Samstag, 20. April 2024

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Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan
„Verhandlungen stecken seit Langem in einer Sackgasse“

Armenien und Aserbaidschan bekriegen sich wieder. Darüber, was die neue Gewalt zwischen den beiden Ländern ausgelöst hat, gibt es sehr gegensätzliche Darstellungen, sagte Kaukasus-Experte Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Dlf. Externe Akteure fordern zur Zurückhaltung auf.

Uwe Halbach im Gespräch mit Katharina Peetz | 23.07.2020
Ein Beamter geht am 21. Juli 2020 in Eriwan zwischen Objekten umher, die Armenien bei den jüngsten bewaffneten Zusammenstößen an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze als erbeutete und abgeschossene aserbaidschanische Drohnen präsentiert hat.
Genzkonflikt: Ein armenischer Beamter präsentiert erbeutete und abgeschossene aserbaidschanische Drohnen. (AFP / Karen Minasyan)
Seit Jahrzehnten schwelt der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. Das Gebiet gehört offiziell zum muslimisch geprägten Aserbaidschan, wird aber mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnt und kontrolliert. Seit diesem Monat nun gibt es neue Kämpfe zwischen den beiden Nachbarstaaten, allerdings nördlich von der bisherigen Konfliktregion.
Katharina Peetz: Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik, was hat diese neue Gewalt ausgelöst?
Uwe Halbach: Darüber gibt es sehr gegensätzliche Darstellungen wie bei früheren Vorfällen an der Waffenstillstandslinie in Berg-Karabach. So auch diesmal bei Vorfällen in dieser Grenzregion. Die eine Seite behauptet, die andere Seite habe angefangen. Hier ist es schwer, gesicherte Aussagen zu machen. Zum Beispiel hat vorgestern noch einmal das armenische Verteidigungsministerium, darauf hingewiesen, dass neuer Beschuss gekommen sei von aserbaidschanischer Seite. In Aserbaidschan wurde dies völlig in Abrede gestellt und gesagt, es seien im Moment ruhige Verhältnisse in dieser Grenzregion.
"Auch Russland ermahnt beide Seiten zur Zurückhaltung"
Es ist also sehr schwer zu sagen, wer da angefangen hat und mit welchen Motiven. Es gibt allerdings von aserbaidschanischer Seite immer wieder den Hinweis darauf, dass Armenien es offenbar darauf angelegt hat, seine Verbündeten im Rahmen der Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrages, in der ja Russland die Führungsmacht ist, auf seine Seite zu ziehen. Das wäre dann der Fall, wenn tatsächlich aserbaidschanische Angriffe an der Staatsgrenze auf Armenien ausgegangen wären. Anders als bei Zwischenfällen im Umfeld Karabachs, das ja als Bestandteil Aserbaidschans gesehen wird international. Und so gibt es von aserbaidschanischer Seite die Behauptung die armenische Seite habe angefangen, um eben die Verbündeten in diese Auseinandersetzung hineinzuziehen. Aber auf Seiten der Organisation gibt es auch deutliche Zurückhaltung. Und auch Russland ermahnt beide Seiten zur Zurückhaltung und hat sich durchaus nicht einseitig positioniert.
"Türkei hat sich ganz auf die Seite Aserbaidschans gestellt"
Katharina Peetz: Nun sagen Sie das Stichwort Verbündete. Es gab diese Woche Berichte darüber, dass Serbien Waffen nach Armenien geliefert hat. Russland sagen Sie, mahnt beide Seiten, tritt aber ja auch als Schutzmacht Armeniens auf. Auf der anderen Seite wird Aserbaidschan teilweise von der Türkei unterstützt. Haben wir es hier mit einem weiteren Stellvertreterkrieg zu tun?
Uwe Halbach: So würde ich das noch nicht sehen. Wie gesagt, wir haben unterschiedliche Stellungnahmen zu diesem Konflikt. Die meisten externen Akteure haben beide Seiten zur Zurückhaltung aufgefordert. Die Minsker-OSZE-Gruppe, aber auch Russland hat sich jetzt nicht einseitig auf die armenische Seite gestellt, obwohl es mit Armenien eine strategische Partnerschaft hat, sondern hat beide Seiten ermahnt. Es gibt eigentlich nur einen Akteur, der ganz einseitig sich positioniert hat. Und das ist die Türkei, die sich ganz auf die Seite Aserbaidschans gestellt hat und militärische Unterstützung gewissermaßen signalisiert hat, falls es zu einer weiteren kriegerischen Auseinandersetzung kommt. Ansonsten haben die Seiten Zurückhaltung geübt. Auch über diese Frage mit der Waffenlieferung Serbiens an Armenien über Georgien gibt es unterschiedliche Darstellungen. Georgien streitet strikt ab, hier irgendwie behilflich gewesen zu sein bei der Waffenlieferung. Also auch hier sind sehr unterschiedliche Kommentare.
"Kurze Phase der Entspannung ist zu Ende gegangen"
Katharina Peetz: Sie haben die Minsker Gruppe erwähnt, dass es eine Gruppe innerhalb der OSZE, die ja eigentlich ja immer wieder versucht, versucht hat, in diesem Konflikt zu vermitteln. Vorsitzenden Frankreich, Russland und die USA. Nun sehen aber Beobachter die OSZE derzeit durchaus in einer Krise. Sie wird beschrieben als führungslos, weil neue Mandate der wichtigsten Führungsposition nicht verlängert wurden. Welche Auswirkungen hat das auf den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan?
Uwe Halbach: Na ja, die Verhandlungen im Rahmen der OSZE über den Karabach-Konflikt stecken seit Langem in einer Sackgasse. Es gibt eben gerade von aserbaidschanischer Seite in den letzten Jahren immer wieder die Beschwerde, dass die OSZE hier nicht eindeutig Klarheit schafft. Es wird zum Beispiel verlangt, dass die armenischen Truppen aus den umliegenden Provinzen, aus den sieben Provinzen in der Umgebung Berg-Karabachs abgezogen werden. Aber es wird, das ist der aserbaidschanische Vorwurf eben kein Druck auf Armenien ausgelöst. Und wie gesagt, der aserbaidschanische Präsident Alijew hat noch einmal am 6. Juli, also vor dieser neuen Eskalation sich äußerst kritisch, ausgelassen über die Vermittlungstätigkeit der OSZE in diesem Konflikt. Aber die Vermittlungstätigkeit stößt hier eben auch auf enorme Schwierigkeiten, weil die grundsätzlichen Positionen der Parteien völlig auseinanderklaffen und sehr schwer überbrückbar sind. Etwa die Frage des Status von Berg-Karabach, die Frage der umliegenden Provinzen und so weiter. Da sind so starke Gegensätze in der Position der Parteien, dass es jetzt sehr schwer ist, zu vermitteln, Vertrauen zu schaffen. Es gab eine kurze Phase der Entspannung, 2018 bis Frühjahr 2019. Das hatte zu tun vor allem mit der neuen Führung in Armenien unter Paschinjan und seiner Partei. Aber auch diese kurze Phase der Entspannung ist wieder zu Ende gegangen.