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400 Jahre Mayflower
Der Aufbruch der Pilgerväter nach Amerika

Auf der Suche nach einem Ort, wo sie ihr radikales Christentum leben können, brachen am 16. September 1620 englische Puritaner mit der Mayflower nach Amerika auf. Diese Pilgerväter legten damit unwissentlich den Grundstein für die Entstehung der Vereinigten Staaten.

Von Jürgen Bräunlein | 16.09.2020
    Eine Menge schwenkt Flaggen der USA und Großbritanniens beim Einlauf der Mayflower-Rekonstruktion in den Hafen von Plymouth.
    Die Mayflower II läuft in Plymouth ein: Die Rekonstruktion des Originals wurde zum 400. Jubiläum für 11,2 Millionen Dollar renoviert (AP Photo/David Goldman) |)
    Schwere Stürme fegen im Oktober 1620 über den Nordatlantik hinweg. Inmitten des Unwetters: die Mayflower auf ihrer Reise von England an die Ostküste Nordamerikas. An Bord des 30 Meter langen Drei-Masters 102 Passagiere, eingepfercht auf engstem Raum, Männer, Frauen, Kinder, die Hälfte von ihnen gläubige Pilger. Doch noch sind die Auswanderer vom Ziel ihrer Reise fast 1400 Seemeilen entfernt. Als eine gewaltige Welle aufs Schiffsdeck kracht, zerbricht einer der tragenden Balken. Mit Hilfe einer Schraubenwinde hievt man ihn wieder an den richtigen Platz und stützt ihn ab. Die Fahrt geht weiter.
    Einen Monat vorher, am 16. September, sind die englischen Pilger von Plymouth aus in See gestochen, schon ihr zweiter tapferer Versuch, in der Fremde sesshaft zu werden. Zwölf Jahre hatten sie in der holländischen Universitätsstadt Leiden verbracht. Für ihren christlichen Glauben, der nur die Bibel gelten lässt und Bischöfe als Autoritäten ablehnt, war kein Platz in der offiziellen englischen Kirche. Doch auch das Leben im holländischen Exil verlief enttäuschend. In Amerika, so hoffen sie jetzt, könnten sie endlich frei ihren Glauben leben und dennoch Engländer bleiben.
    Konflikte an Bord der Mayflower
    Doch die Mayflower gerät auf dem Atlantik immer wieder in Stürme, der Kapitän muss mehrfach die Route ändern. Und statt südlich des Hudson-Rivers, wo die Besatzung ein Patent auf ein Stück Land erworben hat, landet das Schiff am 21. November in Provincetown Harbor, einem Naturhafen in Neuengland, an der Nordspitze der Halbinsel. Die Umgebung ist flach und sandig, wenig geeignet für eine Ansiedlung. Zudem bricht der Winter an, und zwischen den tiefreligiösen Pilgern und den anderen Passagieren, viele davon ungehobelte Abenteurer, gibt es Spannungen. Um die gemeinsame Zukunft zu sichern, setzen die Pilger deshalb einen Vertrag auf:
    "Wir haben beschlossen, die erste Kolonie in den nördlichen Abschnitten Virginias zu gründen, und schließen feierlich und gegenseitig in Anwesenheit Gottes und eines jeden anderen einen Vertrag und vereinen uns alle zu einer zivilen, politischen Körperschaft, um uns besser zu organisieren und weiterem Bevorstehenden zu trotzen."
    Der Mayflower-Vertrag als Ironie der Geschichte
    In der Kolonie, so wird vertraglich festgelegt, zählt nur das Recht der Mehrheit, und alle Mitglieder leben nach den gleichen Pflichten und Gesetzen. Gleichzeitig geloben sie, treue Untertanen der englischen Krone zu bleiben. Der amerikanische Historiker Nathaniel Philbrick urteilt darüber:
    "Der Mayflower-Vertrag stand für einen bemerkenswerten Akt nüchterner und pragmatischer Entschlossenheit. Dabei ist es eine Ironie der Geschichte, dass das Dokument, das viele für den Ursprung der späteren Vereinigten Staaten halten, ausgerechnet von einer Gruppe stammte, die eher einer Sekte glich als einer demokratischen Gesellschaft."
    Alle 41 Männer an Bord unterzeichnen den Vertrag noch in der Kajüte. Dann verlassen die Passagiere gemeinsam das Schiff – der erste Landgang nach gut zwei Monaten.
    "WDas erste Thanksgiving in Plymouth",Ölgemälde von Jennie A. Brownscombe
    Mythischer Moment der US-Geschichte: das erste Erntedankfest der "Pilgerväter", hier 1914 monumental in Öl gemalt von Jennie A. Brownscombe (imago stock&people)
    "Sie fielen auf die Knie und segneten Gott im Himmel, der sie über den riesigen und wütenden Ozean hierher geführt und aus allen Gefahren befreit hatte, auf dass sie wieder ihren Fuß auf festen Boden setzten, ihr eigentliches Element", schreibt einer der Pilger später. Am 20. Dezember 1620 hat die Gruppe endlich einen Platz gefunden, wo sie sich niederlassen will. Einen 50 Meter hohen Hügel direkt am Ufer. Sie nennen ihn Plymouth Plantation. Schnell schließen die Auswanderer Freundschaft mit dem Indianerstamm der Wampanoag in der Nachbarschaft. Ohne ihre Unterstützung hätten die Pilgerväter, wie sie später genannt werden, das erste Jahr in Amerika nicht überlebt. Gemeinsam mit ihnen feiern sie auch im Frühherbst 1621 ihr erstes Erntedankfest. Es gilt als Vorläufer von Thanksgiving Day, dem wichtigsten Familienfest in den Vereinigten Staaten.
    Noch heute gibt es die Stadt Plymouth im Bundesstaat Massachusetts. Im dortigen Museumsdorf "Plymoth Plantation" wird das Leben der Pilgrim Fathers für Besucher nachgespielt. Auch ein Nachbau der legendären "Mayflower" kann dort besichtigt werden.