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50 Jahre "Biedermann und die Brandstifter"

Am 29. März 1958 kam das Theaterstück "Biedermann und die Brandstifter" im Schauspielhaus Zürich zur Uraufführung. Ein Lehrstück ohne Lehre nannte Max Frisch sein Werk, in dem ungebetene Gäste auf dem Dachboden mit dem Feuer spielen. Schon einmal hatten die Brandstifter vor aller Welt mit dem Feuer gespielt - niemand wollte sie ernst nehmen, bis Europa brannte.

Von Reinhardt Stumm | 29.03.2008
    Das muss ein sehr vergnügter Vormittag gewesen sein im Schauspielhaus Zürich. Auf dem Probenplan für den 29. März 1958 stand "Generalprobe Frisch: Biedermann und die Brandstifter". Regie führte Oskar Wälterlin, der Chef des Hauses. Das Bühnenbild hatte niemand anders entworfen als Max Frisch selber, der Autor des Stücks. Natürlich saß er da im Zuschauerraum beim Regiepult und mit ihm die üblichen Schlachtenbummler - Dramaturgen, Kostümbildner, Ton- und Lichttechniker, Regieassistenten. Sie lachten und sie konnten nicht anders. Sie lachten von Pointe zu Pointe - wenn Biedermann wutschnaubend die Zeitung liest, wenn der obdachlose Schwergewichtsringer Schmitz entsetzt ist darüber, dass mittlerweile jeder jeden für einen Brandstifter hält. Wie schamlos Schmitz dem Biedermann um den Bart geht, weil er im Dachboden seines Hauses Quartier nehmen will. Sie lachten, wenn das Dienstmädchen Anna auftischt:

    Biedermann: Hier, nehmen Sie den Aschenbecher!
    Schmitz: Habe ich nicht recht?
    Anna: Kaltes Fleisch haben wir keins ...
    Schmitz: Das genügt, Fräulein, das genügt ...
    Biedermann: Essen Sie!
    Schmitz: ... Nehmen Sie Platz, heißt es, und hintenherum rufen Sie die Polizei.
    ... Schon hat er die Schulter gebrochen!

    (Gelächter)

    Und sie lachten, wenn Biedermann mit dem Chor diskutiert. Dass es überhaupt - Schillers "Braut von Messina" ist lange her- einen Chor gibt, ist erheiternd genug. Und dann noch diesen! Einen Oberlehrerclub! Der Chor findet, dass es im Haus nach Benzin riecht. Der Chor fragt, was die Herren - inzwischen sind es drei - da oben auf dem Dachboden mit Benzin machen. Das ist doch gefährlich! Und dann hantieren sie auch noch mit Zündschnüren!

    Chorführer: Wissend auch du, wie brennbar die Welt ist, Biedermann Gottlieb, was hast du gedacht?
    Biedermann: Gedacht? Meine Herren, ich bin ein freier Bürger. Ich kann denken, was ich will. Was sollen die Fragen? Ich habe das Recht, meine Herren, überhaupt nichts zu denken ...

    Frisch war boshaft und gut gelaunt, als er den damals oft als Lehrmeister Europas verspotteten Schweizern seinen "Biedermann und die Brandstifter" ins Gewissen schrieb. Nicht zuletzt deshalb ist dieses "Lehrstück ohne Lehre" als Aufsatzthema fürs Gymnasium so gut geblieben wie für die Bühne: welche Rollenbilder. Bauernschlau, entscheidungsschwach, gutmütig, sehr komisch, aggressiv, polternd, verhemmt. Und alles geht wie geschmiert, solange es geradeaus geht.

    Hier geht es aber nicht geradeaus. Dieser Schmitz, der die ganze Nacht da oben mit Benzinfässern rumpelt und Zündschnüre auslegt, muss weg, es reicht jetzt, Biedermann, der erfolgreiche Geschäftsmann, haut auf den Putz:

    Biedermann: Sie verlassen mein Haus. -
    Ich sage: Sie verlassen mein Haus!

    Schmitz: Wann?
    Biedermann: Sofort.
    Schmitz: Wieso?
    Biedermann: Oder meine Frau (ich kann und werde es nicht hindern!) ruft die Polizei.
    Schmitz: Hm.
    Biedermann: Und zwar sofort!
    Worauf warten Sie?

    Ich will keine Diskussion!
    Schmitz: Ich sag ja gar nichts.
    Biedermann: Wenn sie meinen, Herr Schmitz, ich lasse mir alles gefallen, bloß weil Sie ein Ringer sind - ein solches Gepolter die ganze Nacht -
    Hinaus! Hinaus! Sag ich. Hinaus!


    Natürlich bleiben die überaus freundlichen Herren, sie pumpen sich sogar noch Zündhölzer, natürlich brennt der Dachstuhl - auch sie tun nur ihre Pflicht.

    Das "Lehrstück ohne Lehre" hatte die niederen Weihen längst hinter sich, als es auf die Bühne kam. Im "Tagebuch 1946-1949" heißt dieselbe Geschichte noch "Burleske". Dann kamen die ersten Stücke des Zürcher Architekten Max Frisch, "Nun singen sie wieder", "Die Chinesische Mauer", "Santa Cruz", "Als der Krieg zu Ende war". 1955 kam der Rundfunk und wollte ein Hörspiel,

    " ... und ich brauchte die 3000 DM, die angeboten waren, hatte aber keine Idee; da sagte mir der Mann vom Rundfunk: Aber schauen Sie doch in Ihren Büchern nach, vielleicht ist doch im Tagebuch etwas!

    Und dann drängte das Theater, und am selben Abend drängte das Publikum, und da stand er und konnte nicht anders: Max Frisch auf die Bühne! "