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40 Jahre "Radikalenerlass"
Berufsverbote wirken nach

Zu radikal, um Post auszutragen oder zu unterrichten? 1972 sollte sichergestellt werden, dass keine "Verfassungsfeinde" im öffentlichen Dienst arbeiten. Besonders Lehrer wurden mit einem Berufsverbot belegt. Der "Radikalenerlass" wurde später gekippt – viele Betroffenen kämpfen bis heute mit den Folgen.

Von Thomas Wagner | 12.12.2018
    Demonstranten halten Schilder in der Hand auf denen steht: "Berufsverbote Nein!"
    Laut Medienberichten wurden aufgrund des Radikalenerlasses 3,5 Millionen Anfragen beim Verfassungsschutz gestellt. Oft genügte die Teilnahme an einer Demonstration (picture alliance / dpa / Klaus Rose)
    Die Geschichte eines Ex-"Ausbilders" - Klaus Lipps aus Baden-Baden, pensionierter Gymnasiallehrer, berichtet: "Ich war Mitglied in der DKP. Ich bin ein Alt-68er, und ich habe mir nicht allzu viel dabei gedacht, weil: ich hatte ja nicht vor, etwas anzustellen. Ich war ja auch schon Lehrer in Bühl in Baden-Baden, ich wurde zitiert, der Verfassungsschutz hatte Erkenntnisse gemeldet."
    Das war im Jahr 1974. Klaus Lipps wurde aus dem Schuldienst befördert, wegen angeblich verfassungsfeindlicher Umtriebe. "Man hat uns nie beweisen können, dass wir Verfassungsfeinde gewesen wären. Man hat uns beweisen können, dass wir Schmalzbrote geschmiert haben am DKP Stand. Solche Dinge hat man uns vorgeworfen", sagt Lipp.
    Lehrer besonders betroffen
    Die Geschichte eines "Ex-Auszubildenden" - Werner Siebler aus Freiburg erzählt: "Ich war insofern betroffen vom Radikalenerlass, dass ich in den 1970er Jahren bei der Post in Ausbildung war, dann Beamter auf Probe, als die Deutsche Bundespost ein Verfahren gegen mich angestrengt hat wegen Zweifel an meiner Verfassungsmäßigkeit. Das wurde begründet wegen meiner Kandidaturen für die DKP an Kommunalwahlen."
    Das hat der ehemalige Auszubildende damals heftigst zurückgewiesen: "Es gab dann mehrere Anhörungen, bei denen ich immer wieder gehört habe, dass ich auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Das hat die Deutsche Bundespost aber nicht interessiert."
    Hier der Ex-Lehrer, dort der Ex-Auszubildende: Beide verloren seinerzeit ihren Job, mussten sich über Jahre hinweg berufsfremd durchschlagen, bis sie sich über mehrere Verwaltungsgerichts-Instanzen hinweg in ihre jeweiligen Jobs zurück klagten. Der Anlass: Der so genannte "Radikalenerlass" der Ministerpräsidenten aller Bundesländer vom Dezember 1972. Diejenigen, die im öffentlichen Dienst arbeiteten, sollten auf ihre Verfassungstreue überprüft werden, hieß es in dem Erlass – und das trieb aus heutiger Sicht zu merkwürdigen Blüten. Viele reden im Rückblick auch von "Gesinnungsschnüffelei". Und besonders betroffen waren Lehrer.
    "Lehrerinnen und Lehrer waren vor allem deshalb betroffen, weil sie politische Menschen waren, und weil der Staat offensichtlich die große Angst hatte, dass Schülerinnen und Schülerinnen indoktriniert werden können", sagt Doro Moritz, Landesvorsitzende der "Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft" (GEW) in Baden-Württemberg. Hier tut man sich bis heute schwer mit einer Aufarbeitung, so die Klage der GEW und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
    Bis heute keine Entschuldigung
    "Es gibt keine offizielle Entschuldigung, das würde ich mir wünschen." So der ehemalige Gymnasiallehrer Klaus Lipps aus Baden-Baden. Zwar klagte er sich ebenso wie Werner Siebler aus Freiburg zurück in seinen Job. Allerdings: Die Auswirkungen jener Zeit, in der sie faktisch mit einem Berufsverbot belegt waren, dauern bis heute an. Werner Siebler berichtet: "Jetzt in der Altersteilzeit wird sich das für mich auswirken, dass ich mehr als 400 bis 500 Euro weniger monatlich an Rente habe, wie wenn ich nicht aus dem Dienst entfernt worden wäre. Von der Landesregierung wünsche ich mir, dass sie dieses Thema endlich aufarbeitet."
    Das aber ist aus Sicht der Betroffenen bislang nicht geschehen. Zwar wurde vor Jahren einmal ein "Runder Tisch" mit Betroffenen und Regierungsvertretern eingerichtet. Der sei aber weitgehend eingeschlafen, ganz abgesehen von einer formellen Entschuldigung und möglichen Entschädigungszahlungen.
    "Umso wichtiger ist, dass die Regierung sich da bewegt und sich zumindest entschuldigt. Denn - Bremen und Niedersachsen haben das gemacht. Und schon das tut den Betroffenen gut, selbst wenn es materiell keine Entschädigung gibt, so ist es ein wichtiges Signal, zu sagen: Ja Leute, wir haben damals einen Fehler gemacht. Und für diesen Fehler entschuldigen wir uns", findet Siebler.
    Martin Gross, Landesbezirksleiter bei Verdi Baden-Württemberg, geht noch einen Schritt weiter. "Wir erwarten, dass die Akten dem Verfassungsschutz entzogen werden, und dass die der Wissenschaft und den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden. Und in dieser Aufarbeitung entsteht dann auch eine demokratische Auseinandersetzung und behütet uns dann auch, diesen Fehler nochmals zu machen."