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5.3.1904 - vor 100 Jahren

Als er 18 war, wollte Karl Rahner, der am 5. März 1904 in Freiburg geboren wurde, in den katholischen Elite-Orden der Jesuiten eintreten. Mit 79 erzählte der Jesuitenpater jungen Leuten, wie ihm seine Umgebung abgeraten hatte, sein Leben in einer Mönchsgemeinschaft zu verbringen, weil er kontaktarm sei.

Von Peter Hertel | 05.03.2004
    Meine Eltern hatten den Eindruck, ich sei viel zu brummig und unsozial, der Religionslehrer war auch dieser Meinung, aber ich bin dann eben doch gegangen, und das hat 60 Jahre hingereicht.

    Seine Neigung, sich von der Außenwelt abzuwenden, um sich bohrend in ein Problem zu vertiefen, die Fähigkeit, dabei querzugraben, haben dazu beigetragen, dass der Jesuit ein hochkarätiger Wissenschaftler wurde, einer der größten Theologen des 20. Jahrhunderts. Er öffnete der katholischen Theologie das Tor zu einer sachlichen Begegnung mit der verketzerten Philosophie der Neuzeit. Seine herausragende Bedeutung erlangte der Professor indes mit dem Zweiten Vatikanischen Reformkonzil, als er wesentlich dazu beitrug, die erstarrte Kirche aufzusprengen und sie auf das 21. Jahrhundert einzustimmen. Einige Wochen nach Konzilsende, im Januar 1966, umriss der Konzilstheologe im Radio sein Denk-Modell - ein "kleines Gedanken-Experiment", wie er bescheiden sagte:

    Ich will mich in die Situation eines künftigen katholischen normalen Christen versetzen. Die Christen werden die kleine Herde des Evangeliums sein, vielleicht geachtet, vielleicht verfolgt. Weil die Christen nur eine relativ kleine Minorität bilden werden, darum werden sie alle in der Diaspora leben.

    Eine Prognose, die, wie sich heute zeigt, richtig war, aber in der damaligen BRD viele fromme Christen schockieren musste. Sie waren weitgehend an theologische und kirchenpolitische Geschlossenheit gewöhnt, an einen Katholizismus, dessen gesellschaftliche Stärke auf seiner hohen Mitgliederzahl basierte. Die Wahrheit hatten sie für sich sozusagen gepachtet. Gegenüber Andersdenkenden, sogenannten Ungläubigen, verharrten sie meistens in Abwehrstellung. Rahner schrieb ihnen ins Stammbuch: Ihr braucht keine Angst zu haben, wenn die Zahl der Nichtchristen wächst. Laßt euch auf sie ein. Sie sind eure Brüder. Man muß nicht katholisch sein, um der Hölle zu entgehen und in den Himmel zu kommen. Zunächst kommt es darauf an, seinem Gewissen zu folgen.

    Wenn der künftige Christ demnach dem Nichtchristen das Christentum predigt, wird er nicht so sehr von der Vorstellung ausgehen, einen anderen zu etwas machen zu wollen, was er bisher schlechterdings nicht ist, sondern er wird versuchen, ihn zu sich selbst zu bringen.

    Der Nichtchrist ist kein Ungläubiger, der von vornherein zu verurteilen ist. Das war eine epochale Kehrtwendung katholischer Theologie, die auf dem Konzil ohne Rahner kaum zustande gekommen wäre. Er selbst freilich hatte sie in seinen Schriften schon vorher vollzogen, was ihm nicht wenige Kirchenleute als Verwässerung des katholischen Glaubens angelastet hatten. Das Heilige Offizium in Rom, das ehedem Heilige Inquisition hieß, hatte ihn mit Zensur zu packen gesucht. Auch nach dem Konzil, als die römische Restauration vorrückte, geriet der weltberühmte Theologieprofessor in Konflikt mit den "grässlichen Bonzen" in Rom, wie er die Kirchenleitung bei einer Auseinandersetzung genannt hat. Auf einen grundsätzlichen Konflikt mit dem Vatikan und dem Papst, wie ihn sein Kollege Hans Küng führte, ließ er sich jedoch nicht ein. Einige Monate, bevor er im März 1984, im Alter von 80 Jahren, starb, bilanzierte er:
    Es gibt, vom Wesen der Kirche sogar verlangt, ein kritisches Verhältnis zu den konkreten Anordnungen auch der Kirche. Man kann vielleicht auch gemaßregelt werden. Ich hatte mal ein Redeverbot. Es war eine römische Vorzensur über meine Dinge verhängt. Solche Dinge sind vielleicht ärgerlich, sind vielleicht ungerecht, aber können das letzte Verhältnis von einem zur Kirche nicht infrage stellen.