Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

50 Jahre "Nostra Aetate"
Katholische Kirche und nicht-christliche Religionen

Weltweit wurde sie debattiert, bevor sie vor 50 Jahren erscheinen konnte: die Konzilserklärung "Nostra Aetate". Darin geht es um die nicht-christlichen Religionen. Um eine Öffnung der katholischen Kirche in Richtung vor allem gegenüber dem Judentum und – auch gegenüber dem Islam. Ein Thema, das heute ebenso brisant ist wie vor 50 Jahren.

Michael Wolffsohn und Hubert Wolf im Gespräch mit Andreas Main | 22.10.2015
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Papst Paul VI. verkündete die Erklärung "Nostra Aetate" am 28. Oktober 1965 (dpa, picture alliance, ANSA)
    Andreas Main: Es war Papst Johannes XXIII. Sein Plan: Das Zweite Vatikanische Konzil sollte ein eigenes Dekret zum Judentum veröffentlichen. Johannes der 23.te hatte als Nuntius in Bulgarien und Ungarn die Judenverfolgungen der Nationalsozialisten miterlebt – und er rettete vielen Juden das Leben. Nun wollte er dem Antijudaismus in den christlichen Kirchen ein für alle Mal den Garaus machen. Daraus wurde nichts – oder besser: Es wurde daraus eine "Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen". Das Zweite Vatikanische Konzil formulierte sie und Papst Paul VI. verkündete sie am 28. Oktober 1965. Sie wird in diesen Tagen landauf landab gefeiert.
    Darüber diskutieren ein jüdischer und ein katholischer Historiker: Hubert Wolf und Michael Wolffsohn.
    Professor Michael Wolffsohn ist Historiker. Er hat gelehrt und geforscht an der Bundeswehr-Universität in München. Wolffsohn hat zahlreiche Bücher über den Weltfrieden, über Israel, über deutsch-jüdische Beziehungen geschrieben – und auch eines zum Verhältnis von Christen und Juden.
    Professor Hubert Wolf ist katholischer Theologe. Er ist Kirchenhistoriker an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Auch seine Bücher sind ausgesprochen populär.
    Auszug aus dem Gespräch
    Michael Wolffsohn: Bei allem Respekt vor der Konzilserklärung "Nostra Aetate". Da sind kleine Brötchen gebacken worden. Denn ohne Wenn und Aber geht aus den Evangelien hervor, dass Jesus jüdisch gewesen ist. Und die Distanzierung von der Kollektivschuld-These – nein, ich bitte Sie, das ist doch im Grunde genommen auch eine Selbstverständlichkeit.
    Hubert Wolf: Ja, das sagen Sie jetzt, aus dem Abstand von 50 Jahren, sagen Sie das jetzt einfach mal so. Ich sag jetzt mal was ganz anderes. Die Kirche hat eine schwere Schuld auf sich geladen durch ihr Verhalten während des Holocausts. Und es hat Menschen gegeben – auch auf dem Konzil, die behauptet haben, diese Schuld existiert nicht. Und es hat viele gegeben, die auch diese "Judenerklärung", so hieß sie ja ursprünglich, gar nicht wollten. Und jetzt mal klar zu sehen – und da würde ich den theologischen Kontext noch mal weiter öffnen – natürlich ist aus dieser Erklärung für die Juden eine Erklärung über die nicht-christlichen Religionen auch aus politischen Gründen geworden. Aber ich finde es auch wichtig, dass es tatsächlich eine Erklärung geworden ist, wo die Kirche in der Welt von heute – darum geht es ja - "Nostra Aetate", "In unseren Tagen" – versucht, einfach mal auf die Situation dieser Welt zu reagieren. Und damals, für die damalige Zeit vor 50 Jahren- das klingt für uns heute so selbstverständlich ... Also, ich bin in einem intensiven Gesprächskreis mit jüdischen Menschen und das ist für uns ganz selbstverständlich, dass wir miteinander beten. Aber das war damals nicht selbstverständlich. Und natürlich ist "Nostra Aetate" nicht irgendwie ein abgeschlossener Prozess – es war jetzt vor 50 Jahren und dann ist es vorbei – sondern es hat damit ja eine Bewegung begonnen, die ja weit über "Nostra Aetate" hinausgeht. "Nostra Aetate" zum Beispiel bleibt ja noch relativ unklar – was Sie gesagt haben, stimmt alles – aber es ist trotzdem so, dass "Nostra Aetate" noch nicht klar sagt, das Judentum ist ein eigener Heilsweg. Wenn Sie aber die Folge sehen, dass Johannes Paul II. und auch Franziskus ausdrücklich unter Bezug auf Martin Buber sagt, Leute – es gibt einen nie gekündigten Bund. Also, der Bund Gottes mit seinem Volk Israel, der gilt. Also dann ist doch Substitutionsthese – also die Kirche hat das Judentum ersetzt, der neue Bund den alten Bund - das kann man doch nach den Lehräußerungen dieser Päpste gestützt auf die Auslegung, Weiterentwicklung von "Nostra Aetate" nicht mehr sagen. Und insofern finde ich "Nostra Aetate" in unserer Zeit einen Auftrag, ausgehend von diesem Prozess der Wende immer wieder neu zu fragen – ja, es gibt kein Christentum ohne Judentum. Jesus Christus war seiner menschlichen Natur nach Jude. Alle Apostel waren Juden, die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter war Jüdin.
    Wolffsohn: Das ist ja alles unbestritten. Wir reden aber nicht über den Fortgang von "Nostra Aetate" zunächst einmal. Und den Fortgang bestreite ich ebenfalls nicht. Wir reden zunächst einmal über "Nostra Aetate". Und da weise ich auf diese beiden Großdefizite hin, was eben nicht in "Nostra Aetate" 1965 verkündet wurde. Und Sie sagen völlig zu Recht, dass die katholische Kirche auch in "Nostra Aetate" ihren Überlegenheitsanspruch einmal mehr und immer wieder hervorgehoben hat. Es gab – und da haben wir überhaupt keinen Dissens - dann in der katholischen Kirche – Sie haben die beiden letzten Päpste genannt, nein vor allem Johannes Paul II. und Franziskus. Also, natürlich gab es einen Prozess. Insofern ist "Nostra Aetate" ein Startpunkt. Die Tatsache, dass Sie gemeinsam mit Juden beten, ist, würde ich sagen, auch eine monotheistische Selbstverständlichkeit. Ich gehe mindestens so häufig in die Kirchen mit Freunden, wie in die Synagoge. Das sollte monotheistische Selbstverständlichkeit sein.
    Zum Stand der jüdisch-katholischen Beziehungen heute
    Wolf: Und ich finde, wichtig ist jetzt – und Sie haben die Muslime angesprochen – "Das Heil kommt von den Juden", steht im Johannes-Evangelium - wie gehen wir angesichts des neuen Antisemitismus, der von rechts gespeist wird, wie gehen wir angesichts dieses auch muslimisch grundierten Antisemitismus – wie gehen wir damit gemeinsam um?
    Main: Haben Sie eine Antwort?
    Wolf: Es muss öffentlich völlig klar werden, dass Antisemitismus nicht akzeptabel ist und es nach wie vor eine Straftat ist, die auch brutal verfolgt werden muss. Und die Kirchen haben eine Aufgabe, sich da ganz eng an die Seite ihre jüdischen Brüder und Schwestern zu stellen. Wenn sie es nicht tun, dann sind sie nicht bei ihrer Botschaft.
    Wolffsohn: Aber sie müssen das – und das fehlt mir auch an ihrer Argumentation – jenseits der Politik in die religiöse Dimension hineinbringen. Und das genau ist das Riesen Defizit des christlich-jüdischen Dialoges, dass es eben nicht um religiöse, sondern letztlich um tagespolitische...
    Wolf: Das stimmt doch überhaupt nicht...
    Wolffsohn: Aber natürlich. Die jüdische Gemeinschaft – und die kenne ich nun wirklich besser als Sie, lieber Herr Wolf, sind nicht diejenigen Leute, die Sie in Ihren Kommissionen treffen. Sondern es ist in der jüdischen Gemeinschaft – nicht zuletzt in Deutschland oder überhaupt – ein totales Desinteresse an Religion als Religion vorhanden - und daraus abgeleitet wenig Kenntnisse. Und man muss nicht nur das Alte Testament als Christ neu lesen, sondern als Christen und Juden auch das Neue Testament. Denn da hat man tatsächlich christlich-jüdische Gemeinsamkeiten in Hülle und Fülle, angefangen und wieder zurück zu Jesus und den Aposteln. Und nicht zuletzt der Satz von Jesus, dass er am Gesetz kein Komma ändern würde, das heißt, es könnte und müsste das Gespräch zwischen Juden und Christen sich orientieren an Texten des Neuen und Alten Testamentes. Und da gibt es eine solche Fülle von klaren, jenseits des Alltags-Blabla, Gemeinsamkeiten. Und dazu muss man kommen.
    Wolf: Ich kann natürlich die Religiosität jüdischer Gemeinschaften schlecht beeinflussen.
    Wolffsohn: Aber dann auch bitte nicht falsch kommentieren.
    Wolf: Ja, Entschuldigung, da sind Sie aber eher dann zuständig. Ich bedaure auch, dass vielleicht Christen zu wenig ihre religiöse Dimension ins Gespräch bringen. Da würde ich Ihnen wieder zustimmen. Ich würde gern religiöser, theologischer, schriftbezogener argumentieren. Nur, da müssen wir uns als Katholiken wahrscheinlich genauso an die Nas' fassen, wie Sie sich als jüdische Gemeinschaften an die Nas' fassen müssen. Muslimische Kollegen in Münster sagen mir: Ja, Ihr redet immer vom christlichen Abendland, aber praktiziert Ihr die Religiosität, Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift? Die spielt doch bei euch gar keine Rolle.
    Wolffsohn: Richtig.
    Wolf: Da müssen wir uns vielleicht beide einmal fragen, ob da nicht ein Defizit auf beiden Seiten...
    Wolffsohn: Einverstanden. Völlig einverstanden.
    Main: Ich habe eh den Eindruck, dass Sie bei aller Vehemenz gar nicht so weit auseinander sind.
    Wolffsohn: Inhaltlich würde ich das auch sagen. Aber Herr Wolf ist sozusagen zufriedener. Ich bin unzufrieden, weil ich zwischen kleinen Brötchen und großen Brötchen unterscheiden kann.
    Wolf: Ich kann da auch unterscheiden. Aber ich sage Ihnen eins: Ich esse lieber ein kleines Brötchen, als dass ich Hungers sterbe.
    Wolffsohn: Einverstanden wieder.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.