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450 Jahre Monteverdi
Orfeo 2.0

Das Leverkusener Ensemble L'arte del Mondo und der italienische Organist Massimiliano Toni haben einer 400 Jahre alten Monteverdi-Oper eine Dosis Prog-Rock verpasst: Orfeo 2.0. Monteverdi verträgt das.

Von Kai Löffler | 01.10.2017
    Portrait von Claudio Monteverdi (1567-1643)
    Portrait von Claudio Monteverdi (1567-1643) (imago / Leemage)
    Musik: "Orfeo"
    Während sich der Saal des Leverkusener Erholungshauses langsam füllt, fühle ich mich in meinem Hoody und meiner zerfetzten Jeans zunehmend fehl am Platz. Das Publikum ist im Schnitt 20 Jahre älter und deutlich besser gekleidet. Und warum auch nicht, immerhin steht heute der Orfeo auf dem Programm, die Renaissance-Oper von Claudio Giovanni Antonio Monteverdi. Massimiliano Toni dirigiert und spielt Cembalo.
    Das Streichensemble sitzt im Halbkreis auf der Bühne, auf der linken Seite. Rechts dagegen...
    Massimiliano Toni: "Ich kann mir nicht unbedingt vorstellen, dass Monteverdi diesen Sound im Kopf hatte - E-Gitarren oder Keyboards. Aber ich glaube, dass die Menschen bei der Premiere von Orfeo von der Musik überwältigt waren. Monteverdi hat damals, am 24. Februar 1607 selbst dirigiert. Die Musik war modern und ausdrucksvoll - mit nur einer Melodie, der Gesangsstimme hat Monteverdi Gefühle wie Verzweiflung und Liebe ausgedrückt. Für mich ist er der Erfinder der modernen Musik, wie wir sie heute kennen. Und heute Abend versuchen wir, denselben Effekt zu erzielen wie er damals - wenn auch mit etwas anderen Mitteln."
    Arragement angepasst
    Ähnlich wie eine moderne Shakespeare-Aufführung hat Toni das Arrangement der Oper an unsere Zeit angepasst - mit Schlagzeug, Synthesizer, E-Bass und einer Gitarre mit zwei Hälsen, einmal sechs und einmal zwölf Saiten - wie man sie von Jimmy Page und Mike Rutherford kennt.
    "Wir haben die Streicher von L'arte del Mondo. Und der Rest der Musiker kommt aus Italien. Das sind Jazz-, Rock- und Funk-Musiker. Und dann haben wir noch einen wirklich guten Lautenisten, der auch ein paar Stücke auf der E-Gitarre spielt. Und die Musiker sind alle sehr jung. Niemand ist älter als 30."
    Crossover heißt sowas eigentlich, aber die Musik, die sich hier auf der Bühne mischt wie aus zwei Wasserhähnen - links Barock, rechts Art-Rock - mit David Garrett und Konsorten in einen Topf zu werfen scheint unfair. Schon eher ein Begriff, der sonst Konzeptalben wie Tommy oder The Wall beschreibt. Orfeo 2.0 ist eine Rock-Oper - wenn auch in der falschen Halle und vor dem falschen Publikum.
    Nach der Pause ist das Publikum merklich nach hinten gerückt, die ersten paar Sitzreihen haben sich größtenteils geleert. "Viel zu laut", verrät mir meine betagte, frisch umgesiedelte Sitznachbarin, die augenscheinlich nie ein Konzert mit elektrischen Instrumenten besucht hat.
    Denn genau das ist Orfeo 2.0.: ein bombastisches Prog-Rock-Konzert mit aufwändiger Light Show.
    "Es klingt mal nach Genesis, mal nach King Crimson, Gentle Giant oder Pink Floyd. Und auf der anderen Seite nach Weather Report, Mahavishnu Orchestra oder auch Swing-Balladen. Und auch mal nach Funk-Rock, wie die Red Hot Chili Peppers. Es sind viele Stile drin.
    Held hinter dem Mischpult
    Einer der Helden des Abends ist der Mann hinterm Mischpult, der das akustische Streichensemble und die elektrische Rockband klingen lässt wie aus einem Guss. Ab und zu ist das Schlagzeug etwas dumpf und an einer Stelle säuft der Gesang unter dem Bandarrangement ab - aber solche Momente bleiben die Ausnahme. Der Sound ist so leise, dass ich - gegen den Trend - am liebsten ein paar Reihen nach vorne rücken möchte, aber ansonsten klingt es transparent und druckvoll.
    Auch die Sänger, von Massimiliano Toni handverlesen, sind herausragend. Nicht nur spielen sie den Orfeo auf der Bühne wie eine traditionelle Oper, sie singen ihn auch so.
    "Ich hab nicht einen Ton von Monteverdis Musik geändert. Für mich bleibt es dem Werk hundertprozentig treu. Man muss auch die Sänger erwähnen, zum Beispiel Christian Krystian Adam, der den Orfeo dieses Jahr zu Monteverdis 450. Geburtstag mit John Eliot Gardiner überall auf der Welt aufgeführt hat. Ich hab ihm nicht mal meine Partitur geschickt, denn auch wenn er von ungewöhnlichen Instrumenten begleitet wird, die Melodie ist gleichgeblieben."
    Toni ist ein rennomierter Organist und Cembalist, der zahlreiche Ensembles geleitet hat. Gleichzeitig ist ihm auch der Klang einer verzerrten Gitarre sehr vertraut.
    "Ich habe in Italien und in Basel Alte Musik studiert und ich habe schon unzählige Werke von Monteverdi traditionell aufgeführt. Aber - bis ich 21 war, hab ich auch in Bands gespielt, und im Konservatorium hab ich immer wieder in der Zeit, in der ich eigentlich lernen sollte, Progressive Rock und Jazz Rock gespielt. Diese Musik war immer Teil meines Lebens - und meines Herzens."
    Überzeugtes Publikum
    Orfeo 2.0 bleibt der Intention seines Komponisten treu, und selbst kreischende Synthesizer, 12-saitige Gitarren und Saxofon klingen, als hätte Monteverdi sie vor mehr als 400 Jahren in seine Partitur geschrieben. Auch das Publikum lässt sich am Ende von Massimiliano Tonis verproggter und verjazzter Oper überzeugen. Die anfängliche Skepsis ist schnell verflogen, so gut wie niemand ist geht vorzeitig raus und am Schluss gibt es eine lange Standing Ovation. Absolut verdient.