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50.000 Euro bei Wahlbeeinflussung

In Thüringen und Sachsen ermitteln die Landeswahlleitungen, weil Prognosen über den Ausgang der Landtagswahl schon vor Schließung der Wahllokale über den Internetdienst Twitter bekannt wurden. Nachwahlbefragungen deswegen gänzlich zu verbieten, hält Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) jedoch für den falschen Weg.

Brigitte Zypries im Gespräch mit Silvia Engels | 02.09.2009
    Silvia Engels: Besteht die Gefahr der Wahlbeeinflussung?

    Brigitte Zypries: Das Gesetz wenigstens verbietet solche Vorab-Bekanntmachungen und bedroht sie auch mit einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro. Das heißt also, das Gesetz geht davon aus, dass es eine Gefahr der Wahlbeeinflussung gibt, und diesen Gesetzen ist Folge zu leisten und dementsprechend darf künftig sowas nicht mehr geschehen.

    Engels: Das ist die Gesetzeslage. Könnte man einfach die Gesetze auch ändern? Denn es gibt ja durchaus Experten, die sagen: Wenn Prognosen auch einem breiteren Bevölkerungskreis vor Schließung der Wahllokale bekannt werden, ist das nicht so schlimm, die empirischen Studien ergeben, dass sich da eigentlich nur selten Wahlbeeinflussungen draus ergeben.

    Zypries: Ja, es gibt beide Thesen. Es gibt die These, die sagt, es ist nicht so tragisch, weil es gibt keine wesentliche Wahlbeeinflussung mehr, wenn man ab 17 Uhr weiß beispielsweise, welche Partei vorne liegt, dann können nicht mehr so viele Leute mobilisiert werden, dass sich dann bis 18 Uhr noch signifikant was verändert. Es gibt aber eben auch andere, die sagen, ja, es besteht die Gefahr der Wahlbeeinflussung, und das war ja auch die Auffassung des Gesetzgebers, als er diese Bekanntgabe unter Strafe stellte. Deswegen würde ich dafür plädieren, dass man sich das Ganze dann erst mal sorgfältig anguckt und versucht, auch mithilfe von Wissenschaftlern zu ergründen, was denn nun der Fall ist, eh man jetzt wieder vorschnell irgendwelche gesetzgeberischen Reaktionen fordert.

    Engels: Haben Sie denn derzeit schon eine Einschätzung dazu, eine persönliche Einschätzung, in welche Richtung sie gehen würde?

    Zypries: Ja, die dritte Alternative haben wir jetzt noch nicht angesprochen und das ist die Alternative, dass man gar nicht mehr solche Nachbefragungen macht bei der Wahl und dementsprechend auch keine Vorab-Bekanntmachung mehr macht. Das würde bedeuten, dass wir das Wahlergebnis nicht schon bereits abends um viertel nach sechs haben, sondern dann vielleicht erst um 20 Uhr. Wäre, glaube ich, auch kein großer Schaden für die Demokratie.

    Engels: Da liegen Sie bei Herrn Bosbach, der hat vorgeschlagen, der innenpolitische Sprecher der CDU, dass Nachwahlbefragungen grundsätzlich gar nicht mehr gemacht werden sollten.

    Zypries: Es ist selten, dass ich mit Herrn Bosbach einer Meinung bin, aber ich würde auch nie sagen, dass man sie jetzt gleich nun verbieten sollte, sondern mein Petitum ist ja eher, erstens, lassen Sie uns gucken, ob sowas noch mal vorkommt oder ob das ein einmaliger Ausrutscher war, und zweitens, wenn, dann sollte man sich sorgfältig überlegen, was man macht und da gibt es eben verschiedene Alternativen.

    Engels Rechnen Sie denn damit, dass auch möglicherweise bei der Bundestagswahl Twitter oder andere Onlinedienste hier Ergebnisse vorwegnehmen?

    Zypries: Ich kann nur hoffen, dass die Kolleginnen und Kollegen, die die Ergebnisse vorab mitgeteilt bekommen, verantwortungsbewusst damit umgehen, denn das ist so in dem Fall wie mit allem: Wann immer man gegen Regeln verstößt, folgen Sanktionen, und das sollte man wissen und sollte sich dementsprechend verhalten.

    Engels: 50.000 Euro sind bislang die Strafe für ein solches Verhalten, solche Informationen vorab hinauszugeben. Sollte man die Strafe vielleicht erhöhen?

    Zypries: Ich glaube, 50.000 Euro dafür, dass man sich mal einen Moment wichtig getan hat, reichen als Strafe.

    Engels: Blicken wir nun generell auf die Wahlen: Dort ging es ja im Wahlkampf der letzten Wochen auch viel um das Wohlverhalten von Ministern. Da sei erwähnt die Dienstwagennutzung von Frau Schmidt, die Frage, ob Herr Ackermann seinen Geburtstag im Kanzleramt feiern durfte, aber ich will ein anderes Beispiel herausgreifen, und da ging es um den Wirtschaftsminister Herrn von und zu Guttenberg. Er hat einen Gesetzentwurf zum Insolvenzrecht extern, von einer Anwaltskanzlei, erstellen lassen, Sie hatten damit ein Problem. Warum?

    Zypries: Das Problem, was ich damit hatte, war vor allen Dingen das, dass Herr Guttenberg überhaupt nicht zuständig ist fürs Insolvenzrecht, das heißt also, er gibt einen Gesetzentwurf in Auftrag, von dem er ganz genau weiß, dass er ihn so überhaupt gar nicht ins Kabinett und damit auch gar nicht in den Bundestag bringen kann, denn die Zuständigkeit für das Insolvenzrecht liegt im Bundesministerium der Justiz.

    Engels: Und das Justizministerium holt selber keine Expertise in dieser Form ein, oder haben Sie da nun andere Vorstellungen, dass grundsätzlich gesetzlich geregelt werden sollte, dass so etwas auch andere Ministerien nicht tun sollen?

    Zypries: Im Grundsatz meine ich, dass die Ministerien ihre Arbeit selber erledigen sollten. Aber ich weiß natürlich, dass es manchmal für die Kolleginnen und Kollegen ein bisschen schwierig ist, das alles selbst zu bewerkstelligen, und wir selber beispielsweise holen uns auch immer Expertise, dann allerdings von allen beteiligten Kreisen, ein, eh wir ein größeres Gesetzgebungsvorhaben angehen. Ich will mal als Beispiel sagen, als wir die Patientenverfügung in Auftrag gegeben haben, habe ich eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die bestand aus Richtern, die bestand aus Ärzten, die bestand aus Mitarbeitern des Pflegedienstes, der Hospizbewegung und aller am Gesundheitswesen in irgendeiner Form Beteiligten. Die haben dann ein Dreivierteljahr zusammen gesessen und uns einen Vorschlag gemacht. Und so machen wir das bei vielen anderen, beispielsweise auch beim Versicherungsvertragsgesetz gab es auch eine solche multiprofessionell zusammengesetzte Arbeitsgruppe. Das ist aber was anderes, als wenn ich eine Anwaltskanzlei beauftrage, quasi ministerielle Tätigkeit zu machen. Und das, finde ich, sollte sehr zurückhaltend ausgeübt werden in den Ministerien grundsätzlich, das heißt natürlich nicht, dass es nicht manchmal erforderlich sein könnte.

    Engels: Anfang dieses Monats sind neue Regelungen zum Familienrecht in Kraft getreten und nun wollen Sie im Kabinett auch noch einen weiteren Gesetzentwurf einbringen, der nur einen Teilaspekt aufgreift. Dort geht es um die Rechte von Kindern, die in eigenen Familien durch Vernachlässigung oder Misshandlung eben nicht mehr sicher sind und in Pflegefamilien gegeben werden. Hier geht es um das Vormundschaftsgesetz. Was haben Sie vor?

    Zypries: Wir mussten feststellen, dass bei einigen Vernachlässigungen von Kindern die Ämter ja durchaus die Familien kannten und auch in dem bekannt gewordenen Fall Kevin beispielsweise, in Bremen, war der Fall ja bekannt. Da weiß man inzwischen auch, dass der Mitarbeiter des Jugendamtes ganz viele sogenannte Amtsvormundschaften hatte, so viele, dass er sie schlechterdings nicht bewältigen konnte. Deswegen meine ich: Wir müssen von Gesetzgeberseite her deutlich machen, dass die Belastung der Mitarbeiter der Jugendämter da begrenzt werden muss auf ein verträgliches Maß, und wir sollten, so meine ich wenigstens, auch die ehrenamtliche Möglichkeit der Vormundschaft wieder stärker in den Vordergrund stellen. Es gibt viele Leute in unserer Gesellschaft – und das ist schön so –, die sich gerne ehrenamtlich engagieren und die gerne Verantwortung auch für Kinder übernehmen wollen. Die könnten doch eine Vormundschaft übernehmen und dann mit dem Jugendamt gemeinsam gucken, dass dieses Kind wirklich ordnungsgemäß betreut wird und dass man da regelmäßig nach guckt, dass es also einen Kontakt gibt zwischen dem Vormund und dem Mündel, wie es seit alters her heißt im Gesetz. Das würde ich wenigstens für wichtig halten.

    Engels: Liegen denn hier wirklich Gesetzeslücken vor und das Ehrenamt schön und gut? Oder ist es nicht einfach die Problematik, nicht mehr genug Personal bei den Ämtern zu haben?

    Zypries: Es ist teilweise auch die Problematik, nicht genug Personal bei den Ämtern zu haben, aber wir können es eben durch eine gesetzliche Änderung auch so fassen, dass die Ämter dann mehr Personal einstellen müssen, indem wir beispielsweise vorschreiben, dass es einen persönlichen Kontakt geben muss zwischen Vormund und Mündel. Das ist ja im Moment nicht gewährleistet, das kann im Moment nach reiner Aktenlage gemacht werden, und in dem Moment, wo das Gesetz vorschreibt, der Vormund und das Kind müssen einen persönlichen Kontakt zueinander haben, dann ist die Fallzahl automatisch begrenzt.

    Engels: Frau Zypries, eine Bilanz nach vier Jahren Großer Koalition. Würden Sie gerne in dieser Konstellation noch weiterarbeiten, weil wichtige Projekte noch zu tun sind, oder sind Sie froh, dass es vorbei ist?

    Zypries: Na, weder das eine noch das andere ist der Fall. Wir haben ganz erfolgreich gerade im Bereich der Rechtspolitik zusammengearbeitet in der letzten Legislaturperiode, wir haben viel bewegt. Das war mit der Union manchmal mühsam, da hätten wir mit den Grünen sicherlich in manchen Gebieten mehr erreicht, und für die Zukunft gilt das auch. Wir müssen, so meine ich wenigstens, die Gleichstellung von homosexuellen Paaren noch vollenden und das ist mit der Union sehr schwierig und wäre mit den Grünen natürlich sehr viel einfacher, weil die das genauso sehen wie wir, dass jemand, der gleiche Pflichten hat, auch gleiche Rechte haben muss. Und das gilt auch für manche anderen Bereiche, aber alles in allem kann man sagen: Diese Legislaturperiode war für die Rechtspolitik eine sehr erfolgreiche.