sagte, ihr seid ganz falsch, ihr müsst in die andere Richtung. Wir haben ihn gebeten, auf den Panzer aufzuspringen, aber er wollte nicht. Und dann tauchte der Präsidentenpalast auf."
    Ngo Si Nguyen sitzt in der Ausgehuniform des Panzerfahrers in seinem Wohnzimmer, vor sich auf dem Tisch Fotos von sich als 20-Jähriger, erschöpft auf dem Panzer sitzend, ein müder Sieger.
    "Uncle Ho hat gesagt, dass wir durchhalten müssen, dass wir kämpfen müssen, bis der letzte amerikanische Soldat aus dem Land vertrieben ist. Um das zu erreichen, sind viele meiner Kameraden gestorben. Als ich auf dem Panzer saß, war ich überwältigt, alles ging mir durch den Kopf und ich konnte nicht glauben, dass wir es jetzt geschafft haben."
    Nguyen Van Long war damals 36 Jahre alt und schon lange im Militärdienst. Auch er war in Saigon mit dabei, als Oberst und politischer Offizier in der zweiten Reihe. Mit Blick auf den Krieg plädiert der 76-jährige Nguyen Van Long heute vor allem für eines - für Frieden:
    "Der Krieg hat eine neue Seite in unserer Geschichte aufgeschlagen, wir Vietnamesen wollen Frieden und Freundschaft mit allen, auch mit unseren Feinden. Wir versuchen, unser Land aufzubauen, wir versuchen, viel über neue Technologien zu lernen, um in der globalen Welt zu bestehen."
    Patriotismus zum 40. Jahrestag
    Nguyen Van Long sitzt in seinem kleinen Häuschen in einer versteckten Seitengasse Hanois, am Treffpunkt hat er uns mit dem Fahrrad abgeholt - ein bescheidener älterer Herr, eher das Gegenteil des Panzerfahrers Ngo Si Nguyen in seiner Ausgehuniform. Als Kriegsteilnehmer sind beide Teile der vietnamesischen Geschichte und beide sind stolz darauf. Und zufrieden mit ihrem Leben:
    "Ich bin schon eine ganze Zeit in Rente, mein Geld ist knapp, aber alle meine Kinder haben eine gute Arbeit. Verglichen mit früher, als wir nicht unsere Freiheit hatten, genieße ich mein Leben und bin stolz, meinem Land geholfen zu haben."
    Ist dem ganzen Patriotismus, der dieses Land jetzt zum 40. Jahrestag wieder erfasst, zu trauen? Ist es glaubwürdig, dass sowohl 70-jährige alte Männer als auch 20-jährige Studentinnen mit einem Leuchten in den Augen von Onkel Ho schwärmen, der das Land geheilt und zu dem gemacht habe, was es jetzt ist?
    Zweifel sind angebracht - Vietnam ist kein Leuchtturm der Meinungsfreiheit, kritische Stimmen landen noch immer hinter Gittern, kritische Meinungen sind daher rar. Der Nationalstolz, der Stolz auf den Sieg gegen die übermächtigen Amerikaner allerdings ist echt - warum auch nicht.
    Das erklärt auch, wieso aus einer solchen Haltung der Überlegenheit heraus - trotz aller Kriegsgräuel, trotz der Verwüstungen, der Millionen Toten - wieso die USA wieder zum Freund erklärt werden können. Dem besiegten Feind, dem moralisch erniedrigten, dessen ideologisches Konzept zwischen Hanoi und Saigon scheiterte, dem kann man die Hand reichen.
    USA und der Einsatz von Agent Orange
    Grund zum Hass auf die USA haben dagegen die Opfer von Agent Orange und ihre Angehörigen. Mittlerweile werden in der dritten Generation schwerst behinderte Babys geboren, noch immer ist die fortwährende menschliche Tragödie die Folge des unverantwortlichen Einsatzes des Dioxin-haltigen Pflanzengiftes Agent Orange zur Entlaubung der vietnamesischen Wälder – nur um die Ziele am Boden besser anvisieren zu können.
    Pham Thi Thuy Linh sitzt vor ihrem Laptop im Hinterzimmer eines kleinen Elektronikgeschäftes in Ho Chi Minh City, dem früheren Saigon. Die 18-jährige bedient die Tastatur wie selbstverständlich mit den Füßen. Pham Thi Thuy Linh fehlen die Arme. Sie ist so auf die Welt gekommen, als spätes Agent-Orange-Opfer, erzählt die Mutter Linhs, Pham Thi Thu Huong:
    "Als Linh ohne Arme auf die Welt kam, da dachte ich, ich hätte während der Schwangerschaft ein falsches Medikament genommen, aber dann stellte sich heraus, dass der Vater meines Mannes, Linhs Großvater, in Südvietnam für die Amerikaner gearbeitet hatte und das Agent Orange verladen hatte."
    Huong, die Mutter, liebte ihre kleine Linh, so wie sie war, ihr Mann sah das anders. Er verschwand. Huongs Vater war Soldat Nordvietnams und hatte seine Tochter früh vor Agent Orange gewarnt:
    "Ich wusste viel von meinem Vater, viel von den Gefahren des Agent Orange und dass es den Körper zerstört."
    Ihr Vater hatte Huong auch vor einer Ehe mit dem Spross einer südvietnamesischen Familie gewarnt - und recht behalten. Huong bringt ihre kleine Familie, sich, ihre Tochter Linh und zwei weitere Kinder nun mit einem kleinen Kaffestand am Straßenrand durch. Leicht ist das nicht. Linh hat inzwischen die zwölfte Klasse abgeschlossen, sie möchte Grafik-Designerin werden und kämpft ehrgeizig gegen ihre Behinderung an:
    "Ich lerne gerade, gut mit Photoshop umzugehen, und hoffe, dass mich das später weiterbringt."
    Und die junge Frau bemüht sich, nicht im Agent-Orange-Getto zu verharren, wie sie es selber nennt. Sie möchte nicht bemitleidet werden, hat das Glück, nicht-behinderte Freundinnen zu haben und zeigt stolz Fotos von einem gemeinsamen Tag am Strand:
    "Das ist mit meinen besten Freundinnen, die auch im Krankenhaus helfen. Mit ihnen gehe ich gerne weg, weil ich weiß, dass sie mich nicht bemitleiden."
    Aber die positive Sicht auf das Leben klappt nicht immer. Tränen fließen, als die junge Frau über den 30. April spricht, den Jahrestag des Kriegsendes. Der 30. April ist auch ihr Geburtstag - Linh hat den Vietnam-Krieg nicht erlebt, aber für sie wird er nie enden.
    "Ich hoffe, dass ich einen besonderen Geburtstag habe, ich werde den halben Tag im Krankenhaus verbringen, wo ich mich um die kleinen Agent Opfer kümmere."
    Nein, sagen beide, Mutter und Tochter, sie hassten die USA nicht für das, was geschehen sei, aber dort solle man bitte Verantwortung übernehmen für das, was man angerichtet habe. Sie hoffe, sagt Huong, dass es für Linh immer Unterstützung gebe:
    "Ich hoffe, dass sich später, wenn ich nicht mehr kann oder sterbe, jemand um Linh kümmert und sie einen Beruf findet."
    Auch junge Vietnamesen sind stolz auf den Sieg
    Den Schrecken des Krieges, den Mangel der ersten Jahre danach, aber auch die Angst derer im Süden, die auf der falschen Seite gestanden hatten und die nun vom Norden verfolgt wurden, die übers Meer flüchteten und als Boatpeople in den USA, in Australien, auch in Deutschland landeten - all das kennt mehr als die Hälfte der vietnamesischen Bevölkerung nur aus Erzählungen, ein wenig aus Geschichtsbüchern - trotzdem sind auch die Jungen, die unter 40-Jährigen stolz auf den Sieg, auf Uncle Ho und dessen vaterländische Armee.
    Pham Bich Thuy etwa weiß, was sie will: einen guten Beruf, Karriere machen, irgendetwas mit internationaler Kommunikation, das nämlich studiert sie an der Akademie von Hanoi. Dafür arbeitet die 21-jährige häufig 15 Stunden am Tag, selbst beim Essen lese sie immer Bücher, erzählt sie beim starken, schwarzen Kaffee am Sonnabendmorgen, ihrer einzigen freien Zeit in der Woche.
    Dass sie so fleißig sei, liege auch an ihrem Vater, der schon immer gewollt habe, dass sie die Beste sei. Druck gehört in Vietnam zur Schulbildung, zu viel Druck, wie die junge Vietnamesin selber meint. Kindheit und Jugend würden dabei auf der Strecke bleiben.
    "Wir müssen sehr hart arbeiten, man hat ganz viele Fächer, es gibt nur Frontalunterricht, die Eltern setzen die Kinder unter Druck. Da müssen wir hier noch viel kreativer werden, da können wir etwa von Amerika lernen."
    Pham Bich Thu, ganz in trendiges Schwarz und weiß gekleidet, ist modern - und selbstbewusst.
    "Wenn ich in unsere Zukunft schaue, dann sehe ich, dass wir in unserem Land viele Fähigkeiten haben, wir können uns mit anderen messen, wir kennen uns immer besser mit neuen Technologien oder mit dem Internet aus, ich kann viel für mein Land tun und möchte das gerne mit jungen Menschen aus anderen Ländern gemeinsam tun."
    Beim Thema Vietnam Krieg allerdings ist Pham Bich Thuy Traditionalistin - und stolz auf den Sieg! Ihre Großeltern hätten früher viel aus der Zeit erzählt, sagt die junge Studentin. Allerdings, schränkt sie ein, könne man mit denen eigentlich auch über nichts anderes reden, das moderne Vietnam sei den beiden alten Menschen fremd. Überhaupt gebe es in Vietnam einen Konflikt zwischen Alt und Jung:
    "Die meisten unsere Großeltern waren Bauern, der Mann stand im Mittelpunkt der Familie, das akzeptieren wir jungen Menschen so nicht mehr - trotzdem respektieren wir natürlich die Errungenschaften der Vergangenheit."
    Wie alle jungen Leute, die man fragt, respektiert Pham vor allem die Rolle der Soldaten im Vietnam-Krieg, sie verehrt Onkel Ho, Ho Chi Minh, der die vaterländische Front des Nordens gegen den Süden führte:
    "Der Vietnam-Krieg hat den Geist unserer Nation gezeigt, unsere Widerstandskraft, jetzt müssen wir uns weiter entwickeln, zusammen auch mit den Amerikanern, unseren früheren Feinden."
    Pham Huong Thuy ist fünf Jahre älter als Pham Bich Thuy, aber das ist nicht der Grund, warum sich die Beiden nicht über den Weg laufen in der Hauptstadt Hanoi. Die junge Pham ist Absolventin einer Diplomatenakademie, die 26-jährige Pham dagegen ist Redakteurin einer Modezeitschrift und Beauty-Bloggerin. Sie gibt im Internet Schönheits- und Schminktipps an ihre knapp 8.000 Leserinnen weiter:
    "Ich möchte mit dem Blog inspirieren, das ist mir wichtiger als Produkte zu verkaufen, weil ich dann die Unabhängigkeit verliere würde. Ich schreibe meistens drei Artikel in der Woche."
    Aber auch wenn sich die Politikstudentin Pham und die Beauty-Bloggerin wohl nie treffen werden, in Sachen Vietnam Krieg sind sie einer Meinung:
    "Ich bin nicht direkt vom Krieg betroffen, aber der Stolz auf Vietnam hat sich auch auf mich übertragen, meine Eltern waren direkt vom Krieg betroffen, aber wir empfinden keinen Hass. Wir sind froh, dass der Frieden hält."
    Zuhause, bei ihren Eltern und Großeltern sei der Krieg bis heute ein Thema, gerade jetzt rund um den 40. Jahrestag würden viele Erinnerungen wieder wach:
    "Mein Vater war Rekrut, er wurde durch Splitter verletzt, bei Wetterwechseln hat er immer Schmerzen, meine Mutter erzählt dann, wie sie vor den Bomben geflüchtet ist."
    Das moderne Vietnam
    Im Redaktionsbüro der Tageszeitung "Phapluat" arbeiten 120 festangestellte Journalisten. Auch sie sind Ideenlieferanten, auch wenn die Nachfrage nach ihren Ideen deutlich zurückgeht. "Phapluat" erscheint in Saigon, in Ho Chi Minh City, beide Namen sind gebräuchlich, und sie erscheint mit einem speziellen Rechtsteil. Das hat die Printversion lange gerettet. Doch nun bricht die Auflage ein. Von 180.000 auf 40.000 täglich verkaufte Exemplare. Die Online-Version läuft besser, viel besser, aber sie verdient wenig Geld. Wie derzeit überall auf der Welt. Nguyen Duc Hien ist der Chefredakteur von "Phapluat" und er setzt voll auf das Internet und auf Social Media:
    "Das ist ganz wichtig für unsere moderne Gesellschaft, das sieht auch die Regierung so. Sie erkennt die Macht des Internets."
    Und sie erkennt auch die Gefahr. Abweichende politische Meinungen werden nicht geduldet, Oppositionelle, die sich in ihrem Blog deutlich äußern, landen hinter Gittern. Nguyen Duc Hien, der Chefredakteur, der so regierungsfern nicht sein kann in seiner Funktion, sieht das nicht ganz so. Man brauche schließlich Regeln:
    "Die Regierung muss Regeln festlegen, um negative Folgen zu verhindern. Niemand kann die Informationen im Internet völlig kontrollieren, aber es muss Regeln des Umgangs gegeben."
    Außerdem bewege sich etwas im Land, 40 Jahre nach dem Ende des Vietnamkrieges, sagt er. Menschen würden sich im Internet zusammenfinden und gegen falsche Entscheidungen protestieren:
    "Verglichen mit der Lage vor zehn Jahren hat sich viel geändert, in Hanoi haben gerade viele Menschen massiv dagegen protestiert, dass in der Stadt Bäume gefällt werden und sie haben sich damit durchgesetzt. Und so wird es langsam weitergehen. Es gibt immer mehr Freiheit."
    Pham Huong Thuy, die Beauty-Bloggerin aus Hanoi, nutzt das Internet nicht unbedingt für politische Zwecke, aber sie lebt mit ihren Schönheitstipps vom Internet und sie verbringt viel Zeit damit:
    "Heutzutage sind viele vom Internet geradezu kontrolliert, wir reden manchmal gar nicht miteinander, sondern nur über Social Media. Der Einfluss ist also groß. Social Media sind natürlich auch eine wichtige Quelle für politische Informationen, aber nicht alles ist richtig, was verbreitet wird. Man kann es häufig nicht beurteilen."
    Internet als Ort für politische Äußerungen
    Aber auch die 26-jährige Beauty-Bloggerin sagt, dass weniger Kontrolle durch die Regierung gut wäre:
    "Ich meine, dass wir jungen Leute mehr Gelegenheit haben sollten, unsere Meinung auszudrücken. Es müsste weniger Verbote geben und mehr Macht für die junge Generation, die eigene Meinung deutlich zu machen."
    Vu Khuon, ehemaliger Vize-Premier Vietnams und mit seinen 78 Jahren immer noch als politischer Berater eng mit der derzeitigen Regierung verbunden, winkt ab. Die Entwicklung in Vietnam sei rasant, viel entschiedener als in anderen Ländern werde das Internet für die Menschen geöffnet:
    "Die Hälfte des Landes kann inzwischen das Internet nutzen, ganz normale Menschen mit einem Straßenstand besitzen ein Smartphone, es gibt unzählige Online-Angebote und viele Freiheiten. Wir wollen niemanden einsperren."
    Nguyen Duc Hien, der Chefredakteur, betreibt nebenbei seinen eigenen Blog - und er lehrt Journalismus. Dabei, sagt der 40-Jährige, vermisse er in den Unterrichtsstunden manchmal kritische Fragen:
    "Es ist schade, dass mich viele meiner Studenten nicht offen befragen und nicht mehr Meinungsfreiheit fordern. Sie fragen mich, was erlaubt ist, das schon."
    Für Vu Khoan, den ehemaligen Vize-Premier, ist es jetzt vor allem wichtig, die Korruption zu bekämpfen, das sei es, was dem Land noch auf dem Sprung zur Modernität fehle:
    "Wir wissen, dass die Korruption eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Integration in die Weltwirtschaft ist. Wir versuchen, das jetzt zu ändern. Wir arbeiten mit Schweden und Großbritannien zusammen, wir haben eine Untersuchungskommission eingesetzt. Wir müssen aber auch den Uni-Abgängern gute Berufsmöglichkeiten mit guter Bezahlung etwa in den Ministerien bieten, das hilft am meisten. Im Moment gibt es in den Ministerien nichts zu verdienen. Noch sind wir mit dem Erreichten nicht zufrieden."
    Spricht's und geht, der Ex-Vize-Premier im blauen Drillich-Anzug - ein älterer, freundlicher, bescheidener Herr - auch ein Stück Vergangenheit im modernen Vietnam.